20 Minuten später
RE:
Ausnahmsweise eine Replik:
1) Das sollen jetzt zwei Jahre »oder« gewesen sein? Dein »Oder« kann aber mächtig auf die Entweder-Seite ausschwingen, mein Lieber. Wenn du als »Oder« schon so »Entweder« sein kannst, wie »Entweder« wärest du dann wohl erst als »Entweder«?
2) Du schreibst: »Ich wollte deinem Mann nichts von dir wegnehmen«. Siehst du, Leo, genau diesen stinkkonservativen Ansatz nehme ich dir so übel. Damit degradierst du mich. Ich bin keine Ware, die dem einen gehört und deshalb nicht in das Eigentum des anderen übergehen darf. Leo, ICH GEHÖRE MIR, und sonst gar niemandem. Du kannst mich niemandem »wegnehmen«, und kein Ehemann der Welt kann mich einfach so »behalten«. Ausschließlich ICH behalte mich und nehme mich weg. Manchmal gebe ich mich auch her. Und manchmal hin. Aber nur selten. Und nicht irgendwem.
3) Du klebst noch immer an der Formulierung »glücklich verheiratet«. Hast du meine Entwicklung im letzten Jahr verschlafen? Habe ich sie nicht ausreichend kommentiert? Deute ich sie nicht immer wieder an?
4) Womit ich zur Beantwortung deiner salbungsvollen, von streng katholischer Hoffnung getragenen Frage übergeleitet habe: »Gibst du eurer Ehe noch eine Chance?« Gebe ich unserer Ehe noch eine Chance? — Darauf hätte ich eine gute Antwort, mein Lieber! Aber die hebe ich mir noch eine Weile auf. Heute will ich dazu nur festhalten: Oh sakra, Leo, die Institution Ehe ist mir ziemlich egal! Sie ist nur ein Gerüst, an dem sich die daran Beteiligten glauben festkrallen zu können, wenn sie den Halt verloren haben. Es zählen die Menschen. Bernhard ist mir wichtig. Bernhard und die Kinder. Darin sehe ich eine Aufgabe, ja, noch immer. Ob sie »Chancen für die Zukunft« birgt, wird sich weisen.
5) Und morgen wünsche ich mir eine prickelndere Frage!!! Wir haben nur noch sechs Nächte, mein Lieber.
6) Angenehmen Abend. Ich gehe ins Kino.
Am nächsten Abend
Betreff: Okay, prickelnd
Hallo Emmi, meine Frage: »Wie war es im Kino, was hast du dir angesehen?« Nein, Spaß! Meine wirkliche Frage: »Denkst du manchmal an Sex mit mir?«
Zehn Minuten später
RE:
Oh, danke, Leo! Das hast du mir zuliebe gefragt, stimmt's? Du weißt ja, wie ich auf solche Fragen abfahre. Dich selbst beschäftigen derlei Dinge leider nur in Kopfgesellschaft deiner roten Freunde aus Bordeaux. Aber Leo, es freut mich echt, dass du so tust, als wäre Sex auch im nüchternen Zustand kein Tabuthema zwischen uns. Darum hast du dir auch eine ehrliche Antwort verdient: »Nein, ich denke nicht MANCHMAL an Sex mit dir!« Gerne würde ich dir die Frage auch gleich zurückstellen, aber seltsamerweise funkt mir da deine demnächst eintreffende Synchronfreundin »Pam« dazwischen. Und in sexuellen Belangen halte ich es da ganz mit meinem wertkonservativen Schreibpartner Leo »Entweder-Oder« Leike. Küsschen. Emmi.
30 Minuten später
Betreff: Pamela
Seltsam. Du schreibst einmal »Sex«, vermutlich in Ringelsocken, und ich brauche gleich zwei Gläser Whiskey. Leider kann ich dir heute keine so betörende Frage anbieten. Meine lautet: »Was weiß Pamela über uns beide?«(Du siehst, ich habe »Pamela« geschrieben. Deshalb ersuche ich um eine seriöse Antwort.)
Eine Minute später
AW:
Nichts!
Zwei Minuten später
RE:
Echt nichts? Das ist unseriös wenig!
Zehn Minuten später
Kein Betreff
Lieber Leo, wir sind uns hoffentlich einig, dass »Nichts« noch nicht alles gewesen sein kann, ich meine: als Antwort. Meine Frage war ja dahingehend zu verstehen, dass ich wissen wollte, WARUM »Pam« genau so viel über uns weiß, wie sie über uns weiß, und würde sie nichts über uns wissen, WARUM in aller Welt nichts? Natürlich, weil du ihr nichts über uns erzählt hast. Aber WARUM? Das ist meine heutige Frage. (Nein, nicht meine morgige, meine heutige!) Und ich sage dir gleich: Wenn du sie nicht freiwillig hergibst, dann fliege ich zu dir auf Top 15 und hole sie mir, die Antwort. Ich brauche sie, ich muss es wissen, ich muss es morgen früh meiner Therapeutin erzählen!
Eine Minute später
AW:
Ich hab dich vor mir, Emmi! Wenn du in dieser Dringlichkeit etwas (von mir) forderst, schiebt sich der Schleier vor deinen Augen zur Seite und die Pupillen verwandeln sich in grüngelbe Pfeile. Du könntest einen erstechen mit deinem Blick.
40 Sekunden später
RE:
Gut beobachtet! Und bevor ich mit gefletschten Zähnen zum Sprung auf deinen Hals ansetze, blinke ich noch dreimal mit den Wimpern. Eins. Zwei. Zwei und ein Viertel. Zwei und ein Halb (…) Leo, ich warte!
Zehn Minuten später
AW:
In Boston habe ich Pamela nichts von uns erzählt, weil ich unser »Uns« als abgeschlossen betrachtet habe. Und nach Boston habe ich ihr nichts von uns erzählt, weil ich ihr in Boston nichts von uns erzählt hatte. Ich konnte nicht in der Mitte beginnen. Solche irren Geschichten wie die unsere erzählt man von Anfang an oder gar nicht.
Eine Minute später
RE:
Du hättest es nachholen können.
40 Sekunden später
AW:
Ja, schon.
50 Sekunden später
RE:
Aber es hätte sich nicht ausgezahlt, weil du die »irre« Sache mit mir ohnehin so schnell wie möglich beenden (beziehungsweise gar nicht wieder beginnen) wolltest.
30 Sekunden später
AW:
Nein.
20 Sekunden später
RE:
Was nein?
30 Sekunden später
AW:
Deine Überlegung ist falsch.
40 Sekunden später
RE:
Dann verschaffe mir bitte eine richtigere!
Zwei Minuten später
Kein Betreff
Nein, Leo, nicht morgen!! (Achtung, ich setze zum Sprung an.)
Drei Minuten später
AW:
Ich habe ihr nichts von uns erzählt, weil sie es nicht verstanden hätte. Und hätte sie es verstanden, dann wäre es nicht die Wahrheit gewesen. Die Wahrheit über uns ist nämlich unverständlich. Ich verstehe sie im Grunde selbst nicht.
30 Sekunden später
RE:
Komm, Leo, du verstehst sie schon. Du verstehst sie sogar sehr gut. Du verstehst sie nur mindestens genauso gut für dich zu behalten. Du willst »Pam« nicht verunsichern.
40 Sekunden später
AW:
Vielleicht.
Eine Minute später
RE:
Das ist aber nicht gut, eine Beziehung mit einem Geheimnis über eine irre Geschichte mit einer anderen Frau zu beginnen, lieber Leo.
50 Sekunden später
AW:
Das Geheimnis ist abgeschlossen, liebe Emmi.
Zwei Minuten später
RE:
Ach ja, dein Gefühlsschrank. Emmi rein. Türe zu. Schlüssel bis zum Anschlag drehen. Innentemperatur auf minus zwanzig Grad stellen. Fertig. Und alle paar Monate einmal abtauen. Gute Nacht, ich gehe unter die Decke, mir ist kalt!
Am nächsten Abend
Betreff: Meine Frage
Liebe Emmi, stellen wir uns heute keine Fragen mehr? Ist das Spiel zu Ende? Bist du sauer? (Drei Fragezeichen, eine Frage, Quelle der Regelauslegung: Emmi Rothner.)
Zwei Stunden später
Betreff: Meine Frage
Leo, was ist die Wahrheit über uns?
15 Minuten später
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