»Einverstanden, aber was meinst du zu den Habgierigen, die aus allem ihren Nutzen gezogen haben?«
»Ich meine, daß sie in Wirklichkeit Feinde der Revolution sind und daß man nicht von ihnen auf die Revolution schließen darf!«
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Madame Mariana habe ich liebgewonnen. Nicht nur, weil sie unsere Lieder mag, sondern auch weil sie geistreich und witzig ist, weil sie — wie ein Tonband — ihre Lebenserinnerungen, gewürzt mit Ursehnsucht nach Griechenland, vor uns abspielt. Ihre Erinnerungen machten mir manches in meinem eigenen Leben klarer, ihre Geschichten über ihre alte Liebe etwa oder ihre Vorliebe für ein üppiges, angenehmes Leben. Sie stammt eigentlich aus einer Emigrantenfamilie. Und Emigranten sehen ihr Vaterland überall da, wo ihnen ein angenehmes Leben in Wohlstand sicher ist.
Amir Wagdi ist im Grunde ein Denkmal, das Mansur Bahi entdeckt hat, ein Denkmal aus einer höchst faszinierenden Periode unserer Geschichte, von der wir kaum etwas wissen.
Als Tolba Marzuq die Errungenschaften der Revolution preist, preise ich im stillen seine äußerst amüsante Heuchelei. Ich begnüge mich mit der Einsicht, daß der Mensch trotz all seiner Erfindungsgabe und seiner Siege bis über beide Ohren in Dummheit steckt. Vielleicht wäre es recht nützlich, wenn wir Leute, die miteinander verfeindet sind, immer wieder einmal zusammennähmen, damit sie gemeinsam eine lange Nacht verbringen und miteinander trinken, fröhlich sind und hübschen Liedern lauschen.
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»So glaubst du also nicht an Paradies und Hölle?«
»Das Paradies ist der Ort, wo der Mensch Sicherheit und Würde genießen kann, die Hölle ist dort, wo er beides nicht findet!«
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Wenn Mansur über meine Witze lacht, wirkt er wie ein goldiges Kind, und dann verspüre ich die Hoffnung, daß ich den Weg zu seinem Herzen doch noch entdecken werde und daß uns am Ende dieser Nacht eine innige Freundschaft verbindet. Husni Allam dagegen! Es lebe Husm Allam! Er hat zu diesem Abend mit zwei Flaschen Dewarts beigetragen. Er thront in seinem Sessel wie ein Gemeindevorsteher, füllt die Gläser und verteilt sie und lacht immer wieder schallend. Als er kurz nach Mitternacht plötzlich verschwindet, ist das für unsere Runde ein schwerer Verlust.
Ich kann mich an Umm Kulthum und ihren Liedern gar nicht wie sonst erfreuen, singe auch keine Liedverse mit wie an anderen Abenden. Mein Rausch und meine Freude entzünden sich vielmehr nur an Zuchra, ob sie gerade kommt oder geht oder neben dem Wandschirm sitzt und lächelnd über unsere Ausgelassenheit staunt. Mit unseren Blicken umarmen wir uns verstohlen, tauschen schwermütige Küsse miteinander.
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Diesen Mann habe ich doch schon gesehen! Er geht von der Saad-Zaghlul-Straße her auf das Trianon zu, ich komme vom Platz her. Dann plötzlich erkenne ich ihn, es ist Tolba Marzuq. Ich sehe ihn jetzt zum ersten Mal in Straßenkleidung, in seinen dicken Mantel gehüllt, mit einer Kufijja um den Hals und einem dunkelroten Tarbusch [64] Kufijja : Tuch, das arabische Männer um Kopf und Schultern schlagen. Tarbusch : Rote Filzkappe mit schwarzer Quaste (auch Fez).
auf dem Kopf. Ich schüttle ihm ehrerbietig die Hand und lade ihn zu einer Tasse Kaffee ein. Er gibt meinem Drängen nach, und wir setzen uns an einen Tisch hinter die geschlossene große Scheibe, die auf das Meer geht. Der Wind spielt mit den Blättern der Palmen, die rund um das Denkmal von Saad Zaghlul stehen, und die Sonne läßt die Ränder der zarten Wölkchen am Himmel diamanten schimmern. Wir unterhalten uns über Alltägliches, Belangloses, Langweiliges, aber ich bin die ganze Zeit darauf bedacht, ihm meine Verehrung und Sympathie zu zeigen, ihm zu schmeicheln. Etwas in mir sagt mir, daß er nicht ganz mit leeren Händen dastehen kann. Natürlich, es muß ja Wege geben, etwas zu retten. Vielleicht möchte er sogar den Rest seines Besitzes nutzbringend anlegen, aber Angst hemmt ihn.
So komme ich auf die Lebenshaltungskosten zu sprechen: »Es ist geradezu absurd, wenn ein junger Mann wie ich heute nur von seinem Gehalt leben soll!«
»Was muß er also tun?«
Ich sage leise, als ob ich ihm mein Geheimnis anvertrauen wolle: »Ein kommerzielles Projekt, das ist das, woran ich denke.«
»Und woher haben Sie das Geld dafür?«
Ich tarne mich mit einem unschuldigen Lächeln: »Ich verkaufe einige Fe d-dan Acker und suche mir dann einen Teilhaber.«
»Aber können Sie denn Ihren Beruf und ein kommerzielles Projekt gleichzeitig betreiben?«
»Das Projekt muß ein Geheimnis bleiben!« lache ich.
Er wünscht mir Erfolg und öffnet dann die Zeitung, um einen Blick in sie zu werfen, als habe er das Thema ganz vergessen. Vielleicht ist er wirklich ehrlich, aber wahrscheinlich ist es eher Taktik. Mich befällt jedenfalls das Gefühl, daß ich von ihm nichts zu erwarten habe.
Er weist auf eine rote Überschrift, in der es um Ostdeutschland geht, und sagt: »Sie haben sicher davon gehört, wie elend die Situation dort ist, besonders im Vergleich zu Westdeutschland.«
So redet er also über Außenpolitik und meint Innenpolitik! Ich stimme ihm zu, und er fährt fort: »Rußland kann einem Land, das zu seinem Machtbereich gehört, nichts bieten, Amerika dagegen…«
»Aber Rußland hat uns mehrfach wertvolle Unterstützung geleistet!«
Schnell entgegnet er: »Das ist etwas anderes, wir gehören ja schließlich auch nicht zu seinem unmittelbaren Machtbereich!«
Er wird so vorsichtig, daß ich meinen Einwurf bereue. »Tatsache ist, daß sie beide, Rußland und Amerika, sich gleich sind, wenn es um den Wunsch nach der Vormachtstellung in der Welt geht, deswegen ist der Standpunkt der Neutralität, den wir einnehmen, klug, sehr klug!« fährt er fort.
Ich bedauere, daß er mir entschlüpft ist und daß sich sobald keine Gelegenheit mehr bieten wird, das verlorene Terrain zurückzugewinnen.
»Wenn die Julirevolution nicht gewesen wäre«, sage ich, »dann wäre das Land von einer blutigen Revolution erschüttert worden, bei der kein Stein auf dem anderen geblieben wäre, das steht jedenfalls fest!«
Er nickt mit seinem Tarbusch. »Gott ist groß und hat uns in Seiner Weisheit errettet!«
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Wo hast du denn gesteckt? Wir hatten schon seit drei Tagen nicht mehr die Ehre miteinander! Wie kommt es, daß du dich zuletzt doch noch an mich erinnert hast? Warum kehrst du überhaupt zu alten, längst abgelegten Dingen zurück? Habe ich nicht gesagt, daß du ein elender Feigling und ein Mistkerl bist! Ach, laß mich doch in Ruhe mit deinen albernen Entschuldigungen! Und erzähl mir nicht von deiner so überaus wichtigen Tätigkeit in der Gesellschaft. Wenn ein Minister eine Freundin hätte, würde er sie jedenfalls nicht so vernachlässigen, wie du das mit mir tust!
Ich lächle, gieße Wein in zwei Gläser und habe sie innerlich so satt, daß ich mich vor ihr ekle. Jetzt spielt sie sich auch noch als Tyrannin auf. Nun muß ich sie wirklich loswerden! Für immer loswerden!
Aber die Sorgen dieser Welt, alle Kümmernisse dieser Welt lösen sich aus meiner Brust, wenn Zuchra in mein Zimmer kommt und mir den Tee bringt. Wir umarmen uns lange. Ich küsse ihre Lippen, ihre Wangen, ihre Stirn, ihren Hals. Konzentriert und genießerisch spüre ich, wie sie ihre Lippen auf meine preßt.
Dann tritt sie zwei Schrittchen zurück, seufzt und flüstert klagend: »Manchmal glaube ich, alle wissen…«
Im Rausch der Liebe suche ich sie unbekümmert zu trösten: »Das soll dir doch egal sein!«
»Dir ist alles egal, aber…«
»Eins vor allem ist mir nicht egal, Zuchra…« Ich beuge mich etwas zu ihr hinunter, um ihr mit den Augen zu verdeutlichen, was ich meine, und bitte sie dann in echtem Verlangen: »Laß uns doch zusammenleben, irgendwo, weit weg von hier!«
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