»Safejja«, schnitt ich ihr das Wort ab, »wenn ich wirklich die Absicht hätte, dich zu verlassen, dann hätte ich das in aller Offenheit gesagt und wäre gegangen.«
Sie war verärgert, und man sah es ihr an. Ihre Verdrossenheit machte sie noch häßlicher. Ich wünschte mir nur, daß sie mich so haßte und verabscheute, daß jeder von uns seiner Wege gehen konnte.
Ich sagte mir, daß beim Jüngsten Gericht unsere Waagschalen einander mit Sicherheit aufwiegen würden. Wir hatten unser Leben tatsächlich miteinander geteilt. Sie hatte mir allerdings hin und wieder Geschenke überreicht, die ich — aufgrund meiner besonderen Situation — nicht hatte erwidern können. Es gibt andere, die nutzen ihre Geliebte schamlos aus. Ich dagegen bin es nur überhaupt nicht gewohnt, für Frauen Geld auszugeben.
Jedenfalls bin ich darauf eingestellt, daß es zum Schluß noch zu einer heftigen Auseinandersetzung kommen wird. So etwas habe ich schon mehr als einmal erlebt. Ich hatte mich damals an der Fakultät verliebt, aber ich war leider zu spät gekommen. Und dann war die Chance verpaßt. Es war eine wirkliche Chance gewesen. Sie war hübsch, ein Mädchen mit Zukunftsaussichten, war die Tochter eines Arztes, dem die Gelder der Kranken nur so zuströmten. Aber was nutzt schon das Wörtchen »wenn«?
Und nun schlug mir das Herz wieder schneller. Ja, ich hatte mich in die Fellachin verliebt. Aber es war ein rein körperliches Verlangen, ähnlich dem, das mich damals zu Safejja ins Genevoise getrieben hatte.
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»Ich brauche ein Zimmer für länger!«
Mich trifft ein zufriedener Blick aus neugierigen blauen Augen, dann lehnt sie sich in dem Kanapee unter dem Jungfrauenbild zurück. In ihren Bewegungen liegt eine Anmut, die ihr wohl aus besseren Zeiten geblieben ist. Ihr goldblond gefärbtes Haar zeigt, daß sie sich an diese Zeiten klammern will. Mit unverblümtem Geschäftssinn feilscht sie mit mir um den Preis und betont, daß die Zimmer im Sommer teurer seien.
»Aber sind Sie denn jetzt erst nach Alexandria gekommen?«
Das ist keine Frage, die ganz nebenbei gestellt wird, sondern leitet ein längeres Verhör ein. Um mich mit ihr auf guten Fuß zu stellen, gehe ich darauf ein und lege ein Geständnis über meine Arbeit, mein Alter, meinen Heimatort, meine soziale Position ab. Währenddessen kommt die Fellachin von einem Gang zurück. Sie sieht mich und schaut zu Boden. Mit einem Blick hat sie die Situation erkannt. Im Hinausgehen stolpert sie vor Verlegenheit. Aber natürlich bemerkt Madame ihre Verlegenheit ebensowenig, wie daß sie vor Scham rot geworden ist. Als sie mich ins Zimmer führt, das letzte freie Zimmer mit Blick zur Straße, sind wir zwei Freunde, die sich schon sehr lange kennen.
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Befriedigt inspiziere ich das Zimmer und setze mich dann guter Dinge in den großen Sessel. Während ich dort sitze, erfahre ich auch den Namen der Fellachin, ohne nach ihm gefragt zu haben, denn sie wird gerade gerufen. Bald darauf kommt sie mit Bettüchern und Decken in mein Zimmer, um mein Bett zurechtzumachen. Ich beobachte sie glücklich und betrachte voller Neugier und Verlangen ihr Haar, ihre Gesichtszüge, ihre Figur. Beim heiligen Abul-Abbas, das Mädchen ist wirklich hübsch, mehr noch, bezaubernd. Und sie besitzt Charakter! Sie will mich heimlich ansehen, aber ich nehme mich vor ihr in acht.
»Ich bin so glücklich, Zuchra«, lächle ich ihr zu. Sie arbeitet weiter, als habe sie mich gar nicht gehört.
»Gott schenke dir ein langes Leben! Ich fühle mich wieder ins Rif zurückversetzt, aus dem ich hierher gekommen bin.« Da sie lächelt, fahre ich fort: »Gestatte, Zuchra, mein Name ist Sarhan al-Buheri!«
Nun kann sie sich nicht mehr beherrschen: »Buheri?« fragt sie.
»Aus Firqasa in al-Buhera.«
Sie unterdrückt ein Lachen: »Und ich bin aus al-Zijadijja!«
»Mein Gott, wie schön!« rufe ich enthusiastisch, als sei die gemeinsame Herkunft aus ein und demselben Gouvernorat ein Wunder, geeignet, mir mein Glück und meine Liebe zu garantieren.
Sie ist fertig und will das Zimmer verlassen, aber ich bitte sie: »Bleib noch ein bißchen, ich möchte dir noch sehr viel sagen!«
Sie wehrt jedoch mit einer unschuldig-koketten Kopfbewegung ab und geht. Ich bin glücklich darüber, daß sie meiner Bitte nicht entsprochen hat, denn ich halte das für eine »Sonderleistung«, die einem gewöhnlichen »Kunden« nicht zuteil geworden wäre. Ja, sie ist eine reife Frucht, die ich nur zu pflücken brauche. Aber ihr Leib ist noch unschuldig, wie mir scheint, und ich weiß nicht, wie ich ihn vorbereiten soll. Ich liebe sie und will sie besitzen. Wenn wir doch in einer gemeinsamen Wohnung lebten, fern von dieser Pension, in der ständig irgendein Störenfried auftaucht!
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Am Frühstückstisch lerne ich zwei seltsame alte Männer kennen. Der Altere von beiden ist ein lebender Leichnam, eine Mumie, aber doch von einer gewissen Fröhlichkeit. Es heißt, er sei früher Journalist gewesen. Der andere ist Tolba Marzuq. Sein Name war mir nicht unbekannt, auch wenn ich mich nicht gleich an ihn erinnerte. Er war unter denen, deren Besitz seinerzeit sequestriert wurde. Was ihn wohl in diese Pension geführt hat? Er vor allem macht mich neugierig, denn alles Ausgefallene ist aufregend, ob nun ein Verbrecher, ein Wahnsinniger, einer, der verurteilt oder einer, dessen Vermögen sequestriert wurde. Außerdem gehört er zu der Klasse, die wir irgendwie beerben müssen. Jetzt schaut er intensiv in sein Teeglas, vermeidet es, mich anzusehen, sei es aus Vorsicht, sei es aus Stolz. Meine Gefühle ihm gegenüber sind widersprüchlich, schwanken zwischen Mitleid und Schadenfreude. Etwas kristallisiert sich jedoch sehr deutlich heraus: Eine seltsame Furcht vor dem Gedanken an die Sequestrierung von Vermögen. Als ob ich glaubte, daß, wer einmal tötet, sich an das Töten gewöhnt und es immer wieder tut.
Amir Wagdi, der Journalist, will mir etwas Nettes sagen. »Es freut mich, daß Sie ein Ökonom sind. Ökonomen und Ingenieure sind heute die wichtigste Stütze des Staates!«
Ich denke an Ali Bakir und bin nicht sehr glücklich über dieses Kompliment.
»Zu unserer Zeit«, fährt der alte Mann fort, »stützte er sich vor allem auf die Redekunst der Rhetoriker.«
Ich lache spöttisch und meine, damit zu zeigen, daß ich derselben Ansicht bin wie er, aber er scheint eher verärgert. Dann wird mir klar, daß er nicht kritisieren, sondern eine historische Tatsache darlegen wollte. Er fährt fort, seine Generation verteidigend: »Mein lieber Sohn, unser Ziel war es damals, das Volk aus seinem Schlaf aufzuwecken, und Völker erwachen durch Worte, nicht durch Ingenieure oder Ökonomen.«
Schnell stecke ich zurück und sage entschuldigend: »Wenn Ihre Generation nicht ihre Pflicht erfüllt hätte, so könnte die unsere gar nicht existieren!«
Tolba Marzuq schweigt beharrlich.
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Mein Herz gewinnt seine Unschuld und Jugendlichkeit zurück. Es wird so frisch wie dieser helle Morgen, wie dieses reine Meeresblau, diese gesegnete Wärme. Lebensfreude durchpulst mich, wenn ich Atem hole, rinnt mir durch die Adern, erfüllt mich mit innerer Fröhlichkeit und mit Verlangen. Ich verbringe einen angenehmen Arbeitstag in der Gesellschaft und nehme dann das Abendessen mit Safejja in der alten Wohnung ein. Sie schaut mich durchdringend an. Ich tarne mich mit der Maske des Unglücklichen und beklage mich bei ihr darüber, wie scheußlich, kalt und ungemütlich die Pension ist. Ein unerträgliches Leben, meine Liebe. Und deswegen habe ich einen Makler beauftragt, mir eine Wohnung zu suchen.
Ich höre die altbekannte Litanei. Elender Feigling, Mistkerl. Nach dem Essen, als wir uns wie üblich hinlegen wollen, frage ich mich, wann ich mich endlich von dieser Fron befreien werde.
Ich beobachte Zuchra, die Amir Wagdi den Kaffee ins Zimmer bringt. Die große Uhr schlägt fünf Uhr nachmittags, und ich bestelle eine Tasse Tee. Sie bringt sie mir und stimmt mich glücklich wie eine blühende Narzisse oder ein liebliches Lied mit ihrem schwarzen Haar, ihrer frischen braunen Haut und ihren braunen Augen. Als ich nach dem Tee greife, berühre ich ihre Hand und sage leise: »Deinetwegen habe ich mich in das Gefängnis dieses Zimmers begeben!«
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