Die Großzügigkeit meiner Retter überwältigte mich. Bettelarme Menschen gaben mir Kleider und Nahrung. Ärzte und Krankenschwestern versorgten mich wie ein frühgeborenes Kind. Staatsbeamte in Mexiko und Kanada öffneten mir sämtliche Türen, und vom Strand in Mexiko zum Haus meiner Pflegemutter zu den Lehrsälen der Universität von Toronto war alles nur ein einziger großer Spaziergang. All diesen Menschen möchte ich von Herzen danken.
DRITTER TEIL Benito-Juárez-Krankenhaus,
Tomatlán, Mexiko

Kapitel 95
MrTomohiro Okamoto, vormals Angestellter der Abteilung Schifffahrt im japanischen Verkehrsministerium und mittlerweile im Ruhestand, schreibt mir, dass er und sein damaliger jüngerer Kollege, MrAtsuro Chiba, seinerzeit wegen einer anderen Angelegenheit in Long Beach, Kalifornien, gewesen seien - dem bedeutendsten Containerhafen der amerikanischen Westküste, nicht weit von Los Angeles -, als man sie unterrichtete, dass ein einzelner Überlebender des japanischen Frachters Tsimtsum, der einige Monate zuvor in internationalen Gewässern des Pazifiks spurlos verschwunden war, in der Nähe der kleinen Stadt Tomatlän an der Küste von Mexiko angeschwemmt worden sei. Sie erhielten von ihrer Abteilung den Auftrag, dorthin zu fahren, Kontakt mit dem Überlebenden aufzunehmen und nachzuhören, ob er ihnen Aufschlüsse über das Schicksal des Schiffes geben konnte. Sie kauften eine Landkarte von Mexiko und suchten nach Tomatlán. Unglücklicherweise verlief ein Kartenfalz genau über der kleinen Küstenstadt Tomatän auf der Halbinsel Baja California. MrOkamoto war überzeugt, dass der mit winzigen Buchstaben gedruckte Name Tomatlán lautete. Da der Ort etwas oberhalb der Mitte von Baja California lag, beschloss er, dass sie am schnellsten mit dem Auto dorthin gelangen würden.
Sie mieteten einen Wagen und machten sich auf den Weg. Als sie in Tomatán eintrafen, achthundert Kilometer südlich von Long Beach, und offensichtlich wurde, dass es nicht Tomatlán war, beschloss MrOkamoto weiterzufahren bis zum zweihundert Kilometer weiter südlich gelegenen Santa Rosalia und von dort mit der Fähre über den Golf von Kalifornien nach Guaymas überzusetzen. Die Fähre hatte Verspätung und war sehr langsam. Und von Guaymas bis nach Tomatlän waren es noch einmal dreizehnhundert Kilometer. Die Straßen waren schlecht. Sie hatten eine Reifenpanne. Dann blieb das Auto liegen, und der Mechaniker, der es reparierte, schlachtete heimlich den Motor aus und tauschte Neu- gegen Altteile ein, für deren Ersatz die Mietwagenfirma sie später haftbar machte und die den Wagen auf dem Rückweg noch ein zweites Mal liegen bleiben ließen. Die zweite Werkstatt berechnete viel zu viel für die Reparatur. MrOkamoto gibt zu, dass sie völlig übermüdet waren, als sie im Benito-Juárez-Krankenhaus von Tomatlän ankamen, das nicht in Baja California, sondern hundert Kilometer südlich von Puerto Vallarta im Bundesstaat Jalisco liegt, fast auf der Höhe von Mexiko-Stadt. Sie waren einundvierzig Stunden ohne Pause unterwegs gewesen. »Wir arbeiten hart«, schreibt MrOkamoto.
Er und MrChiba unterhielten sich mit Piscine Molitor Patel, auf Englisch, fast drei Stunden lang, und zeichneten das Gespräch auf Tonband auf. Das Folgende sind Auszüge aus dem Tonbandprotokoll. Ich danke MrOkamoto, dass er mir eine Kopie des Bandes und seines Abschlussberichts zur Verfügung gestellt hat. Der Klarheit halber habe ich da, wo es nicht eindeutig ist, den Namen des Sprechers eingefügt. Passagen in anderer Schrifttype sind auf Japanisch gesprochen, und ich habe sie übersetzen lassen.
Kapitel 96
»Hallo, MrPatel. Darf ich mich vorstellen: Tomohiro Okamoto. Ich komme vom japanischen Verkehrsministerium, Abteilung Schifffahrt. Und das ist mein Assistent, Atsuro Chiba. Wir sind hergekommen, um Sie zum Untergang des Schiffes Tsimtsum zu befragen, dessen Passagier Sie waren. Wäre es möglich, jetzt gleich mit Ihnen zu sprechen?«
»Aber j a.«
»Danke. Sehr freundlich von Ihnen. Und nun geben Sie Acht, Atsuro-kun, Sie sollen ja schließlich etwas lernen.«
»Ja, Okamoto-san.«
»Läuft das Tonband?«
»Ja.«
»Gut. Meine Güte, was bin ich müde! So, für das Protokoll. Heute ist der 19.Februar 1978. Aktenzeichen 250663, Untergang des Frachters Tsimtsum.Sitzen Sie bequem, MrPatel?«
»Ich sitze gut, danke. Und Sie?«
»Wir sitzen sehr bequem.«
»Sind Sie den ganzen Weg von Tokio gekommen?«
»Wir waren in Long Beach, Kalifornien. Wir sind mit dem Wagen hier.«
»Hatten Sie eine gute Fahrt?«
»Eine wunderbare Fahrt. Eine Freude, auf den hiesigen Straßen zu fahren.«
»Meine Fahrt war entsetzlich.«
»Ja, ich weiß. Wir haben mit der Polizei gesprochen, bevor wir herkamen, und haben das Rettungsboot besichtigt.«
»Ich bin ein wenig hungrig.«
»Möchten Sie einen Keks?«
»O ja!«
»Bitte sehr.«
»Danke.«
»Gern geschehen. Nur ein Keks. So, MrPatel, und jetzt würden wir uns wünschen, dass Sie uns so genau wie nur möglich erzählen, was Ihnen widerfahren ist.«
»Das will ich gern tun.«
Kapitel 97
Die Geschichte.
Kapitel 98
MrOkamoto: »Hochinteressant.«
MrChiba: »Was für eine Geschichte!«
»Der hält uns wohl für blöd.MrPatel, wir machen eine kleine Pause und sind gleich zurück. Ist Ihnen das recht?«
»Wunderbar. Aber kann ich noch einen Keks haben?«
»Selbstverständlich.«
MrChiba: »Er hat doch schon jede Menge bekommen, und die meisten hat er nicht einmal gegessen. Er hat sie alle noch hier unter der Bettdecke.«
»Geben Sie ihm trotzdem noch einen. Wir müssen ihn bei Laune halten.Wir sind gleich wieder da.«
Kapitel 99
MrOkamoto: »MrPatel, wir glauben Ihre Geschichte nicht.«
»Bitte um Verzeihung-wunderbare Kekse, aber sie zerkrümeln leicht. Wieso denn das? Warum nicht?«
»Es gibt zu viele Ungereimtheiten.«
»Wie meinen Sie das?«
»Bananen schwimmen nicht.«
»Bitte?«
»Sie sagen, der Orang-Utan sei auf einer Insel aus Bananen geschwommen.«
»Das stimmt.«
»Bananen schwimmen nicht.«
»Doch, das tun sie.«
»Sie sind zu schwer.«
»Das sind sie nicht. Hier, versuchen Sie es selbst, ich habe zwei Bananen hier.«
MrChiba: »Wo kommen die her? Was hat er denn noch alles unter seiner Bettdecke?«
MrOkamoto: »Schluss jetzt. Nein, ich glaube Ihnen schon.«
»Da drüben ist ein Waschbecken.«
»Schon in Ordnung.«
»Ich bestehe darauf. Füllen Sie das Becken mit Wasser, und wir sehen, wer Recht hat.«
»Wir würden gern weitermachen.«
»Ich bestehe darauf.«
[Schweigen]
MrChiba: »Was machen wir jetzt?«
MrOkamoto: »Ich fürchte, das wird auch wieder ein sehr langer Tag.«
[Geräusch eines Stuhls, der zurückgeschoben wird. Aus der Ferne Wasserrauschen]
Pi Patel: »Was machen Sie? Ich kann es von hier aus nicht sehen.«
MrOkamoto [von ferne]: »Ich lasse Wasser ein.«
»Haben Sie die Bananen schon drin?«
[Von ferne] »Nein.«
»Und jetzt?«
[Von ferne] »Jetzt sind sie drin.«
»Und?«
[Schweigen]
MrChiba: »Schwimmen sie?«
[Von ferne] »Sie Schwimmen.«
»Und, schwimmen sie?«
[Von ferne] »Sie schwimmen.«
Читать дальше