Nach einer Reihe von Runden blieb sie an der Heckbank stehen, duckte sich nieder und blickte nach unten, unter die Plane. Dann sah sie auf und blickte mich an. Es war der typische Hyänenblick - direkt, doch vage, sichtlich neugierig, doch so reserviert, dass sich nichts von der Absicht erraten ließ, das Maul geöffnet, die großen Ohren aufgerichtet, die Augen schwarz und schimmernd -, nur dass eine Anspannung hinzukam, die man in jeder Zelle ihres Körpers spüren konnte, eine Furcht, die das ganze Tier glühen ließ wie ein Fieber. Ich machte mich auf mein Ende gefasst. Grundlos. Sie nahm nur ihre Runden wieder auf.
Wenn ein Tier sich einmal etwas in den Kopf setzt, kann es sehr lange dabei bleiben. Den ganzen Vormittag über rannte die Hyäne im Kreis und rief yip yip yip yip yip dazu. Von Zeit zu Zeit hielt sie kurz an der Heckbank inne, doch ansonsten war jede Runde genau wie die Runde zuvor, ohne auch nur die kleinste Veränderung im Ablauf, im Tempo, in der Tonhöhe oder der Lautstärke des Lachens, in der Folge der Schritte im Gegenuhrzeigersinn. Das Lachen war schrill und entsetzlich nervtötend. Nach einer Weile bekam der Anblick etwas dermaßen Zermürbendes, dass ich schließlich den Kopf abwandte und versuchte, sie nur aus dem Augenwinkel im Blick zu behalten. Selbst das Zebra, das anfangs jedes Mal, wenn die Hyäne an seinem Kopf vorübergestürmt war, geschnaubt hatte, verfiel in eine Trance.
Doch immer wenn die Hyäne an der Heckbank stehen blieb, blieb auch mein Herz stehen. Und so sehr ich mich auch mühte, mich auf den Horizont zu konzentrieren, wo meine Rettung lag, wanderte mein Blick doch immer wieder zurück zu dem rasenden Tier.
Ich wäre der Letzte, der Vorurteile gegenüber einem Tier hat, aber es ist eine Tatsache, dass die Tüpfelhyäne kein angenehmer Anblick ist. Sie ist die Hässlichkeit selbst. Der dicke Hals mit den hohen Schultern und dem abwärts gerichteten Rücken sieht wie ein verworfener Prototyp für die Giraffe aus, und das struppige raue Fell wirkt wie aus dem Kehricht der Schöpfung zusammengeklaubt. Die Farbe ist eine willkürliche Mischung aus Ocker, Gelb, Grau und Schwarz, und die Tüpfel haben nichts von der vornehmen Harmonie der Leopardenflecken; sie sehen eher aus wie die Zeichen einer Hautkrankheit, Räude im Endstadium. Der Kopf ist breit und allzu massig, mit hoher Stirn wie ein Bär, doch mit weit hinten angesetztem Haar und Ohren, die lächerlich an Mauseohren erinnern, groß und rund, wenn sie nicht im Kampf abgerissen sind. Das Maul steht hechelnd offen. Die Nasenlöcher sind zu groß. Der Schwanz ist struppig und unbewegt. Der Gang ist schlurfend. Alles zusammengenommen erinnern sie am ehesten an Hunde, obwohl sie wohl niemand als Schoßhund haben wollte.
Aber ich hatte nicht vergessen, was Vater uns beigebracht hatte. Das waren keine feigen Aasfresser. Wenn das National Geographic sie so beschrieb, dann deswegen, weil es seine Aufnahmen bei Tage gemacht hatte. Aber erst wenn der Mond aufgeht, fängt der Tag der Hyäne wirklich an, und dann erweist sie sich als unerbittlicher Jäger. Hyänen greifen als Rudel jedes Tier an, das sie zu fassen bekommen, und reißen ihm noch im Laufen die Flanke auf. Sie jagen Zebras, Gnus und Wasserbüffel, und nicht nur die Alten und Kranken einer Herde - auch Tiere in der Blüte ihrer Jahre. Sie sind unerbittliche Angreifer, sind nach jedem Stoß und Tritt sofort wieder auf den Beinen, und wenn sie aufgeben, dann nie, weil sie den Mut verlieren. Und sie sind intelligent; sie wissen, dass alles, was man einer Mutter wegschnappen kann, gut ist. Ein zehn Minuten altes Gnu ist ein Leckerbissen, aber Hyänen reißen auch Löwenjunge und junge Nashörner. Ist die Beute erst einmal erlegt, leisten sie ganze Arbeit. In einer Viertelstunde ist von einem Zebra nur noch der Schädel übrig, und selbst den schleppen sie oft noch in ihre Höhle, wo die Jungen daran knabbern können. Sie lassen nichts umkommen - selbst das blutige Gras wird gefressen. Man kann zusehen, wie die Hyänenbäuche anschwellen, wenn sie ihre Beute in großen Stücken verschlingen. Wenn es ein guter Fang war, fressen sie sich so voll, dass sie kaum noch gehen können. Ist der Fraß verdaut, würgen sie dichte Haarknäuel aus, die sie noch nach Essbarem durchwühlen, bevor sie sich darin wälzen. Versehentlicher Kannibalismus ist bei dem Fressrausch an der Tagesordnung. Beim Biss nach einem guten Stück Zebra kommt einer Hyäne schon einmal ein Ohr oder ein Stück Nase eines Verwandten zwischen die Zähne, ganz ohne böse Absicht. Die Hyäne hat keine Hemmungen, auch das zu verschlingen. Bei solchem Angebot werden keine Unterschiede gemacht.
In der Tat hat der Geschmack der Hyäne eine Bandbreite, die man schon fast bewundern muss. Eine Hyäne trinkt von Wasser, in das sie gleichzeitig uriniert. Auch sonst wird der Urin nicht vergeudet. Bei heißem, trockenem Wetter kühlt sie sich, indem sie ihre Blase entleert und den nassen Boden dann mit den Pfoten zu einem erfrischenden Schlammbad aufwühlt. Exkremente von Pflanzenfressern nehmen sie gern als kleinen Imbiss und glucksen vor Vergnügen dabei. Es ist gar nicht so leicht zu sagen, was eine Hyäne nicht frisst. Sie verschlingen selbst ihre Artgenossen (deren Ohren und Schnauzen sie als hors d'œuvres verzehrt haben), wenn sie erst einmal tot sind, nach einer Anstandsfrist von etwa einem Tag. Selbst Fahrzeuge sind nicht sicher vor ihnen - Scheinwerfer, Auspuffrohre, Spiegel. Nicht die Magensäure setzt der Speisekarte einer Hyäne Grenzen, sondern die Kraft des Gebisses, und diese Kraft ist außerordentlich.
Das war das Tier, das hier vor meinen Augen im Kreis rannte. Ein Tier, das dem Auge eine Qual war und das Herz sinken ließ.
Alles endete in typischer Hyänenart. Sie blieb am Heck stehen und stieß ein tiefes Stöhnen aus, dann kam ein anfallsweises Keuchen hinzu. Ich hangelte mich so weit auf das Ruder hinaus, dass nur meine Zehenspitzen noch das Boot berührten. Das Tier würgte und hustete. Es erbrach sich heftig. Ein Schwall landete hinter dem Zebra. Es ließ sich in das fallen, was es gerade hervorgewürgt hatte. Dort blieb es liegen, bebte und winselte, drehte sich im Kreise, durchlitt die tiefste Qual, die ein Tier durchleiden kann. Aus dieser engen Kuhle kam es den Rest des Tages nicht mehr hervor. Dann und wann machte das Zebra Anstalten, gegen seinen Peiniger zu protestieren, mit dem es Rücken an Rücken lag, doch die meiste Zeit lag es einfach nur da in hoffnungslosem dumpfen Schweigen.
Kapitel 44
Die Sonne stieg am Himmel auf, erreichte den Zenit und neigte sich von neuem dem Horizont zu. Den ganzen Tag über hockte ich auf dem Ruder und bewegte mich nur so viel wie nötig war, dass ich in der Balance blieb. Ich war ganz auf den Fleck in der Ferne fixiert, der irgendwann auftauchen musste und der meine Rettung bedeutete. Es war eine angespannte, atemlose Öde. In meiner Erinnerung an diese ersten Stunden höre ich vor allem ein Geräusch, und zwar nicht das, das man vielleicht vermuten würde, nicht das Lachen der Hyäne oder die tosende See: Was ich höre, ist das Brummen von Fliegen. Auf dem Rettungsboot waren Fliegen. Sie kamen hervorgekrochen und flogen umher nach Fliegenart, in gro-ßen, trägen Zirkeln, aus denen sie nur ausbrachen, wenn sie einander zu nahe kamen; dann drehten sie sich miteinander unter großem Gebrumme und in Schwindel erregendem Tempo. Manche waren mutig und kamen zu mir herausgeflogen. Es klang wie die spotzenden Motoren von alten Kampfflugzeugen, wenn sie ihre Loopings flogen, und von da ging es schnurstracks zur Basis zurück. Ob sie an Bord gewesen oder mit einem der Tiere gekommen waren, am ehesten wohl der Hyäne, kann ich nicht sagen. Doch woher sie auch gekommen sein mochten, sie blieben nicht lange: die letzten waren am zweiten Tag verschwunden. Die Hyäne schnappte von ihrem Platz hinter dem Zebra nach ihnen und verschlang einige davon. Einige wehte wahrscheinlich der Wind hinaus aufs Meer. Vielleicht hatten auch einige von ihnen Glück und blieben an Bord bis ans Ende ihrer Tage.
Читать дальше