in den Leib der Mutter wiedergeboren,
sechs auf einen Streich gebe ich dir nicht,
da fürcht’ ich,
dass deine Frau ein Schnütchen zieht ...
Die Stimme kam mir bekannt vor. Von Nahem erkannte ich ihn: Dieser falsche Mönch war doch tatsächlich Wang Leber.
Er war gerade dabei, seine Niwawa-Püppchen an ein paar Frauen – waren es Koreanerinnen oder Japanerinnen? – zu verkaufen.
Ich sinnierte noch darüber, dass es wohl besser wäre, Kleiner Löwe erst gar nicht hinzulassen, damit Leber nicht verletzt wäre, als sie – zwei Seelen, ein Gedanke, wie man so schön sagt – sich aus meiner Hand freimachte und zu Leber hinlief.
Ich blickte ihr nach. Schlagartig war mir klar, dass sie gar nicht zu Wang Leber, sondern zu seinen Niwawa-Püppchen wollte.
Leber hatte nicht zu viel versprochen. Die Tonkinder seines Standes waren von einer einzigartigen Schönheit. Links und rechts neben ihm verkaufte man auch Tonkinder, die grellbunt bemalt waren, und, ob es nun Mädchen oder Buben waren, alle gleich aussahen. Seine Tonkinder waren kräftig bunt, wirkten dabei aber natürlich; jedes einzelne war unterschiedlich. Jede Puppe war eine eigene Persönlichkeit; die eine war lebhaft, die andere ein vorwitziger Spaßmacher, die nächste bezaubernd naiv, wieder welche muffelig, und nicht zuletzt waren da die übermütigen, die laut lachend losprusteten. Ein Blick und ich wusste sofort, das mussten die Tonkinder von Hao Große Hand, dem berühmten Lehm- und Tonskulpturenkünstler aus Nordost-Gaomi sein. 1999 hatten er und meine Tante geheiratet. Er verkaufte seine Tonkinder seit vielen Jahrzehnten immer auf seine sehr eigene Art und Weise. Wie war das möglich, dass er sie Wang Leber zum Verkauf überlassen hatte?
Leber stand neben den Tonkindern seines Stands und redete mit leiser Stimme eindringlich auf die Frauen ein, die ein Figürchen kaufen wollten.
»Die Puppen da drüben sind ohne Frage kostengünstiger. Aber sie sind mit einem Model gemacht. Meine hier sind teurer, die hat der Gaomier Tonskulpturengroßmeister Qin Strom mit geschlossenen Augen aus einem Tonklumpen herausgeknetet. An diesen Tonkindern sieht man, was lebensecht heißt! Die Haut erscheint so zart, als ob sie schon die leiseste Berührung verletzten könnte!«
Leber nahm ein Tonkind mit kleinem Mündchen in die Hand, das aussah, als sei es in Wut geraten, und erklärte: »Die Wachsfiguren der französischen Madame Tussaud und die Tonkinder unseres Großmeisters Qin sind gleichrangige Kunstwerke.
›Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker
und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase.‹
Schon mal gehört?
›Nüwa, die große Urahnin 18
und Mutter des Menschengeschlechts,
greift sich einen Batzen Lehm vom Gelben Fluss
und knetet daraus einen Menschen.‹
Schon mal gehört?
Erde ist das allerwundersamste Element.
Die Erde, die unser Meister Qin verwendet, holt er aus zwei Metern Tiefe aus dem Kiaulai-Fluss herauf. Sie besteht aus dreitausend Jahre alten Sedimenten. Sie ist Schlamm vom Grund des Kiaulai. Aus ihr besteht unsere Zivilisation, unsere Geschichte, einfach alles. Diesen Flussschlamm holt er ans Tageslicht, trocknet ihn an der Sonne, setzt ihn dem Mondlicht aus, um ihn schließlich, angereichert mit der Essenz von Sonne und Mond, auf dem Mahlstein zu zerkleinern. Dann fügt er klares Wasser hinzu aus den Tiefen des Flusses, gewonnen bei der ersten Morgenröte, und Wasser vom Grund eines Brunnens, gewonnen zum Zeitpunkt des Mondaufgangs, um alles zum einer griffigen Masse zu kneten und danach mit einem Wäschebleuel zu bearbeiten, bis die Erde teigig wie ein Mehlfladen ist. Erst dann beginnt er, die Tonkinder zu formen.
Außerdem sollt ihr noch wissen, dass er jedes Mal, wenn er ein Niwawa-Kindchen fertig hat, ihm mit dem Zahnstocher oben in den Schädel, da, wo die Fontanelle ist, ein kleines Loch piekst, um, nachdem er sich mit der Nadel in die Fingerkuppe des Mittelfingers gestochen hat, einen Tropfen seines eigenen Blutes einzufüllen. Das kleine Loch schließt er vorsichtig mit der Fingerspitze.
Dann stellt er das Tonkind zum Trocknen an einen luftigen, kühlen Ort.
7 x 7 = 49 Tage
Genau die Zeit, in der die Seele des Toten in der Zwischenwelt verharrt, um dann wiedergeboren werden zu können. Dann erst wird die Niwawa bemalt. So entstehen Tonkinder, die wirklich eine kleine Seele besitzen.
Ich will euch auch nicht verschweigen – zu fürchten braucht ihr euch nicht, wenn ich es euch jetzt verrate –, dass des Meisters Tonkinder in Vollmondnächten zu tanzen beginnen, wenn sie Flötenspiel hören. Sie tanzen und klatschen in die Hände und lachen fröhlich miteinander. Gerade so laut wie der Ton, den wir aus dem Handy hören, wenn wir mit jemandem telefonieren. Nicht sehr laut, aber sehr deutlich. Glaubt ihr mir nicht, dann nehmt ein paar Tonkinder am roten Band mit nach Haus. Wenn sie keinen Zauber besitzen, bringt sie wieder und werft sie mir hier vor meinem Stand in Scherben vor die Füße.
Ich bin mir sicher, keiner von euch wird auch nur ein einziges dieser zauberhaften Kinder missen wollen. Denn ihr würdet, wenn ihr sie zu Boden werft, Blut fließen sehen, würdet ihr Weinen hören ...«
Nachdem Wang Leber so das Blaue vom Himmel heruntergeredet hatte, kaufte jede der beiden Frauen, die zum Tempelfest angereist waren, zwei Tonkinder. Leber holte vier Präsentkartons unter dem Tisch hervor und packte die Tonkinder sorgfältig ein. Erst als die beiden Reisenden zufrieden von dannen gezogen waren, grüßte er uns und winkte uns zu sich heran.
Er hatte uns vermutlich längst erkannt. Wenn nicht mich, so zumindest Shizi, in die er doch fast fünfzehn Jahre lang hoffnungslos verliebt gewesen war. Aber er tat, als hätte er uns gerade eben erst entdeckt und rief uns wie elektrisiert entgegen: »Ach ihr! Ach, ihr beide seid es!«
»Sei gegrüßt, alter Freund! Haben wir uns lange nicht gesehen!«, sagte ich.
Kleiner Löwe lächelte ihn an und murmelte irgendetwas, das ich nicht deutlich verstand.
Leber und ich schüttelten uns mit aller Kraft die Hände. Dann ließen wir los und zündeten uns sofort Zigaretten an, ich mir eine von seinen, Marke Eight Happiness, er sich eine von meinen »General-Zigaretten«.
Kleiner Löwe schaute sich in Ruhe die Niwawa-Tonkinder an.
»Ich hatte es schon läuten hören, dass ihr beide wieder nach Hause gezogen seid. In der Fremde erfährt man, was die Heimat wert ist, denn jede Stadt hat ihre besondere Art, Hühner aufzuschneiden, nicht wahr?«
»Richtig, der Fuchs steckt den Kopf in den Bau, wenn ihn der Tod ereilt , denn ohne Heimat sein heißt leiden . Und der Apfel fällt nicht weit vom Baum . Da, wo ich geboren bin, will ich auch begraben werden«, antwortete ich ihm. »Aber wir haben Glück, dass wir in dieser Epoche leben. Überleg mal, wenn wir die Zeit jetzt fünfundvierzig Jahre zurückdrehen müssten. Ich wage nicht, darüber nachzudenken.«
»In der Vergangenheit wurde der Mensch im Käfig gehalten. Und wenn er raus sollte, dann nur an der Leine, jetzt sind wir doch freier. Hast du Geld, kannst du dir eigentlich alles erlauben, solang du dich an die Gesetze hältst.«
»Was du da gerade zum Besten gegeben hast! Alle Achtung! Dass du den Leuten so einen blauen Dunst vormachst!« Und während ich mit dem Finger auf die Tonkinder zeigte: »Haben die wirklich solche Zauberkraft?«
»Du meinst, ich scher mich nicht drum und lüge, dass sich die Balken biegen?« Mit ernster Miene fuhr er fort: »Ich sage nur die Wahrheit. Das bisschen, das ich da hinzugedichtet habe, sollte ja wohl erlaubt sein. Selbst Staatsmedien gestatten Übertreibungen, solange sich das in einem vernünftigen Rahmen bewegt.«
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