Ich erwiderte nur: »Na, dann mach du doch hier für mich weiter!«
Er rief zurück: »Tante hat mich für die Böllerschlangen eingeteilt. Um bei so einem Sauwetter Böller zu zünden, braucht man eine gute Technik.«
Mutter stand in der Tür und rief: »Wuguan, sei endlich still! Nun mach schon!«
Er fischte eine Knallerschlange, die er vorher in Plastikfolie eingewickelt hatte, aus seiner Jacke und zündete die Zündschnur an. Er hatte keinen Stecken, woran er sie hätte hängen können. Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt er sie in der einen Hand, in der anderen den aufgespannten Regenschirm, und drehte sich weg, während sie abbrannte. Schwarzer Qualm hüllte ihn ein, denn er hatte in dem heftig prasselnden Regen die Folie nicht abziehen können. Die Kinder, die wegen des Trubels alle herbeigekommen waren, sahen im Regen wie Suppenhühner aus. Sie klatschen in die Hände, stampften mit den Füßen und feuerten ihn an: »Wuguan! Qualmkopf! Qualmkopf!«
»Was gibt’s da zu schreien, ihr verdorbenen Blagen!«, rief Mutter herüber.
Bei Hochzeiten ist es so Brauch, dass die Braut, wenn sie den Hof betritt, keinen Ton sagt, schweigend das Wohnzimmer durchquert, ins Hochzeitszimmer hineingeht, ein Bein in die Höhe schwingt und auf den Kang steigt. Diese Pose nennt man »Aufs Bett steigen«.
Nicht so Renmei! Die betrat den Hof und schaute Wuguan erst mal beim Böllern zu. Der Qualm hatte Wuguan so das Gesicht geschwärzt, dass er aussah, als wäre er gerade aus dem Ofenrohr geklettert. Renmei lachte laut auf, ihre beiden Brautjungfern zupften sie verstohlen am Ärmel, aber sie reagierte nicht. Sie trug Plastikstöckelschuhe, so dass sie noch größer wirkte. Groß wie ein Baum erschien sie mir. Wuguan machte eine entsprechende Bemerkung, während er sie musterte: »Schwägerin, wer dich küssen will, muss ja erst mal auf eine Leiter steigen.«
»Wuguan, ich werde dir das Maul stopfen, wenn du nicht ruhig bist!«, rief die Mutter in lautem Ton über den Hof.
»Bist du ein Hornochse!«, sagte Renmei. »Selbst Galle und Nase schaffen das ohne Leiter!«
Fix waren da die neugierigen Ohren der alten Tanten und Großtanten gespitzt, als sie hörten, dass sich die Braut im Hof mit ihrem Schwager neckte. Ich kam mit der Kohlenschaufel aus dem Partyzelt, da klatschen die Kinder in die Hände und stampften mit den Füßen: »Der Held ist da! Der Held ist da ...«
Ich trug meine neue Uniform, hatte meinen Orden, die Ehrenmedaille dritten Grades, angesteckt, war aber weder Fisch noch Fleisch mit meinem rußverschmierten Gesicht und der Kohlenschippe in der Hand. Renmei bog sich vor Lachen. Sie hörte gar nicht wieder auf. Ich war verstört. Mir war zum Lachen und Weinen zumute. Was war nur los mit ihr? Spielten bei ihr die Nerven verrückt?
Mutter schrie wieder über den Hof: »Nun macht schon, dass ihr sie endlich ins Haus bringt!«
Ich sagte mit einem ironischen Unterton: »Gnädigste, bitte ins Hochzeitszimmer einzutreten!«
Renmei erwiderte: »Drinnen ist es stickig, draußen ist die Luft angenehm frisch.«
Die Kinder klatschten wieder in die Hände und stampften mit den Füßen: »Nun geh rein, das wird fein!«
Ich ging ins Haus zurück und holte eine Kelle voll Bonbons, rannte über den Hof zum Hoftor und streute sie mit Schwung auf die Gasse! Wie ein Bienenschwarm schwirrten die Kinder zum Tor und balgten sich in den Schlammpfützen um die Bonbons. Ich packte Renmei am Handgelenk und zog sie mit ins Haus, doch die Tür war zu niedrig, sie stieß sich am Türrahmen die Stirn, dass es knallte: »Mensch! Hier rammt man sich ja den Schädel ein!« Die Tanten schüttelten sich vor Lachen.
Klein war der Raum auch. Es drängten sich darin so viele Menschen, dass sie Hintern an Hintern standen. Die drei zuletzt Eingetroffenen zogen ihre triefend nassen Regenmäntel aus, aber es gab keinen Ort zum Aufhängen. Deswegen mussten die Mäntel an den Türrahmen gehängt werden. Der Boden war ohnehin schon feucht gewesen. Jetzt, da alle triefend und mit Schlammfüßen hereingekommen waren, war er eine einzige Schlammwüste.
In dem kleinen Zimmerchen, das unser Hochzeitszimmer sein sollte, war auch der Kang nicht mal zwei Meter lang. Am Kopfende des Kangs lag aufeinander gestapelt die Aussteuer, die die Eltern Renmeis vorbeigebracht hatten. Vier neue Baumwollsteppdecken und zweimal neues Bettzeug, dazu zwei Wolldecken und zwei Kopfkissen. Der Stapel war so hoch, dass er fast an die mit Papier beklebte Zimmerdecke stieß. Kaum hatte Renmeis Hintern die Matte auf dem Kang berührt, schrie sie auch schon: »Aua, Mama! Das ist doch kein warmer Kang! Das ist eine Kochplatte!«
Jetzt reichte es meiner Mutter. Sie pochte laut mit dem Krückstock auf den Boden: »Und wenn schon! Meinetwegen ist es eine Kochplatte, aber da setzt du dich jetzt drauf. Mal sehen, ob wir deinen Schinken gar geröstet kriegen.«
Renmei lachte wieder schallend. Sie flüsterte mir zu: »Renner, deine Mutter hat einen seltsamen Humor. Wenn ich meinen Hintern hier röste, wird aus unserm Weltmeisterbaby nichts.«
Ich war so wütend, dass ich jeden Augenblick bewusstlos hätte hinknallen können. Aber an einem solchen Glückstag macht ein Wutausbruch einen schlechten Eindruck. Also streckte ich die Hand aus und befühlte die Bastmatte auf dem Kang. Sie war wirklich kochend heiß. Weil wir so viele Gäste im Haus hatten – alle Tanten und Großtanten, Cousinen, Schwägerinnen waren ohne Ausnahme gekommen und blieben zum Essen –, kochte unter dem Dämpfer ununterbrochen Wasser. Dampfnudeln, Nudeln und alle möglichen Gerichte wurden zubereitet. Der Herd lief auf Hochtouren. Es stimmte, dass die Matte fast brutzelte. Ich zog eine Steppdecke aus dem Bettzeugturm heraus, faltete sie, schob sie an die Wand und sagte: »Gnädigste, bitte aufzusteigen und Platz zu nehmen!«
Renmei keuchte vor Lachen: »Renner, du Spaßvogel. Was soll der Scheiß, mich immer mit Gnädigste anzureden? Sag doch Schwiegertochter, wie wir es hier auf dem Dorf gewohnt sind, oder sag einfach wie früher Renmei.«
Ich sagte gar nichts mehr. Dass ich mir so eine durchgeknallte Braut aufgebürdet hatte! Jetzt musste ich die Suppe auslöffeln. Hörte sie denn nicht heraus, dass ich es ironisch meinte und meinem Unmut über sie damit Luft machte?
»Okay, wird gemacht. Schwiegertochter Renmei, bitte auf den Kang!«
Ich ließ mir von ihren beiden Cousinen erklären, wie das mit den Schuhen funktionierte, und zog ihr die Schuhe und die beiden völlig verschlammten Nylonsocken aus, um sie sodann auf den Kang zu heben. Dort stand sie sofort auf und stieß mit dem Kopf gegen die Decke. In diesem engen, niedrigen Raum sah sie noch größer aus. Sie hatte verschwindend schmale Wadenmuskeln an ihren Kranichbeinen, und ihre Füße waren auch nicht gerade klein. Sie konnten sich von der Größe her mit meinen messen. Sie tänzelte mit den nackten Füßen auf diesem keine zwei Quadratmeter großen Kang immer im Kreis herum, so dass sie ihn allein mit Beschlag belegte und nicht einmal die Brautjungfern noch drauf passten, obwohl es doch bei uns Brauch ist, dass sie neben der Braut sitzen müssen. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich einen anderen Platz zu suchen. Die eine stand in der Zimmerecke, die andere saß auf der Kangkante. Als ob Renmei ihre Größe herausstreichen wollte, ging sie auf Zehenspitzen und drückte den Kopf gegen die Decke. Es schien ihr Spaß zu machen, auf dem Kang im Kreis zu trippeln, zu hopsen und dabei gegen die Zimmerdecke zu stoßen. Mutter steckte den Kopf zur Tür herein: »Schwiegertochter, wo willst du heut Nacht schlafen, wenn du den Kang zum Einstürzen bringst?«
»Wenn er einstürzt, schlafen wir auf dem Fußboden«, gackerte Renmei.
Gegen Abend kam auch meine Tante zum Essen. Sie war noch am Hoftor und hatte den Fuß noch nicht auf den Hof gesetzt, da rief sie schon laut: »Eure Tante ist da! Holt mich denn keiner zur Begrüßung ab?«
Читать дальше