VERMUMMTER 1: Der verwechselt Sozialismus und Kapitalismus.
VERMUMMTER 2: Richtig! Der hält die Guten für die Bösen!
VERMUMMTER 1: Richtig! Großherzigkeit hält der für ruchlose Bestialität.
CHEN NASE: Richtig! Bestien seid ihr: eine teuflische Drachenbrut, wie bluttriefende Innereien vom Rind, Rindskutteln und Blutsuppe, wie Wölfe und Katzen, wie das vom Hund Erbrochene, noch unterhalb des Abschaums unserer Gesellschaft angesiedelte, verabscheuenswerte Untermenschen.
VERMUMMTER 2: Du erdreistest dich, uns als gesellschaftlichen Abschaum zu beschimpfen? Uns Untermenschen zu nennen? Du im Müll wühlendes Dreckschwein, weißt du eigentlich, mit wem du es hier zu tun hast?
CHEN NASE: Ich weiß nur zu gut, was ihr tut und wer ihr seid. Ich weiß nicht nur, was ihr tut, ich weiß auch, was ihr getan habt.
VERMUMMTER 1: Ich sehe, wir sollten dich zum Fluss schaffen, damit du ein kühles Bad nehmen kannst.
VERMUMMTER 2: Morgen früh werden die Gläubigen, die zum Tempel kommen, um Weihrauch zu verbrennen und für ihr Tonkind ein rotes Band zu erbitten, feststellen, dass der alte Bettler am Tempeltor samt seinem humpelnden Hund verschwunden ist.
VERMUMMTER 1: Das kümmert aber keinen.
Die Vermummten Nr. 1 und Nr. 2 fechten mit Chen Nases Hund einen heftigen Kampf aus. Der Hund wird von ihnen erschlagen. Nase wird zu Fall gebracht und liegt am Boden. Als die Vermummten ihn gerade erstechen wollen, zieht Augenbraue ihren Schleier vom Kopf, zeigt ihr grimmiges, furchterregendes Antlitz und stößt den schrillen Schrei eines Dämons aus. Die maskierten Männer lassen von ihrem Vater ab und suchen zu Tode erschrocken das Weite.
Ende des fünften Aufzugs
Sechster Aufzug
Ein großer runder Tisch steht im Hof eines bäuerlichen Anwesens. Der Tisch ist festlich gedeckt, und im Hintergrund der Bühne verkündet ein Spruchband mit sechs Schriftzeichen:
金娃滿月盛宴
Monatsfeier für das Goldkind.
Kaulquappe trägt ein traditionelles chinesisches Festgewand aus Brokat mit den aufgestickten Schriftzeichen Glück 福 und Langes Leben 壽.
Kaulquappes Grundschulfreunde Hand, Backe und der kleine Cousin betreten nacheinander die Bühne, sprechen höfliche Worte und beglückwünschen Kaulquappe.
Gugu betritt in Begleitung von Hao Große Hand und Qin Strom feierlich die Bühne; sie trägt einen purpurfarbenen langen chinesischen Mantel.
KAULQUAPPE: (voller Freude)
Gugu, nun bist du doch gekommen!
GUGU: Die Familie Wan hat einen kleinen Stammhalter bekommen. Wie könnte ich da nicht zugegen sein?
KAULQUAPPE: Dass jetzt ein Goldkind auf dem bescheidenen Anwesen der Wans ins Gras plumpst, daran hat unsere Gugu den allergrößten Verdienst.
GUGU: Aber nicht doch, Renner!
Ausnahmslos alle schauen sich an und lachen, aber keiner der Anwesenden versteht, was gemeint ist. Gugu zeigt auf Große Hand und Qin Strom.
Mit Ausnahme dieser beiden habe ich euch, die ihr hier versammelt seid, alle mit meinen eigenen Händen ans Licht der Welt befördert. Wie viele Pickel eure Mütter auf dem Bauch haben, darüber weiß ich Bescheid.
(alle lachen)
Warum bittet hier keiner die Gäste an den Tisch und sagt ihnen, dass sie sich setzen sollen?
KAULQUAPPE: Bevor du nicht Platz nimmst, Tante, traut sich keiner an den Tisch.
GUGU: Wo ist dein Vater? Er soll sich auf den Ehrenplatz an den Kopf des Tisches setzen.
KAULQUAPPE: Mein Vater hat eine leichte Erkältung. Er ist zu meiner Schwester hinübergegangen und ruht sich aus. Er sagt, du sollst dich auf den Ehrenplatz setzen.
GUGU: Dann will ich diese Aufgabe gewissenhaft übernehmen.
GÄSTE: So soll es sein! Das mach mal!
GUGU: Kaulquappe, du und Kleiner Löwe, ihr seid beide über ein halbes Jahrhundert alt und habt trotzdem dieses kleine Dickerchen zur Welt gebracht. Obwohl wir uns damit nicht für das Guinness-Buch der Weltrekorde – es heißt doch Guinness? – bewerben können, ist es das erste Mal in meiner über fünfzigjährigen Berufspraxis, dass so etwas vorkommt. Deswegen verheißt das mit Sicherheit besonders viel Glück.
Alle pflichten Gugu bei, manche sagen: »Besonders glückverheißend!«, manche sagen: »Ein Wunder!«
KAULQUAPPE: Das haben wir Gugus guter Zaubermedizin zu verdanken!
GUGU: (ergriffen)
Als ich jung war, bin ich eine resolute Materialistin gewesen, aber auf meine alten Tage gehe ich immer mehr in Richtung Idealismus.
LI HAND: In der Philosophiegeschichte sollte der Idealismus auf jeden Fall seinen angestammten Platz haben.
GUGU: Hört, hört! Da sieht man’s mal wieder, dass die Studierten und die ohne Bücherwissen sich eben doch unterscheiden.
YUAN BACKE: Wir sind doch alle ungehobelte Landnasen und kümmern uns nicht um materialistisch oder idealistisch.
GUGU: Es mag sein, dass es in unserer Welt keine Götter und Geister gibt, aber das Gesetz von Ursache und Wirkung und die Vergeltung schlechter Taten gibt es. Dass Kaulquappe und Kleiner Löwe mit über fünfzig Jahren noch einen Sohn bekommen haben, beweist, dass die Wans in der Vergangenheit Wohltaten angehäuft haben.
COUSIN JINXIU: Es ist aber auch deiner Medizin zu verdanken.
GUGU: Da sieht man mal wieder: Ehrlichkeit bringt’s weit.
(zu Kaulquappe gewandt)
Als deine Mutter noch lebte, war sie immer mit allem geizig. Mit dir sind andere Zeiten gekommen, Geld ist reichlich vorhanden, und dazu schneit so ein freudiges Ereignis herein. Jetzt können die Wans auch mal zeigen, wer sie sind, und können beim Geldausgeben beherzter sein!
KAULQUAPPE: Gugu, sei beruhigt! Wir werden zwar keine Kamelhufe und Bärentatzen verspeisen, aber es wird genug Geflügel, Fisch und Fleisch geben.
GUGU: (blickt über den Tisch und sieht sich das Essen an)
Es ist wie eh und je. Viele Schalen, aber knapp bemessenes Essen. Wie sieht es mit Schnaps aus? Was trinken wir?
KAULQUAPPE: (holt zwei Flaschen Maotai hervor, die er unter den Tisch gestellt hatte)
Es gibt Maotai.
GUGU: Ist das echter oder gepanschter?
KAULQUAPPE: Von Liu Guifang, der Chefin des Gästehauses der Stadtregierung, habe ich ihn. Sie hat gesagt, der sei hundertprozentig echt.
LI HAND: Wir sind mit ihr zusammen zur Schule gegangen.
YUAN BACKE: Wenn man betrogen wird, dann immer von alten Klassenkameraden.
GUGU: Die Kleine ist die zweite Tochter des Liu Baofu aus Liujiazhuang, die habe ich auch ans Licht der Welt geholt.
KAULQUAPPE: Ich habe diese Verbindung zu dir auch besonders betont, und sie hat mir aus Ehrerbietung dir gegenüber nur Schnaps aus ihrem Tresor gegeben.
GUGU: Na, gut. Dann will ich mal davon ausgehen, dass es ihr peinlich wäre, mir keinen echten Schnaps zu trinken zu geben.
Kaulquappe öffnet den Schnaps und bittet Gugu, davon zu kosten und ihn auf Echtheit zu überprüfen .
GUGU: Der Schnaps ist gut! Hundertprozentig echter Maotai. Schenkt euch alle ein! Gebt eure Gläser her!
Kaulquappe gießt allen Schnaps ein .
GUGU: Weil ich auf dem Ehrenplatz sitze, will ich auch einen Trinkspruch aussprechen: Das erste Glas trinke ich auf die Kommunistische Partei und danke unseren Kadern für ihren guten Führungsstil, dafür, dass nun alle über genug Geld verfügen und alle ihr Denken befreit haben, also dafür, dass es allen gut geht. Dieser Satz war nötig, damit wir mit dem Guten, das wir noch vorhaben, beginnen können. Was meint ihr, habe ich richtig gesprochen oder nicht?
Alle pflichten ihr bei.
GUGU: Na, dann lasst uns darauf trinken! Auf ex!
Alle leeren ihr Glas mit einem Zug .
GUGU: Das zweite Glas Schnaps? Das trinke ich auf die ehrwürdigen Totengeister am Himmelssaum, auf die Ahnen der Wans, die so viele Wohltaten angehäuft haben, dass ihre Nachkommen nun mit Kindern und Enkeln gesegnet wurden.
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