Jedenfalls, dieser Bootsmensch hatte so gut wie die Wasserpolizei alarmiert, als ich endlich mit dem Boot kam. Aber er war stumm vor Glück, daß er seinen Kahn wiederhatte. Ich dachte: Der Mann vergißt diesen Tag auch nicht. Erst dachte ich, er würde einen Riesenaufriß machen. Ich nahm schon die Fäuste hoch. Ich war gerade in der richtigen Stimmung. Diesen Tankwart zum Beispiel an der Sonntagstankstelle hatte ich dermaßen vollgenölt, daß er nicht wieder wurde. Er wollte mir keinen Kanister pumpen. Er war von dem Typ: Und-wer-bezahlt-mir-den-Kanister- wenn-er-weg-ist? Mit solchen Leuten kann man nicht leben.
Zu Hause hängte ich meine nassen Sachen an den Nagel. Ich wußte nicht, was ich machen sollte. Ich wußte einfach nicht, was ich machen sollte. Ich war am Boden wie noch nie. Ich ließ die M. S.-Jungs laufen. Ich tanzte, bis ich kochte, vielleicht zwei Stunden, aber dann wußte ich immer noch nicht, was ich machen sollte. Ich versuchte es mit Schlafen. Ich wälzte mich ewig und drei Stunden auf dem ollen Sofa. Als ich wach wurde, war draußen der dritte Weltkrieg ausgebrochen. Ein Panzerangriff oder was. Ich jumpte von dem ollen Sofa und an die Tür, da tobte so ein Vieh mit Raupenketten und Stahlschild genau auf mich zu. Ein Bulldozer. Hundertfünfzig PS. Ich brüllte schätzungsweise wie ein Idiot. Einen halben Meter vor mir kam er zum Stehen, mit abgewürgtem Motor. Der Kerl da, der Fahrer, kam von seinem Bock. Ohne eine Warnung setzte er mir eine rechte Gerade an, daß ich zwei Meter in meine Laube flog. Ich machte sofort eine Rolle rückwärts. Damit kommt man am schnellsten wieder auf die Beine. Ich zog den Kopf ein zum Gegenangriff.
Ich hätte ihm einen linken Haken angesetzt, daß er nicht wieder geworden wäre. Ich glaube, ich sagte noch nicht, daß ich ein echter Linkshänder war. Das war ungefähr das einzige, was Mutter Wiebau mir nicht abgewöhnen konnte. Sie machte alles mögliche, um es zu schaffen, und ich Idiot machte auch noch mit. Bis ich anfing zu stottern und ins Bett zu machen. An dem Punkt sagten die Ärzte stopp. Ich durfte wieder mit der Linken schreiben, hörte auf zu stottern und wurde wieder trocken. Der ganze Erfolg war, daß ich später mit der Rechten ganz gut zurechtkam, viel besser zum Beispiel als andere mit der Linken. Aber die Linke lag doch immer vorn. Bloß, dieser Panzerfahrer dachte gar nicht daran, die Fäuste hochzunehmen. Er war plötzlich selber käseweis, setzte sich auf die Erde. Dann sagte er: 'ne Sekunde später, und du warst ein Brei und ich im Zet. Und ich hab drei Kinder. — Bist du wahnsinnig, hier noch zu wohnen?
Der machte Baufreiheit mit seinem Schrapper für die nächsten Neubauten. Ich sah wahrscheinlich ziemlich alt aus. Ich nuschelte: Ein paar Tage noch, und ich bin hier weg.
Soviel war mir in der Nacht klargeworden, daß ich in Berlin nichts mehr zu bestellen hatte. Ohne Charlie hatte ich da nichts mehr zu bestellen. Darauf lief es doch hinaus. Zwar hatte sie mit der Küsserei angefangen. Aber langsam begriff ich, daß ich trotzdem zu weit gegangen war. Ich als Mann hätte die Übersicht behalten müssen.
Er sagte noch: Drei Tage noch. Bis nach Weihnachten. Dann ist Schluß, klar?!
Dann schwang er sich wieder auf seinen Panzer. Ich war zwar entschlossen, so schnell wie möglich die Spritze fertigzumachen, aber drei Tage, das war knapp. Und blaumachen wollte ich nicht. Ich wollte nicht noch im letzten Moment ein Risiko eingehen durch Blaumachen. Zaremba wäre doch glatt nach vierundzwanzig Stunden aufgetaucht und hätte nach dem Rechten geschnüffelt. Oder Addi. Ich war immerhin sein größter Erziehungserfolg. Ich wollte die Spritze fertigmachen, sie Addi auf den Tisch knallen und dann abdampfen nach Mittenberg und von mir aus die Lehre zu Ende machen. So weit war ich. Ich weiß nicht, ob das einer versteht, Leute. Wahrscheinlich war mir einfach bloß mulmig wegen Weihnachten. Ich stand zwar nie besonders auf diesen Weihnachtsklimbim und das. »O du fröhliche« und Bäumchen und Kuchen. Aber mulmig war mir doch irgendwie. Wahrscheinlich ging ich auch deswegen gleich zur Post, um zu sehen, ob im Schließfach was von Willi war. Sonst ging ich immer erst nach Feierabend.
Mir wurde sofort komisch, als im Schließfach ein Eilbrief von Willi war. Ich riß ihn auf. Ich wurde nicht wieder. Der wichtigste Satz war… mach mit mir, was du willst. Ich hab es nicht ausgehalten. Ich hab deiner Mutter gesagt, wo du bist. Daß du dich nicht wunderst, wenn sie auftaucht. Der Brief war zwei Tage gegangen. Ich wußte, was ich zu tun hatte. Ich machte sofort kehrt. Wenn sie den Frühzug in Mittenberg nahm, hätte sie schon dasein müssen, Wegezeit eingerechnet. Folglich hatte ich noch eine Chance bis zum Abendzug. Ich kaufte einen Armvoll Milchtüten, weil Milch am einfachsten satt macht, und schloß mich in der Laube ein. Ich verhängte alle Fenster. Vorher machte ich draußen noch einen Zettel an: Bin gleich wieder da!
Im Fall aller Fälle. Das konnte auch für den nächsten blöden Bulldozer gut sein, dachte ich. Dann stürzte ich mich auf meine Spritze. Ich fing an zu schuften wie irr, ich Idiot.
»Am Montag, einen Tag vor Weihnachten, kam er nicht zur Arbeit. Wir waren nicht besonders sauer deswegen. Es war unwahrscheinlich mild, und wir konnten den Tag gut nutzen, aber wir hatten den Jahresplan längst in der Tasche. Außerdem fehlte Edgar das erste Mal, seit wir ihn wiedergeholt hatten.«
Das war mein Glück, oder wie man das nennen soll. So ziemlich die einzige von meinen Rechnungen, die aufging. Ich begreife zum Beispiel nicht mehr, warum ich mit meiner Spritze so sicher war. Aber ich war tatsächlich so sicher wie nie. Der Gedanke mit der Hydraulik war so logisch wie nur was. Dieser Farbnebel beim Spritzen kam durch die Druckluft. Fiel die weg und man brachte den nötigen Druck ohne Luft, war das Ding gelaufen. Blöd war bloß, daß ich auf die Art keine Zeit mehr hatte, mir die nötige Düse anzufertigen. Ich mußte bis Feierabend warten, am besten bis es dunkel wurde, und dann die von Addi klauen. Addis Spritze lag abgeschrieben unter unserem Salonwagen. Mein nächstes Problem war, die nötigen PS ranzuschaffen für die beiden Druckzylinder. Zum Glück hatte ich tatsächlich einen E-Motor von gut zwei PS auftreiben können. Den mußte ich sogar noch drosseln. Ich weiß nicht, ob sich einer vorstellen kann, was zwei PS anrichten können, wenn sie losgelassen sind. Vielleicht denkt auch einer, das Ganze war eine Spielerei oder was. Hobbybeschäftigung. Das ist Quatsch. Was Zaremba gesagt hatte, war richtig. Das Ding wäre eine echte Sensation gewesen, technisch und ökonomisch. Ungefähr in der Art wie der Vorderradantrieb bei Autos seinerzeit, wenn einer weiß, was das ist. An sich sogar noch eine Stufe höher. Es konnte einen berühmt machen, jedenfalls in der Fachwelt. Ich wollte es Addi auf den Tisch knallen und sagen: Drück mal auf dieses Knöpfchen hier.
Schätzungsweise wäre er nicht wieder geworden. Dann hätte ich die Sache mit Charlie in Ordnung gebracht und wäre dann abgedampft. Ich meine, ich hätte sie ihm natürlich nicht wirklich auf den Tisch geknallt. Dazu war sie langsam zu groß. Sie sah langsam aus wie eine olle Jauchepumpe mit Windantrieb. Ich hatte zwar alles, was ich brauchte, bloß nichts paßte richtig zusammen. Ich mußte einfach anfangen zu pfuschen. Sonst wäre ich nie im Leben fertig geworden. Am meisten fehlte mir eine elektrische Bohrmaschine. Außerdem hatte der Motor natürlich dreihundertachtzig Volt. Ich nahm an, er war aus einer alten Drehmaschine. Das heißt, ich mußte die zweihundertzwanzig in der Laube erst hochtransformieren. Ich hoffte bloß, daß der Trafo in Ordnung war, den ich hatte. Irgendein Meßgerät hatte ich nicht. Das war wahrscheinlich ein weiterer Nagel zu meinem Sarg. Und Zeit, eins irgendwo aufzureißen, hatte ich schon gar nicht. Außerdem liegen Meßgeräte nicht so rum wie ein oder zwei alte LKW-Stoßdämpfer. Die hatten übrigens auch nicht gerade rumgelegen, und alt waren sie vielleicht auch nicht, aber man konnte doch rankommen, wenn man wollte. Ohne die Stoßdämpfer wäre ich einfach aufgeschmissen gewesen. Die Mäntel hätten zwar dicker sein müssen, für den Druck. Notfalls wollte ich deswegen die Düse aufbohren. Das hätte zwar den Strahl dicker gemacht, aber ich wollte sowieso mit Ölfarbe anfangen. Gegen zwölf war ich so weit, daß ich die Düse brauchte zum Einpassen. Ich robbte los in Richtung Baustelle. Ich war nicht der Meinung, daß ich schon fertig war und daß der erste Versuch gleich klappen würde. Aber auf die Art hatte ich noch die Nacht lang Zeit zum Verbessern. Ich war wieder ruhiger. Mutter Wiebau konnte höchstens am nächsten Vormittag auftauchen. Sie hatte mir noch eine Chance gegeben. Auf dem Bau war alles dunkel. Ich tauchte unter unseren Salonwagen und fing an, die Überwurfmutter zu lösen. Blöderweise hatte ich kein anderes Universalwerkzeug als die halbvergammelte Rohrzange. Außerdem saß die Übermutter fest wie Mist. Ich riß mir fast den halben Arsch auf, bis ich sie locker hatte. In dem Moment hörte ich, daß Zaremba im Wagen war, und zwar mit einer Frau. Ich sagte es schon. Wahrscheinlich hatte ich sie aufgestört. Jedenfalls, als ich unter dem Wagen vorkroch, stand er vor mir. Er knurrte: No?
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