»Das war eine tragische Sache mit Edgar. Erst waren wir ziemlich am Boden. Heute ist uns vieles klarer. Edgar war ein wertvoller Mensch.«
Addi, du enttäuschst mich, und ich dachte, du bist ein Steher. Ich dachte, du machst das nicht mit, über einen, der über den Jordan gegangen ist, diesen Mist zu reden. Ich und ein wertvoller Mensch. Schiller und Goethe und die, das waren vielleicht wertvolle Menschen. Oder Zaremba. Es hat mich sowieso zeitlebens immer fast gar nicht getötet, wenn sie über einen Abgegangenen dieses Zeug redeten, was er für ein wertvoller Mensch war und so. Ich möchte wissen, wer das aufgebracht hat.
»Wir haben Edgar leider von Anfang an falsch angefaßt, einwandfrei. Wir haben ihn unterschätzt, vor allem ich als Brigadeleiter. Ich hab in ihm von Anfang an nur den Angeber gesehen, den Nichtskönner, der nur auf unsere Knochen Geld verdienen wollte.«
Klar wollte ich Geld verdienen! Wenn einer keine Tonbänder mehr kaufen kann, muß er Geld verdienen. Und wo geht er in diesem Fall hin? Zum Bau. Motto: Wer nichts will und wer nichts kann, geht zum Bau oder zur Bahn. Bahn war mir zu gefährlich. Da hätten sie garantiert nach Ausweis und Aufenthaltsgenehmigung gefragt und dem Käse. Also Bau. Auf dem Bau nehmen sie jeden. Das wußte ich. Sauer war ich bloß, als ich zu Addi und Zaremba und der Truppe reinkam, sie renovierten olle Berliner Wohnungen, immer gleich hausweise, und Addi sagte sofort: »Morgen«, sagt man, wenn man reinkommt!
Den Typ kannte ich. Frag so einen mal nach Salinger oder einem. Da kommt garantiert nichts. Da denkt er, das ist ein Fachbuch, das ihm entgangen ist.
Vielleicht wär alles anders gekommen, wenn Addi an dem Tag blaugemacht hätte oder was. Auf die Art war ich natürlich gleich kontra. Kann auch sein, daß meine Nerven nicht die besten waren zu der Zeit, wegen der Sache mit Charlie. Es ging mir doch mehr an die Nieren als ich gedacht hatte.
Das nächste, was Addi machte, war, daß er mir eine von diesen Malerrollen hinhielt und mich fragte, ob ich so was schon mal in der Hand gehabt habe. Jeder Pionier kennt diese Dinger. Folglich verweigerte ich glatt die Aussage. Danach hielt er mir einen Pinsel hin und schickte mich zu Zaremba. Fenster vorstreichen. Alle glotzten natürlich, wie ich mich anstellen würde. Aber mir wurde sofort besser, als ich Zaremba sah. Sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Ich sah sofort, der Alte war ein Vieh. Zaremba war über siebzig. Er konnte längst auf Rente sein, aber er rackerte hier noch rum. Und nicht etwa als Lückenbüßer. Er konnte sich eine Bockleiter zwischen die Beine klemmen und damit regelrecht durch die Stube tanzen und wurde nicht die Bohne naß dabei. Abgesehen davon, daß er sowieso nur aus Haut, Knochen und Muskeln bestand. Wo sollte da Wasser herkommen. Einer seiner Tricks war, sich von jemand ein offenes Taschenmesser auf den Bizeps fallen zu lassen. Es sprang weg wie aus Gummi. Oder er spielte den Glöckner von Notre-Dame. Dazu nahm er ein Auge raus, er hatte ein Glasauge, knickte in der Hüfte ein und wankte durch die Gegend. Wir lagen regelmäßig am Boden. Das Glasauge hatte er sich in Spanien eingehandelt. Das heißt: Gemacht hatte es ihm einer in Philadelphia. Außerdem fehlten ihm noch ein Stück von einem kleinen Finger und zwei Rippen. Dafür hatte er noch alle Zähne und beide Arme und die Brust voll Tätowierungen. Aber nicht diese dicken Weiber und Herzen und das und Anker. Das wimmelte bloß so von Fahnen, Sternen und Hammer und Sichel, da war sogar ein Stück Kremlmauer. An sich war er wohl aus Böhmen oder so. Aber das schönste war, daß er es noch mit Frauen hatte. Ich weiß nicht, ob das einer glaubt, es war aber Tatsache. Zaremba betreute unseren Bauwagen. Er machte da sauber und hatte immer den Schlüssel. Es war ein ziemlich schmuckes Fahrzeug. Mit zwei Kojen und allem Drum und Dran. Einmal, es war schon dunkel, schlich ich mich da ran. Ich wußte bis dahin gar nichts, sondern ich hatte aus einem ganz beistimmten Grund etwas unter dem Wagen zu machen. Da hörte ich deutlich, wie er eine Frau am Wickel hatte. Ihrem Lachen nach muß sie sehr nett gewesen sein. Es soll aber keiner denken, ich wäre Zaremba wegen alledem gleich um den Hals gefallen. Das nun nicht. Schon nicht, weil er mich als erstes fragte, ob ich mit der Gewerkschaft auf dem laufenden wäre. Er war Kassierer. Das tötete mich immer fast gar nicht. Wenn es nicht Zaremba gewesen wäre, hätte ich sofort kehrtgemacht. So hielt ich ihm kurz mein Buch hin. Er nahm es mir weg und fing an es durchzuschnüffeln. Wahrscheinlich wollte er nur Bescheid wissen über mich. Natürlich hatte ich in Berlin nicht bezahlt. Sofort hatte er seine komische Blechschachtel draußen, und ich sollte nachzahlen. Kunststück, wenn einer nicht mal Tonbänder kaufen kann. Wahrscheinlich wollte er das nur wissen.
Dann fing ich also an, freiweg eins von diesen Fenstern vorzustreichen. Die Farbe lief nur so über das Glas. Ich hatte zu Hause x-mal die Fenster gestrichen, aber ich brachte es einfach nicht anders fertig. Hätten sie nicht so geglotzt, wie ich mich anstelle, hätte ich das sauberste Fenster hingelegt. Nicht so sauber wie Zaremba. Zaremba malte wie eine Maschine. Aber so sauber wie irgendein anderer von ihnen immer noch, einschließlich Addi. Addi wurde sichtlich nervös. Er ging bloß deshalb nicht gleich in die Luft, weil ja Zaremba neben mir war. Daß ich Zaremba nicht aus der Ruhe bringen würde, war mir ziemlich schnell klar. Er sah mich gar nicht. Jedenfalls hielt es Addi nicht mehr aus und keifte los: Ich würde das ganze Fenster zuschmieren!
Was ich machte, ist wohl klar. Ich fing an, das ganze Fenster zuzuschmieren. Ich dachte, Addi fällt von der Leiter. Aber dann fiel ich fast von der Leiter, wenn ich auf einer gewesen wäre. Direkt neben mir fing Zaremba plötzlich an zu singen! Ich dachte, mich tritt ein Pferd und streift ein Bus und alles zusammen. Zaremba dröhnte, und die anderen machten fast sofort mit, und zwar nicht irgendeinen Schlager oder was, sondern eins von diesen Liedern, von denen man immer nur die erste Strophe kennt. Aber diese Truppe dröhnte den ganzen Song runter. Ich glaube: Auf, Sozialisten, schließt die Reihen. Die Trommel ruft, die Fahnen wehn…
Das war eine Truppe, Leute! Auf, Sozialisten! Mir fiel fast der Pinsel aus den Pfoten. Das war so Zarembas Methode, wenn der liebe Addi in die Luft gehen wollte. Das stellte sich bei der nächsten Gelegenheit heraus. Es war in irgendeiner ollen Küche. Die Wand war da ziemlich rissig, und ich sollte sie ausgipsen. Sagte Addi: Gelegentlich mit Gips zu tun gehabt? — Dann sieh dir mal die Wand an.
In diesem Stil.
Ich fing also an, in irgendeinem Eimer Gips anzurühren. Ich weiß nicht, wer das kennt, Leute. Ich nahm jedenfalls zeitlebens immer erst zuviel Wasser, dann zuviel Gips und so weiter. Auf diese Art wurde langsam der Eimer voll, und ich hätte schon ein As sein müssen, wenn das Zeug nicht hart werden sollte. Ich sah schon ziemlich alt aus, da kam die Rettung. Addi verlor die Nerven. Er fauchte: Ich würde den ganzen Eimer voll machen.
Was Besseres fiel ihm nicht ein. Ich parierte natürlich aufs Wort und kippte den ganzen Gips in den Eimer. Fast in derselben Sekunde fing Zaremba zu singen an. Er konnte uns gar nicht sehen aus dem Klo oder wo er gerade steckte. Aber er mußte es wohl gerochen haben, was los war. Es war wieder so eine Schote, diesmal mit Partisanen, und wieder zog die ganze Truppe mit. Er hatte sie gut im Griff. Addi riß sich fast sofort zusammen und schickte mich in eins der Zimmer, den Boden fegen, wegen Vorstreichen. Ich an seiner Stelle hätte mir wahrscheinlich den ganzen ollen Eimer mit dem Gips über die Bonje gekippt. Aber Addi riß sich zusammen. Da ging mir das Licht auf, was es mit dem Gesinge auf sich hatte. Ich schob ab. Ich war bloß gespannt, was Zaremba machen würde, wenn ich ihm selber so kam. Ob er da auch singen würde. Vorher hörte ich noch, wie Zaremba zu Addi in die Küche tobte und ihn anknurrte: Mußt ruhiger werden, Kerl. Viel ruhiger. No?
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