Kein weißer Mann könnte sich der Gefahr tapferer stellen als die farbigen Truppen. Während des Granatfeuers zeigte Sebastian untadeligen Mut. Welch ein Fehler, daß ich Soldaten seiner Rasse als mir unterlegen betrachtete. Der Tod des Sergeants läßt mich an all dem, an das ich bisher glaubte, heftig zweifeln.
Der Versorgungszug ratterte südwestwärts. George fuhr, in seinen Mantel gehüllt, auf einem offenen Waggon. Es war ein grauer Samstag; Montag würde der 1. November sein. Die Luft roch nach Schnee und danach, daß die Belagerung nach dem fehlgeschlagenen Vorstoß vom letzten Donnerstag wieder zu einschläfernder Ruhe übergehen würde.
Der Zug nahm eine Biegung; die von Granaten zerfetzten Bäume blieben zurück, ein überfülltes Camp kam ins Blickfeld. Auf gefrorenem Boden wurde schwarze Infanterie gedrillt, während George und sein mürrischer Begleiter vorbeifuhren.
»Schauen Sie sich dieses Spektakel an«, sagte der Colonel. »Vor fünf Jahren hätte kein anständiger Christ das für möglich gehalten.«
George hob eine Augenbraue, was der Colonel für Interesse hielt. Hitzig fuhr es fort: »Eine einzige Verschwörung, um den weißen Mann dem Nigger zu unterwerfen. Ich werd’ Ihnen sagen, was dabei herauskommt. Blut in den Straßen. Mehr Blut, als je in diesem Krieg vergossen worden ist, denn die Weißen werden nicht zulassen, daß man sie versklavt.«
»Tatsächlich?« sagte George. »Ich dachte, die Sklaverei hört auf, und nicht, sie fängt an. Ich danke Ihnen für die Aufklärung, Sir.«
»Bei Gott, Sie lachen über mich. Ihr Name, Major?«
»Harriet Beecher Stowe«, sagte George und sprang vom Waggon.
Mittlerweile hatte es stärker zu schneien begonnen. Düster gestimmt trampte er auf das Camp des Pionierbataillons zu.
Das Camp hallte von Axtschlägen wieder. Der plötzliche Kälteeinbruch hatte den Bau von Hütten beschleunigt.
Der Adjutant im Hauptquartier sagte, Billy sei in einem Arbeitsschuppen am Rande des Lagers. Als Billy seinen Bruder eintreten sah, grinste er und winkte ihm zu. Er war sehr dünn geworden. Schau ich auch so schrecklich aus? fragte sich George. Vermutlich.
Die Brüder umarmten sich. Billy grinste breit: »Wie geht’s dir? Beim Gedanken, daß du kommst, konnte ich letzte Nacht nicht schlafen.«
Sie gingen zur Messe und begannen zu erzählen. Billy berichtete von einigen seiner Gefängniserlebnisse.
»Ich glaube, wir können für eine ganze Menge dankbar sein«, sagte Billy. »Ich hätte im Gefängnis sterben können. Ohne Charles wäre ich wahrscheinlich auch tot.«
»Irgendeine Ahnung, wo er steckt?«
Billy schüttelte den Kopf. »Wade Hampton hatte hier in der Gegend einige hitzige Gefechte.« Er schaute nachdenklich drein. »Ich kann keine Begeisterung mehr fürs Soldatspielen aufbringen. Ich glaube nicht, daß ich bei der Armee bleiben möchte, falls ich je heil heimkomme.«
»Als ich Herman Haupt das letztemal sah, sprach er über den Westen. Er meint, nach dem Krieg würden da draußen wie verrückt Eisenbahnen gebaut werden. Die Idee der Transkontinentallinie wird zweifellos wieder aufleben. Er meint, für fähige Ingenieure bieten sich da großartige Möglichkeiten.«
»Da kann man mal drüber nachdenken.« Billy nickte. »Vorausgesetzt, wir bringen Bob Lee jemals zur Kapitulation.«
»Die Belagerung zieht sich sicher noch eine Weile hin«, stimmte George zu. »Scheußliche Sache. Es heißt, die Rebellen seien am Verhungern. Eine Handvoll Mais pro Tag, wenn überhaupt. Ich weiß, sie haben den ersten Schuß abgefeuert. Ich weiß, sie müssen geschlagen werden, bis sie aufgeben. Aber es gibt Tage, da fühle ich mich so deprimiert wie noch nie in meinem Leben.«
Billy starrte in seine leere Blechtasse. »Mir geht es ebenso.«
George war der ältere der Brüder, und aus irgendeinem Grund hatten nun mal ältere Brüder klug und stark zu sein. Er machte einen ziemlich fadenscheinigen Versuch.
»Wir schaffen es, wir kommen durch, mach dir nur keine Sorgen.«
In den Augen seines Bruders entdeckte George traurige Skepsis. Billy glaubte kein Wort von dem, was er eben gesagt hatte.
Nun, er selbst glaubte es auch nicht. Er hatte zuviel von Washington und Petersburg gesehen. Er hatte die Feuerglocken im April läuten hören, vor langer Zeit schon.
116
Das Kratzen ihrer Feder und das Rauschen des Meeres – das waren die einzigen Geräusche in der vollgestopften, schäbigen Kabine.
Ashton beugte sich über das Rechnungsbuch auf dem winzigen Tisch unter der flackernden Lampe. Huntoon lag in der unteren Koje und betrachtete sie mürrisch. Nach ihrer Abfahrt von Hamilton, Bermuda, hatte er den ganzen ersten Tag mindestens jede halbe Stunde einmal in einen Eimer erbrochen. Am zweiten Tag schaffte er es bis zur Reling, aber der Gestank hielt sich in der Kabine.
Ashton wog neun Pfund weniger als am Tag, an dem Orry ihr Mordkomplott aufgedeckt und sie fortgejagt hatte. Sie sehnte sich nach einer Gelegenheit, sich an ihrem Bruder zu rächen. Im Moment aber hatte sie wichtigere Ziele. Überleben. Montreal erreichen, dann den Südwesten. Ihre Schönheit wieder herstellen; im Augenblick sah sie gräßlich aus.
Ihr dringlichster Wunsch aber war, wieder bei Powell zu sein.
Schwere Brecher schüttelten die Royal Albert durch. Es war der Abend des Wahltags im Norden. November, die Zeit der rauhesten See im Nordatlantik.
Von seiner Koje aus röchelte Huntoon: »Wie spät ist es?«
Zahlen niederschreibend sagte Ashton: »Schau auf deine Uhr.«
Er gab pathetische Geräusche von sich, um die damit verbundene Anstrengung zu demonstrieren. »Fast elf. Willst du die Lampe nicht löschen?«
»Erst, wenn ich fertig bin.«
»Was tust du?«
»Unsere Zinsen ausrechnen.« Die Nassau-Bank, in der ihre Profite deponiert waren, würde nicht wissen, wohin sie ihre Quartalsberichte schicken sollte, bis Powell die neue Regierung etabliert hatte.
Schnell rechnete sie die Zahlen zusammen. »Fast eine Viertelmillion Dollar. Das entschädigt uns zumindest einigermaßen für dieses Elend.«
Huntoons runde Brillengläser beschlugen; er schwitzte. »Möglicherweise fordert Lamar einiges von diesem Geld.«
»Oh nein. Er bekommt keinen Penny, bis die neue Regierung im Amt ist, und vielleicht nicht mal dann. Bei diesem Abenteuer riskiert er das Gold aus seiner Mine – wir riskieren unser Leben.«
»Ich opfere lieber unser Bankkonto als unser Leben«, entgegnete er weinerlich. »Aber wenn du ehrlich bist, dann riskiert auch Powell mehr als nur sein Gold. Ich meine, er geht die gleichen physischen Gefahren ein wie wir.«
»Das sollte er auch. Es ist sein Plan.«
Ashton liebte Powell, sah aber in ihrer Einstellung keinen Widerspruch. Ein Plan war fehlgeschlagen; es konnte auch ein zweitesmal passieren. Merkwürdigerweise hatte der Fehlschlag Powell nicht verbittert, obwohl er sich wochenlang in dieser dreckigen Mansarde hatte verstecken müssen, bevor er nach Wilmington geflohen war.
Auf Ashtons Betreiben hin hatte Huntoon eine Nachricht in einer von Powells Lieblingskneipen hinterlegt. So hatte er erfahren, was passiert war, und war via Nassau in Hamilton wieder zu ihnen gestoßen. Entdeckung, Flucht, Angst vor Verfolgung, all das hatte seine Entschlossenheit nur noch verstärkt. Ashton war überzeugt, daß Powell diesmal Erfolg haben und eine neue Nation ins Leben rufen würde.
Während der Zeit hier an Bord drängte sie ihn gelegentlich, ihr Einzelheiten über den neuen Staat mitzuteilen. Wo und auf wieviel Land? Wieviele Siedler erwartete er, und von wievielen Bewaffneten sollten sie verteidigt werden? Er behauptete, über sämtliche Antworten zu verfügen, sie aber lieber für sich behalten zu wollen – ein weiterer Grund, weshalb Ashton ihm ihren Körper, aber nicht ihr Geld geben wollte.
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