»Für heute ist unsere Zeit um, ihr beiden. Nächste Woche zeige ich euch, was die Römer aus dieser und den anderen Niederlagen, die Hannibal ihnen zugefügt hat, gelernt haben. In Cannae sind sie zwar sehr fantasielos vorgegangen, aber sie haben dann einen neuen Heerführer gefunden, der für seinen Ideenreichtum und seinen Wagemut berühmt war. Vierzehn Jahre später traf er in der Schlacht von Zama auf Hannibal, und diesmal ging die Sache völlig anders aus.« »Wie hieß der Mann?«, fragte Marcus aufgeregt.
»Er hatte mehr als nur einen Namen. Sein richtiger Name lautete Publius Scipio, aber wegen der Schlachten, die er gegen Karthago gewann, wurde er als Scipio Africanus bekannt.«
Als Gaius auf seinen zehnten Geburtstag zuging, war aus dem Kind ein athletischer, geschickter Knabe geworden. Er konnte mit allen Pferden des Gutes umgehen, selbst mit den schwierigen, die eine starke Hand brauchten. Sie schienen sich unter seiner Berührung zu beruhigen und reagierten willig auf ihn. Nur ein einziges Pferd wollte ihn einfach nicht im Sattel lassen. Gaius wurde elf Mal abgeworfen, bis Tubruk das Tier schließlich verkaufte, bevor dieser Machtkampf eines schönen Tages noch einen der beiden umbrachte.
In Abwesenheit von Gaius’ Vater war Tubruk bis zu einem gewissen Umfang für die Geldgeschäfte des Gutes verantwortlich. Er entschied darüber, wo der Reingewinn aus Getreide und Vieh am besten angelegt war. Obwohl dies bereits ein großer und ungewöhnlicher Vertrauensbeweis war, erstreckte sich Tubruks Befugnis nicht darauf, die Kämpfer für die Unterrichtung der Jungen in Kriegskunst einzustellen. Diese Entscheidung musste vom Vater getroffen werden, weil diesem sämtliche Aspekte der Erziehung oblagen. Nach römischem Recht hätte Gaius’ Vater die Jungen sogar erdrosseln oder in die Sklaverei verkaufen dürfen, wenn sie sein Missfallen erregten. Seine Macht über den gesamten Haushalt war absolut, und jeder tat gut daran, sein Wohlwollen nicht aufs Spiel zu setzen.
Zur Geburtstagsfeier seines Sohnes kam Julius nach Hause. Tubruk ging ihm zur Hand, als er bei einem Bad im Mineralwasserbecken den Staub der Reise abwusch. Obwohl er zehn Jahre älter war als Tubruk, trug sein sonnengebräunter Körper die Jahre mühelos, während er durchs Wasser glitt. Als sich ein Schwall heißes Wasser aus einer Leitung in das ruhige Wasser des Beckens ergoss, stieg Dampf in kleinen Schwaden auf. Tubruk registrierte im Stillen den guten Gesundheitszustand seines Herrn und freute sich darüber. Geduldig wartete er, bis Julius sein ausgiebiges Bad beendet hatte und auf den Marmorstufen neben der Zuflussleitung ruhte, wo das Wasser seicht und am wärmsten war.
Julius lehnte sich gegen den kühlen Beckenrand und hob die Brauen. »Berichte«, forderte er Tubruk auf und schloss die Augen.
Tubruk stand steif da, führte die Gewinne und Verluste des letzten Monats auf und hielt dabei den Blick starr auf die hintere Wand gerichtet. Er sprach frei von kleinen Problemen und Erfolgen, ohne auch nur einmal auf seine Notizen zurückgreifen zu müssen. Schließlich kam er zum Ende seines Berichts und wartete schweigend. Nach einer Weile öffneten sich die Augen des einzigen Mannes, der ihm je Arbeit gegeben hatte, ohne ihn zu besitzen. Sie fixierten ihn mit einem Blick, der von der Wärme des Wassers nicht weich geworden war.
»Wie geht es meiner Frau?«
In Tubruks Gesicht regte sich kein Muskel. War es sinnvoll, diesem Mann zu sagen, dass es seiner Gemahlin noch schlechter ging? Sie war einmal eine sehr schöne Frau gewesen, bevor die Geburt ihres Sohnes sie für Monate an den Rand des Todes gebracht hatte. Seit Gaius zur Welt gekommen war, schien sie nur noch unsicher gehen zu können, und das Haus war nicht mehr von ihrem Lachen erfüllt, auch schmückte sie es nicht mehr mit Blumen, die sie früher selbst draußen in den Feldern gepflückt hatte.
»Lucius kümmert sich sehr gut um sie, aber es geht ihr nicht besser . Ich musste die Jungen ein paar Tage von ihr fern halten, als ihr Zustand wieder über sie kam.«
Julius’ Gesicht wurde hart und in einer von der Wärme angeschwollenen Ader an seinem Hals begann das Blut zu pulsieren, das ihm vor Zorn in den Kopf stieg.
»Können die Ärzte denn gar nichts tun? Sie nehmen meine Aurei ohne Skrupel an, aber jedes Mal, wenn ich meine Frau sehe, geht es ihr schlechter!«
Tubruk presste die Lippen bedauernd aufeinander. Er wusste, dass man manche Dinge einfach so hinnehmen musste, wie sie waren. Die Peitsche saust nieder und schmerzt, und man muss geduldig warten, bis sie nicht mehr herniedersaust.
Manchmal riss Aurelia ihre Kleider in Fetzen und kauerte dann in einer Ecke, bis sie der Hunger aus ihren Gemächern trieb. An anderen Tagen dagegen war sie fast wieder wie die Frau, die er kennen und schätzen gelernt hatte, als er auf das Gut gekommen war. Auch damals schon hatte sie manchmal über längere Zeit zerstreut und abwesend gewirkt. Manchmal redete sie von der Ernte, und dann ganz plötzlich, als habe noch eine andere Stimme gesprochen, neigte sie lauschend den Kopf. Dann war sie auf einmal ganz woanders und beachtete einen nicht mehr, als hätte man den Raum schon längst verlassen.
Ein weiterer Schwall heißes Wasser unterbrach die zähe Stille und Julius seufzte wie entweichender Dampf.
»Man sagt, die Griechen seien auf dem Feld der Medizin sehr bewandert. Stell einen von ihnen ein und schick diese Narren weg, die ihr so wenig helfen können. Wenn einer von ihnen behauptet, wir würden es allein seinen Künsten verdanken, dass es ihr nicht schlechter geht, lass ihn auspeitschen und wirf ihn hinaus auf die Straße, die zur Stadt führt. Versuche es mit einer Hebamme. Frauen verstehen einander oft besser, als wir Männer es können. Sie haben so viele Gebrechen, die Männer nicht kennen.«
Die blauen Augen schlossen sich wieder, und es war als schlösse sich die Tür eines Ofens. Ohne die ihm innewohnende Persönlichkeit hätte der Körper im Wasser der jedes anderen Römers sein können. Julius hielt sich aufrecht wie ein Soldat; schmale weiße Linien erinnerten an die Wunden vergangener Kämpfe. Er war kein Mann, den man verärgern sollte und Tubruk wusste, dass er im Senat den Ruf hatte, sehr aufbrausend zu sein. Julius hatte nur wenige Eigeninteressen, diese jedoch verteidigte er mit aller Schärfe. Dadurch fühlten sich die Mächtigen nicht durch ihn gestört und waren zugleich zu faul, ihn in den Bereichen herauszufordern, für die er sich stark machte. So gedieh auch das Landgut prächtig, und sie würden die teuersten ausländischen Ärzte anstellen können, die Tubruk auftreiben konnte. Das Geld war vergeudet, dessen war er sicher, doch wozu war Geld denn sonst da, wenn nicht, es für Dinge auszugeben, die man für notwendig erachtete?
»Ich möchte einen Weinberg an den Südhängen anlegen. Der Boden dort ist ideal für einen guten Rotwein.«
Sie sprachen die Geschäfte des Gutes durch. Tubruk machte sich keine Notizen. Nach Jahren des Berichtens und Diskutierens brauchte er das nicht mehr. Zwei Stunden nachdem Julius nach Hause gekommen war, lächelte er endlich.
»Du hast gute Arbeit geleistet. Wir machen gute Geschäfte und bleiben stark.«
Tubruk nickte und erwiderte das Lächeln. Während des ganzen Gesprächs hatte sich Julius nicht ein einziges Mal nach seiner Gesundheit und seinem Wohlergehen erkundigt. Sie wussten beide, dass man nur über ernste Probleme redete und kleine Sorgen mit sich selbst ausmachte. Es war eine Vertrauensbeziehung, nicht zwischen Gleichgestellten, sondern zwischen einem Dienstherren und jemandem, dessen Kompetenz er respektierte. Tubruk war zwar kein Sklave mehr, aber er blieb ein Freigelassener. Nie würde er das volle Vertrauen eines Freigeborenen genießen.
»Da ist noch etwas anderes, etwas Persönlicheres«, fuhr Julius fort. »Es wird Zeit, meinen Sohn in der Kriegskunst zu unterweisen. Ich bin von meinen Pflichten als Vater etwas abgelenkt worden, aber es gibt keine größere Herausforderung an die Talente eines Mannes als die Erziehung seines Sohnes. Ich will stolz auf ihn sein und fürchte zugleich, dass meine häufige Abwesenheit, die eher noch zunehmen dürfte, den Jungen zerbrechen könnte.«
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