Ich hörte ein kurzes Rascheln, gerade so, als hätte sich ein trockenes Blatt verschoben. Ich fuhr herum. Zwanzig Schritte entfernt stand in der Düsternis vor dem Portal ein Mann und musterte mich.
»Wer bist du?«, rief ich zornig und verängstigt zugleich.
Der Mann machte einen Schritt auf mich zu. Dabei sah ich, dass er stämmig und breitschultrig war und den kraftvollen Gang eines Legionärs oder eines Bauern hatte. Unwillkürlich griff ich an meinen Gürtel. Ich hatte kein Schwert bei mir, aber ein altes Jagdmesser, das ich auf dem Gehöft gefunden und gesäubert hatte. Ich schloss die Finger um das abgegriffene Heft aus Birkenholz.
»Verzeih«, sagte der Mann und blieb stehen, wo er war, »ich wollte dich nicht erschrecken.« Seine Stimme war freundlich, und sein Latein hatte den rhythmischen Schwung des Ostens. Er drehte sich um und sprach ein paar rasche Worte auf Griechisch. Ich hörte Bewegung; dann kam ein Mann von schmaler, feingliedriger Gestalt aus dem Dunkeln hervor und trat in das graue Licht, das durch den Türspalt fiel.
Ich behielt beide Männer vorsichtig und sprungbereit im Auge. Der Stämmige hob langsam die Hände, um zu zeigen, dass er keine Waffe trug. »Wir wollen nichts Böses«, sagte er.
»Was wollt ihr dann?«, fragte ich.
Sie kamen näher und schauten zu dem thronenden Jupiter hinauf. Jetzt konnte ich erkennen, dass der stämmige Mann sich seit ein paar Tagen nicht rasiert hatte, und seine Haare waren nachlässig und ungleichmäßig geschnitten. Offenbar war er Legionär. Doch ihm fehlte die Derbheit des gemeinen Soldaten, und sein zierlicher Freund hatte überhaupt nichts Soldatisches an sich. Er blickte auf den Sockel der Statue und runzelte die Stirn beim Anblick der Buchstaben und Kreuzzeichen. »Siehst du, Oribasius?«, sagte er und deutete darauf. Dann wandte er sich an mich. »Wir waren schon hier, als du kamst. Du hast uns erschreckt, sonst hätten wir uns bemerkbar gemacht.« Als ich nichts erwiderte, fragte er: »Bist du mit dem Heer gekommen, Freund?«
»Nein«, sagte ich.
»Dann bist du von hier?«
»Auch nicht.« Meine Antworten waren kühl, beinahe unfreundlich. Ich war nicht in der Stimmung für belanglose Plaudereien. Außerdem war ich wütend, weil die Männer mich heimlich beobachtet hatten, während ich mich allein wähnte. Überdies hatten sie etwas Verstohlenes an sich, als hielten sie irgendetwas vor mir verborgen oder als wollten sie sich über mich lustig machen.
Ich deutete mit dem Daumen auf den von Hammerschlägen gezeichneten Fries und fragte schroff: »Seid ihr Christen?« Wenn sie auf Streit aus sind, sagte ich mir, können sie ihn haben.
»Das ist nicht unser Werk«, antwortete der Stämmige vorsichtig, ohne mich aus den Augen zu lassen. »So etwas würde ich nicht tun. Das ist ein Sakrileg.« Er hielt kurz inne. »Aber sag … Wenn du nicht mit dem Heer gekommen bist, zu wem gehörst du dann?«
Um das Gespräch zu beenden, antwortete ich: »Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich bin Gast eines gewissen Eutherius, ein Freund des Cäsars Julian. Von dem habt ihr gewiss schon gehört.«
Der Stämmige zog die Brauen hoch, und ich sah, wie er einen verstohlenen Blick mit seinem zierlichen Gefährten wechselte. »Das haben wir in der Tat«, erwiderte er dann. Der andere, den er Oribasius genannt hatte, sagte: »Wir meinen es wirklich nicht böse. Wie heißt du? Es könnte sein, dass wir schon von dir gehört haben.«
Das bezweifelte ich zwar, aber da ich nicht sah, was es schaden könnte, antwortete ich: »Ich heiße Drusus.« Zu meiner Überraschung fragte Oribasius daraufhin: »Dann hast du vielleicht einen Freund namens Marcellus?«
Ich starrte ihn sprachlos an. Doch sein stämmiger Freund lachte und sagte: »Du siehst, wir sind ebenfalls mit Eutherius befreundet … Aber der Präfekt gab an, ihr hättet die Zitadelle verlassen.«
»So ist es. Er hat uns vor die Tür gesetzt. Angeblich gab es keinen Platz mehr für uns.«
»Tatsächlich?« Er runzelte die Stirn, und wieder wechselten die Männer einen Blick. »Und was werdet ihr jetzt tun?«, fragte er dann.
Achselzuckend erwiderte ich, wir hätten gehört, dass der Cäsar nach guten Männern suche, und würden vielleicht unser Glück versuchen, sobald Eutherius zurückgekehrt sei.
»Nun, das ist wohl wahr, doch Eutherius wird noch einige Zeit fortbleiben.«
»Dann werden wir warten müssen.«
Er überlegte und rieb sich das Stoppelkinn. »Vielleicht ist das gar nicht nötig«, meinte er dann. »Ich könnte etwas für euch tun. Bist du bereit, morgen zu mir in die Zitadelle zu kommen, du und dein Freund?«
Ich schmunzelte verstohlen. Dieser Mann war zweifellos ein junger Offizier, der sich wichtig machen wollte und glaubte, bei seinem Kommandanten ein offenes Ohr zu finden. Allerdings hatte er ein ehrliches Gesicht, und da wäre es flegelhaft gewesen, abzulehnen. Ich erklärte mich also bereit, am nächsten Tag bei ihm vorzusprechen, brachte es aber nicht über mich, laut anzuzweifeln, dass man uns überhaupt durchs Tor lassen werde, da der Präfekt uns feindlich gesinnt war.
Er nickte und bedachte mich mit einem knappen, würdevollen Lächeln. Offensichtlich war er ein Mann, der nur selten lächelte.
»Gut«, sagte er. »Dann also bis morgen.« Er wandte sich zum Gehen.
»Warte!«, rief ich. »Nach wem soll ich fragen?«
Meine Frage überraschte ihn offenbar. Ratlos schaute er seinen schlanken, dunkelhaarigen Freund an. Der antwortete schließlich: »Sag, du willst Oribasius sprechen. Ich werde bei ihm sein.«
Bis ich das Gehöft erreichte, war es Nacht. In unserem Schuppen brannte keine Lampe mehr, und zuerst dachte ich, Marcellus sei nicht da. Aber als ich hineinging, traf ich ihn im Dunkeln sitzend an, auf einem dreibeinigen Hocker vor dem Ofen. Er stützte das Kinn in die Hand und starrte düster in die Glut.
»Marcellus!«, rief ich aus und wollte sogleich erzählen, was ich erlebt hatte.
Erschrocken hob er den Blick. Seine Wangen waren von der Hitze des Feuers gerötet, und er wirkte aufgewühlt. Doch es war etwas anderes, das mich stutzen ließ. Ich drehte mich um und ahnte schon, was ich sehen würde. Außerhalb des Lichtscheins der Glut hatte die Bauerntochter es sich auf der Liege bequem gemacht. Auf einen Ellbogen gestützt lag sie da und betrachtete mich. In ihren Augen spiegelte sich der rote Schein aus dem Ofen. Dann richtete sie sich auf und warf zornig ihre Haare zurück. Ihr Kleid war an der Schulter geöffnet und ließ die Brust sehen, auf die sie so stolz war. Wenigstens war sie noch bekleidet, denn mir dämmerte mit einem Mal, in was ich hineingeplatzt war.
Mit kalter Stimme sagte sie: »Du störst. Hast du vergessen, wie man anklopft?«
Ich spürte, wie ich errötete; zugleich stieg Wut in mir auf. »Ich bitte um Vergebung, Clodia, aber ich wusste nicht, dass du hier bist, und es ist dunkel. Aber keine Angst, ich gehe.«
Ich hatte bereits nach dem zweiten Hocker gegriffen, um mich neben Marcellus zu setzen, und hielt ihn noch in der Hand. Als ich ihn abstellte, packte Marcellus mein Handgelenk. »Nein, Drusus, bleib. Es friert draußen.«
Ich zögerte kurz, da in seiner Stimme irgendetwas mitschwang – keine zornige Enttäuschung, wie ich erwartet hätte, sondern Melancholie. Ich musterte ihn forschend, doch in dem schummrigen Licht entging ihm meine stumme Frage. Hinter mir hörte ich Clodia ungeduldig Luft holen. Mein Magen zog sich zusammen, und ich fragte mich: Was sieht sie in mir? Einen Rivalen? Was, bei allen Göttern, hatte Marcellus ihr erzählt? Es drängte mich, ihn danach zu fragen, doch ich hielt meine Zunge im Zaum. Lieber wäre ich gestorben, als Clodia mein nacktes Herz zu zeigen.
Ungestümer als beabsichtigt zog ich meinen Arm weg, denn ich wollte allein sein, wollte weg von den beiden. Marcellus rief mir hinterher, aber ich war schon an der Tür und floh in die Nacht hinaus.
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