Ich beobachtete die zwiespältigen Gefühle auf Roberts Gesicht, die die Worte seiner Mutter auslösten, und war nicht überrascht, als er schließlich – wenn auch widerstrebend – nickte und missmutig brummte: »Das wird sie mit Sicherheit nicht. Diese Dame ist stur wie ein Esel, ganz wie ihre Schwester. Sie wird sich nicht vom Fleck rühren, solange nicht jede ihrer Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet ist. Wenn ich Mary ins Gefängnis stecken muss, damit dieser hohlköpfige Kronrat Vernunft annimmt, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich bringe sie in Ketten nach London.«
Lady Dudley neigte den Kopf. »Es erfreut mich, das zu hören. Dann sage ich deinem Vater Bescheid. Er beratschlagt gerade mit Lord Arundel. Sie werden dir selbstverständlich verlässliche Männer an die Seite stellen. Sobald die Vorbereitungen abgeschlossen sind, wirst du alles Weitere erfahren. Möchtest du dich bis dahin nicht noch ein wenig ausruhen? Du siehst so müde aus.« Die Geste, mit der sie ihm die Hand an die Wange legte, hätte zärtlich sein sollen. Doch das war sie nicht.
»Du bist das begabteste von unseren Kindern«, murmelte sie. »Geduld. Deine Zeit kommt schon noch.« Damit drehte sie sich um und rauschte mit wehenden Kleidern davon.
Kaum hatte sie die Tür geschlossen, ergriff Robert den Kerzenhalter und schleuderte ihn an die Wand. Putz spritzte nach allen Seiten. In der Stille, die nun eintrat, keuchte er wie ein in die Enge getriebenes Tier.
In meiner Magengrube breitete sich ein flaues Gefühl aus. Ich gab mir einen Ruck, zerzauste mir kurzentschlossen das Haar, löste die Schnüre meiner Jacke und trat herzhaft gähnend hinter dem Vorhang hervor.
Robert wirbelte herum. »Du? Du warst hier? Du … hast alles gehört?«
»In dieser Situation hielt ich es für das Beste, mich nicht blicken zu lassen, Mylord«, murmelte ich.
Seine Augen verengten sich. »Du erbärmlicher Köter hast mich belauscht!«
Ich senkte die Augen. »Vergebt mir, aber ich war so müde. All der Wein gestern Abend, der Ritt hierher … Da bin ich auf dem Bett Eurer Lordschaft eingeschlafen. Bitte verzeiht mir. Es wird nie wieder vorkommen.«
Er musterte mich scharf. Dann baute er sich vor mir auf und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Benommen taumelte ich zurück. Einen sich ewig hinziehenden Moment lang starrte er mich stumm an. Schließlich knurrte er: »Du hast geschlafen, sagst du? Dann solltest du lernen, den Wein zu vertragen. Oder weniger zu trinken.« Erneut verstummte er.
Ich wagte nicht zu atmen. Meine Ausrede war durchaus plausibel, wenn auch nicht unbedingt überzeugend. Aber immerhin hatte sie ihm eine Blamage erspart. Und vielleicht nahm er in seiner Überheblichkeit tatsächlich an, dass ich von dem Wortwechsel zwischen ihm und seiner Mutter kaum etwas verstanden hatte. Sehr viel Intelligenz hatte er mir schließlich noch nie zugetraut, und ich hatte mich nie zu meinem Wunsch geäußert, mehr zu erreichen, als seiner Familie zu dienen. Freilich war die Gefahr nicht gebannt, dass er mich am Ende doch umbrachte, falls ich eine Bedrohung für seine Sicherheit darstellte. Ich konnte nur zu Gott beten, dass er mich auch weiter als einen Hund betrachtete, der die Hand, die ihn fütterte, nie beißen würde.
Zu meiner Erleichterung begnügte er sich mit einem Tritt gegen den Kerzenständer und stürmte zum Tisch. »Zum Teufel mit meinem Vater! Gerade jetzt, wo ich die Karten so schön in der Hand hatte. Allmählich frage ich mich, ob er mir absichtlich einen Strich durch die Rechnung macht. Erst schickt er mich mit irgendeinem dummen Auftrag zum Tower, während er sie an den Hof lädt, und jetzt hat er schon wieder eine Ausrede gefunden, um mich hinzuhalten.«
Ich bekundete Verständnis, während ich fieberhaft versuchte, die Fragmente zusammenzusetzen, die ich gerade in Erfahrung gebracht hatte.
Zum einen schien die vielgepriesene Einheit der Familie Dudley zu zerbröckeln. Lady Dudley hatte verkündet, dass ihr Gemahl kein Vertrauen mehr zu ihr hatte, obwohl sie stets sein Halt gewesen war, die Eisenstange, an der seine Seidengewänder hingen. Was immer der Herzog mit Elizabeth vorhatte, Robert war jetzt davon ausgeschlossen, obwohl er wiederholt ein Versprechen erwähnt hatte, das ihm offenbar gemacht worden war. Ich traute mich fast zu wetten, worauf diese Zusage hinausgelaufen war.
Darüber hinaus hatte Lady Dudley die Suffolks erwähnt, mit denen die Dudleys jetzt verschwägert waren. Konnte es sein, dass sie, als Blutsverwandte des Königs, sich der für Guilford geplanten Verbindung widersetzten? Jane Grey war eine Großnichte von Henry VIII. Dank ihrer Mutter, der Tochter von König Henrys Schwester, floss Tudor-Blut in ihren Adern. Damit ließe sich erklären, warum der Herzog sich entschieden hatte, Robert auf Mary zu hetzen. Die Einkerkerung der Thronerbin im Tower könnte sich als schlagendes Argument gegen die Vorbehalte der Suffolks erweisen. Oder steckte hinter diesen Machenschaften gar ein noch teuflischeres Motiv?
Ich wollte diese Aspekte noch mehr erforschen, insbesondere, was die Suffolks betraf. Sie spielten hier eine wichtige Rolle, allen voran die Herzogin. Ich musste unbedingt ergründen, welche Absichten sie verfolgte. Elizabeths Sicherheit und auch meine eigene konnten davon abhängen. Doch ein Diener, der nichts erlauscht hatte, sollte auch keine Fragen zum besseren Verständnis stellen.
Schließlich wagte ich die Antwort: »Initiativen wie die von Mylord verdienen Lob.«
Es war ein schwacher Versuch, doch wie die meisten, die verletzt worden waren und nach Rache dürsteten, ging Robert begierig darauf ein. »Eben! Das sollte man meinen. Aber mein Vater sieht das offenbar anders. Und was meine Mutter betrifft … Himmelherrgott, da weiß ich, dass sie nur einen Liebling hat: Guilford. Der Rest von uns könnte von ihr aus auf der Stelle sterben, wenn sie sich zwischen ihm und uns entscheiden müsste.«
Darauf antwortete ich nicht direkt. »Ich habe gehört, dass Mütter ihre Kinder eines wie das andere lieben.«
»Und deine?«, höhnte er. »Hat sie dich etwa nicht zum Sterben vor dem Häuschen unter unserer Burg ausgesetzt?«
Das war eine rhetorische Frage, die nicht nach einer Antwort verlangte. Ich schwieg und ließ ihn weiterreden.
»Sie schert sich einen feuchten Kehricht um mich. Guilford war von Anfang an ihr Liebling, weil er der Einzige ist, den sie beherrschen kann. Sie hat mit Macht seine Vermählung mit Jane Grey betrieben. Vater hat gesagt, dass sie sogar auf Janes Mutter losgegangen ist, als die Herzogin sich am Anfang weigerte, das überhaupt in Erwägung zu ziehen. Ihre Tochter sei von königlichem Geblüt, soll sie gesagt haben, wohingegen wir Emporkömmlinge wären, die sich höchstens auf die Gunst des Königs berufen könnten. Aber irgendwie hat meine Mutter die Herzogin dann doch noch dazu gebracht einzulenken. So, wie ich sie kenne, hat sie der alten Hexe wahrscheinlich das Messer an die Kehle gehalten.«
Seine Worte gingen mir durch Mark und Bein. Ein Messer an der Kehle der Herzogin: Plötzlich war mir, als wäre ich in einem dunklen Netz gefangen – ohne Aussicht, mich je daraus befreien zu können.
Robert knüpfte sein Wams auf und warf es aufs Bett. »Schande über sie! Schande über sie alle, sage ich! Ich habe jetzt meine eigenen Pläne und bin nicht bereit, sie aufzugeben, bloß weil sie sich das einbildet. Soll sie Mary doch selbst verfolgen, wenn sie meint, dass diese Papistin eine Bedrohung ist. Ich bin kein Lakai, den man nach Belieben herumkommandieren kann.« Er blickte sich im Zimmer um. »Gibt es in diesem gottverlassenen Loch denn nichts zu trinken?«
»Ich bringe Euch Wein, Mylord.« Ich lief sogleich zur Tür, auch wenn ich nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, wo ich welchen finden würde. Aber wenigstens würde ich Zeit gewinnen, um meine durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen.
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