Zorn flammte in mir auf. Mistress Alice war aus meinem Leben verschwunden. Ich hatte nie aufgehört, um sie zu trauern, aber in diesem Moment hasste ich sie fast dafür, dass sie unsere Erinnerungen entweiht, unser Vertrauen geschändet hatte. Es ging nicht darum, dass Lady Dudley mein Geburtsmal zweifellos gesehen hatte, als ich ein Baby war, vielmehr kränkte es mich einfach, dass sie in etwas eingeweiht worden sein musste, das ich für mein und Mistress Alice’ heiliges Geheimnis gehalten hatte.
Ich schloss die Augen, zog die Hand aus der Hose und drückte sie auf mein heftig pochendes Herz. Als ich den Ring in der Brusttasche spürte, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich ernsthaft in Gefahr war, unversehens in eine Klemme zu geraten, aus der ich aus eigener Kraft nicht mehr heil herauskommen würde. Irgendetwas war hier im Gange, etwas Furchtbares. Ich wusste nicht, was es war, doch irgendwie war mir eine Rolle dabei zugefallen, ebenso wie offenbar auch der Prinzessin. Die Dudleys wollten uns beiden Böses. Und wenn ich einen Weg fände, sie zu warnen, würde sie vielleicht …
Ein Fanfarenstoß ertönte von der Galerie, und der Herzog erklomm das Podest. Es wurde still im Saal. Ich spähte zum Kamin, wo Elizabeth regungslos dastand. Die Herzogin von Suffolk hatte sich ebenfalls erhoben; als ich ihrem Blick begegnete, durchzuckte mich Angst, und ich versuchte, mich in der Menge unsichtbar zu machen.
Die Rede des Herzogs schallte durch den Saal. »Seine Majestät möchte all jenen seine Dankbarkeit aussprechen, die sich um seine Gesundheit gesorgt haben. Ich wurde ermächtigt, folgende Ankündigung zu machen.« Er ließ seinen Blick über die Reihen der Höflinge schweifen. »Seine Majestät ist ein wohlwollender Herrscher, doch er ist höchst ungehalten über die Gerüchte, die ihm zu Ohren gekommen sind. Ganz im Gegensatz zu gewissen ruchlosen Spekulationen befindet er sich längst auf dem Wege der Genesung. Auf Anraten seiner Ärzte hat er sich auf seinen Landsitz in Greenwich zurückgezogen, wo er sich besser erholen kann. Zum Zeichen seiner Gesundung möchte er uns wissen lassen, dass er der Eheschließung meines Sohnes, Guilford Dudley, mit seiner geliebten Cousine, Lady Jane Grey, seine allergnädigste Genehmigung erteilt hat. Die Verlobung wird morgen Abend in Greenwich gefeiert werden, wo Seine Majestät höchstselbst dem jungen Paar seinen Segen geben wird. Seine Majestät befiehlt, dass wir auf dieses freudige Ereignis anstoßen.«
Ein Page hastete vor, um dem Herzog einen Kelch zu reichen. Dudley reckte das Gefäß in die Höhe. »Auf die Gesundheit Seiner Majestät; möge er noch lange über uns herrschen. Gott schütze König Edward den Sechsten!«
Wie aufs Stichwort kamen Diener mit Tabletts voller Krüge herein. Die Höflinge stürzten sich darauf und hoben dann ebenfalls die Kelche. »Auf Seine Majestät!«, riefen sie einstimmig.
Northumberland kippte seinen Wein hinunter, stieg vom Podest und schritt aus dem Saal, die hohen Fürsten vom Kronrat in seinem Schlepptau. Aus meiner Deckung in der Menge sah ich Lady Dudley ihm ebenfalls folgen, neben ihr die finster dreinblickende Herzogin von Suffolk. Die Tochter der Herzogin, Jane Grey, ging hinter ihrer Mutter, die schmale Hand verloren in der Pranke ihres Verlobten, der als das von seinem Vater auserwählte Verbindungsglied zum königlichen Blut der Tudors mit geschwellter Brust einherstolzierte.
Kaum waren sie gegangen, wandten sich die Höflinge einander zu und fingen an zu tratschen wie die Fischweiber auf dem Markt. Ich hingegen blickte, plötzlich begreifend, aufgeschreckt zum Kamin. Elizabeth war aschfahl geworden. In ihrem Gesicht spiegelte sich Fassungslosigkeit, der Kelch fiel ihr aus der Hand, Wein spritzte über den Boden und auf ihren Rocksaum. Abrupt drehte sie sich um und eilte zur nächsten Seitentür hinaus.
Die folgenden Minuten vergingen wie Jahre. Ich stand da und wartete ab, ob irgendwer ihr folgen würde. Die Höflinge begannen, sich ebenfalls zurückzuziehen. Keiner schien bemerkt zu haben, dass Elizabeth gegangen war. Schon wollte ich ihr nacheilen, als ich die Begleiterin der Prinzessin auf eine finstere Gestalt zutreten sah, die ich zunächst nicht erkannte. Doch dann stockte mir der Atem. Es war Walsingham, Cecils Gefährte. Er und das Mädchen wechselten ein paar Worte, bevor er sich ganz plötzlich abwandte. Keiner von beiden schien der Prinzessin folgen zu wollen.
Ich wollte gerade zur Tür hinausschlüpfen, da baute sich unversehens Master Shelton vor mir auf. »Ich dachte, ich hätte dir befohlen, dich nicht von der Stelle zu rühren. Oder hast du dir für einen Abend noch nicht genug Ärger eingehandelt?«
Ich starrte in seine blutunterlaufenen Augen. Er hatte mir noch nie Anlass gegeben, ihm zu misstrauen. Doch er musste sich für alles, was er tat, vor Lady Dudley verantworten, und in diesem Moment erinnerte er mich nur an die Ohnmacht, die ich mein ganzes Leben empfunden hatte. »Da Ihr mehr über diesen sogenannten Ärger zu wissen scheint als ich«, entgegnete ich verdrossen, »könnt Ihr mir vielleicht erklären, was es damit auf sich hat.«
Seine Stimme wurde grob. »Du undankbarer Wicht, dir bin ich überhaupt keine Erklärung schuldig! Aber eines will ich dir sagen: Wenn dir dein Leben lieb ist, halte dich von Elizabeth fern. Sie ist das reinste Gift, genau wie ihre Mutter. Von der Boleyn-Hexe ist nie etwas Gutes gekommen, und das gilt auch für ihre Tochter.«
Er spie mir die Worte förmlich entgegen. Es war eine Warnung, und ich wusste, dass ich sie ernst zu nehmen hatte, doch im Moment wollte ich nur noch weg von ihm und den Dudleys, koste es, was es wolle.
»Das mag ja sein, aber ich muss den Befehl meines Herrn ausführen.«
»Wenn du ihr nachgehst«, sagte er, »übernehme ich keine Verantwortung. Die Folgen musst du dann selber tragen. Verstehst du? Wenn du gehst, bist du ganz auf dich gestellt.«
»Bestens.« Ich verbeugte mich knapp und ließ ihn stehen. Obwohl ich seine Blicke im Rücken spürte, schaute ich mich nicht mehr um. Gleichwohl beschlich mich trotz seiner Drohungen ein merkwürdiges Gefühl, dass er Verständnis für mein Vorhaben hatte – als hätte er irgendwann in ferner Jugend den gleichen ungestümen Drang verspürt und versuchte nun auf seine ruppige Art, mich vor mir selbst zu retten.
Dann aber verschwendete ich keinen Gedanken mehr an ihn und hastete auf der Suche nach Elizabeth weiter in das Geflecht von Korridoren.
Ich dachte schon, ich sei zu spät gekommen, denn sie schien im Labyrinth der Gänge und Galerien verschwunden zu sein. Meine Absätze hallten auf den Steinplatten wider, während ich aufs Geratewohl von einer Ecke zur nächsten hastete. Ich folgte nur meinem Instinkt, indem ich die Gänge mied, die von unregelmäßig aufgereihten, flackernden Fackeln erhellt waren, und mich in die dunklen Korridore wagte.
Fast hätte ich laut geseufzt, als ich sie endlich entdeckte, unter einem Torbogen stehend, der zu einem Innenhof führte. Das Gewand hielt sie mit beiden Händen wie zu einem schnellen Lauf gerafft. Sie hatte ihr filigranes Haarnetz abgenommen, sodass ihre roten Locken über die Schultern fielen. Als sie mich kommen hörte, aber noch nicht sah, wirbelte sie herum. »Ash Kat, sag sofort Cecil Bescheid. Wir müssen …«
Sie hielt mitten im Satz inne und starrte mich an. »Mein Gott, Ihr seid aber kühn.« Angst schwang in ihrer Stimme mit. »Wo sind meine Damen? Wo sind Mistress Ashley und Mistress Stafford?«
Ich verbeugte mich tief. »Mistress Ashley habe ich nirgends gesehen«, sagte ich in dem beruhigenden Tonfall, den ich bei scheuen Fohlen anzuwenden gelernt hatte. »Und falls Ihr mit Mistress Stafford Eure andere Dame meint, die junge – die ist Euch nicht gefolgt; eben habe ich sie in die andere Richtung davongehen sehen.«
»Sie wird gegangen sein, mir mein Boot vorzubereiten.« Elizabeth betrachtete mich unverwandt, als könnte sie so in mein Inneres schauen. Mit einer ungeduldigen Geste eilte sie dann in den Hof hinaus, wo alles in tiefen Schatten lag. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter. »Warum folgt Ihr mir noch immer?«
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