Arata war völlig sprachlos. Sie drückte sich den Mantel nur noch fester gegen die Brust und nickte stumm. Hieron antwortete zum Abschied ebenfalls mit einem Kopfnicken und zog sich zurück.
Draußen im Hof wandte er sich noch einmal an Archimedes. »Bitte«, sagte er, »gestatte mir zum Ausdruck meiner Wertschätzung für deinen Vater und meines Respektes für dich, das Begräbnis auszurichten. Wenn du einverstanden bist, stehen dir meine Sklaven und die Mittel meines Hauses zur freien Verfügung.«
»Ich, äh«, stammelte Archimedes, dem es beinahe genauso die Sprache verschlagen hatte wie seiner Mutter, »ich, äh - danke dir.«
Hieron lächelte. »Gut. Du brauchst nur meinem Sekretär Niko-stratos sagen, was du möchtest. Er wird es für dich erledigen.« Er schob Archimedes sanft zu seinem Sekretär hinüber, tätschelte ihm leicht den Arm und wandte sich zum Gehen. Aber dann drehte er sich doch noch einmal um und fügte hinzu: »Oh, mir ist aufgefallen, daß du noch immer keine Bezahlung für dein einzigartiges Katapult bekommen hast. Ich schäme mich, daß ich möglicherweise nicht soviel dafür bezahlen kann, wie so eine schöne Maschine wert ist. Aber Nikostratos hat etwas für dich bereit. Ich wünsche dir einen guten Tag!« Damit wusch er sich flüchtig wie vorgeschrieben die Hände im Wasser, das neben der Tür bereitstand, und trat wieder in die Nacht hinaus.
Archimedes schaute den Sekretär Nikostratos an. Nikostratos, ein unauffälliger Mann mit ausdrucksloser Miene, um die Dreißig, der einen schweren Ranzen trug, erwiderte den Blick. »Möchtest du mir sagen, welche Vorkehrungen du momentan treffen möchtest, Herr?« fragte er.
»Äh - ja«, sagte Archimedes. Plötzlich war er sich der Nähe seiner erstaunten Nachbarn nur allzusehr bewußt. »Ähem - ich denke, wir sollten ins Eßzimmer gehen.«
Marcus holte Lampen fürs Eßzimmer und stand dann aufmerksam dabei, während sich der Sekretär alles Nötige für das Begräbnis notierte. Nebenbei stellte er selbst im Kopf die Rechnung zusammen: Holz, Weihrauch, Wein für hundert Gäste. Archimedes hatte zuerst sechzig gesagt, aber der Sekretär fand das zu schäbig. Alles in allem kämen mindestens fünfundzwanzig Drachmen heraus, folgerte Marcus, vermutlich sogar deutlich mehr. Soviel stand fest: Der König hatte nicht vor, Geld zu sparen, indem er ein Begräbnis bezahlte und dann an einem Katapult knauserte. Hieron hatte zwar gesagt, er würde für das Katapult nicht den wahren Wert bezahlen, aber Marcus bezweifelte trotzdem, daß Hieron beim Katapult knausern würde. Wenn er doch nur wüßte, warum sich der König von Syrakus die Mühe machte, einem Katapultingenieur zu schmeicheln und ihn für sich zu gewinnen.
Als alles Nötige für das Begräbnis festgelegt war, holte der Sekretär eine Olivenholzschatulle heraus und stellte sie vor Archimedes hin. »Das Geld für das Katapult«, erklärte er. »Darf ich dich dafür um deine Unterschrift bitten?«
Archimedes schaute die Schatulle verständnislos an und fragte: »Wieviel ist es?«
»Zweihundertfünfzig Drachmen«, antwortete der Sekretär nüchtern und zog ein Quittungsbuch aus dem Ranzen.
Archimedes starrte ihn an, dann hob er den Deckel von der Schatulle. Frisch geprägtes Silber rollte über den Eßtisch. Die Schatulle war bis zum Rand gefüllt gewesen. Er schüttelte protestierend den Kopf: »Es sollten doch nur fünfzig sein! Außerdem hat der König gesagt, daß.«
»Bei wertgemäßer Bezahlung für das Katapult müßten es eigentlich tausend sein. Das soll ich, laut Anweisung, ausrichten«, sagte Nikostratos.
Archimedes starrte ihn lange Zeit stumm an, dann schaute er hinunter und hob eine der Münzen auf, die auf den Tisch gefallen war. Auf der Vorderseite war Hierons Profil eingeprägt, lächelnd und mit Krone. Er betrachtete es eingehend. Plötzlich ergab eine Reihe von Dingen, die er gesehen und gehört hatte, ohne je wirklich darauf zu achten, einen Sinn. Als Mathematiker war er außerordentlich, das hatte er immer gewußt. Aber mechanische Dinge hatte er nur zum Zeitvertreib gemacht und sich darin auch immer nur für guten Durchschnitt gehalten. Jetzt begriff er, daß ihm Epimeles tatsächlich nicht geschmeichelt hatte. Der »Begrüßer« war wirklich das beste Katapult, das in Syrakus in den letzten zwanzig Jahren gebaut worden war. Dieser Drehzapfen - der war tatsächlich zuvor noch keinem eingefallen. Und weil er das nicht kapiert hatte, darum hatten die Sklaven in der Werkstatt gelacht. Eudaimon war nicht nur gereizt gewesen, sondern eifersüchtig. Und Kallippos hatte tatsächlich geglaubt, man könne ein Schiff unmöglich eigenhändig bewegen.
Er war der beste Ingenieur in der ganzen Stadt, und alles, was er mit Kopf und Händen formen konnte, war derart eindrucksvoll, daß jetzt selbst der König alles tat, um eine gute Beziehung zu ihm zu haben. Das Silberstück, das in seiner Hand glänzte, war ein Tribut an seine Macht. Es vermittelte tiefe Befriedigung und machte ihm gleichzeitig angst. Jeden Moment konnte die römische Armee eintreffen und Syrakus belagern, und dann würden seine Fähigkeiten zur Verteidigung in vorderster Linie gefragt sein. Sofort kam ihm die Gefahr viel näher und viel realer vor.
Er nahm fünfzig Drachmen aus der Schatulle, dann schob er sie wieder Nikostratos zu. »Richte dem König aus, daß ich mich für sein großzügiges Angebot bedanke«, sagte er, »aber ich werde nur den ausgehandelten Preis annehmen und sonst nichts.«
Nikostratos war ehrlich überrascht, was bei einem derart nüchternen Menschen äußerst selten vorkam. Er versuchte, die Schatulle wieder zurückzuschieben. »Das ist die Summe, die ich dir auf Anweisung des Königs auszahlen soll«, protestierte er. »Er will sie nicht zurückhaben!«
Archimedes schüttelte den Kopf. »Ich bin Syrakuser. Für die Verteidigung von Syrakus muß man mich nicht extra bezahlen. Ich werde den vereinbarten Preis für das Katapult annehmen, weil meine Familie das Geld braucht, aber ich weigere mich, mehr zu nehmen und aus der Zwangslage meiner Stadt Profit zu schlagen.«
Der Sekretär konnte ihn nur noch anstarren. Archimedes nahm ihm das Quittungsbuch aus der Hand und fand den entsprechenden Eintrag: »An Archimedes, den Sohn des Phidias, für das EinTalentKatapult auf dem Hexapylon - 250 Dr.« Er strich 250 Dr. durch, schrieb 50 Dr. wie vereinbart, darüber und unterschrieb mit seinem Namen.
Plötzlich strahlte Nikostratos übers ganze Gesicht. »Die Götter sind Syrakus gnädig«, sagte er leise, nahm sein Quittungsbuch und die Olivenholzschatulle und steckte beides weg. Dann wünschte er noch immer lächelnd eine gute Nacht und verschwand.
Archimedes schaute zu Marcus hinüber, der an der Tür stand und zuschaute. »Vermutlich bist du damit nicht einverstanden?« fragte er herausfordernd.
Aber Marcus grinste breit und schüttelte den Kopf. »Ich schon«, sagte er. »Wenn ein Mann nicht bereit ist, für seine Vaterstadt zu kämpfen, dann hat er die Sklaverei verdient.«
Und du, dachte er im stillen, hast dich gerade geweigert, dich kaufen zu lassen.
Vier Tage später wartete Delia, bis Agathon mit mürrischer Miene im Auftrag des Königs fortrannte, dann ging sie zum großen Doppelportal der Villa auf der Ortygia, öffnete es und trat ins Freie.
Alles war ganz einfach: mach das Portal auf und geh auf die Straße hinaus. Du hast keinen Grund, warum dir das Blut in den Ohren dröhnt, redete sie sich ein. Und auch das Schwindelgefühl, das ihre ersten Schritte auf der Straße verlangsamte, war überflüssig. Ihr Unternehmen barg keinerlei Gefahr. Nur - bisher hatte sie so etwas noch nie getan.
Noch nie war sie ohne Begleitung durch diese Tür gegangen. Noch nie war sie, ohne es jemandem zu sagen, zu einem Treffen gegangen, das der ganze Haushalt mißbilligen würde.
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