Das Bankett hatte noch nicht begonnen; die elegant gekleideten Gäste standen am Rande von zwei großen rechteckigen Wasserbecken, auf denen Enten schwammen, und plauderten. Bedienstete servierten ihnen kühle Getränke. Turteltauben ließen ihren hellen Gesang ertönen und wetteiferten mit einem Orchester von Musikerinnen, die Flöte und Harfe spielten.
Von Feigenbäumen geschützt, hinter denen er beobachten konnte, ohne gesehen zu werden, schlich Kamose von Stamm zu Stamm, bis er endlich die entdeckte, mit der er sprechen wollte: Nofret, die Tochter von Richter Rensi.
Nofret unterhielt sich mit zwei jungen Männern, die ihr den Hof machten. Ihre Schönheit versetzte Kamose in sprachloses Erstaunen. Sie trug ein langes weißes Kleid und hatte einen ebenfalls weißen Schal über die Schultern gelegt. Dieser verbarg nur zum Teil eine breite Halskette aus Gold und Karneol. Dazu hatte Nofret eine lange, geflochtene Perücke ausgewählt, auf die sie einen Salbkegel gesetzt hatte. Arm- und Fußreifen betonten ihre zierlichen Handgelenke und Knöchel. Ihre Augen waren grün geschminkt.
Für ein paar Minuten vergaß Kamose alles andere und bewunderte jene, in die er sich bis über beide Ohren verliebt hatte. Nie würde er eine andere Frau lieben können!
Ein vor seinem Gesicht vorbeifliegender Wiedehopf holte den jungen Mann in die Wirklichkeit zurück. Wie konnte er Nofrets Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ohne sie zu erschrecken? Ihm fiel nichts anderes ein, als geduldig zu warten. Als sie ihr Gespräch beendet hatte, ging die junge Frau einen plattenbelegten Weg an einem Weinspalier entlang.
Dort sprach er sie an, ohne aus dem Schatten hervorzutreten.
»Nofret… Ich möchte mit Euch sprechen. Es ist sehr wichtig.«
Neugierig blieb die junge Frau stehen und sah ihn an.
»Ihr kennt mich nicht… Ich heiße Kamose. Ich war dabei, als Ihr die Garbe dem Nil geopfert habt.«
Nofret verließ den Weg und verschwand in Begleitung Kamoses in der Tiefe des Gartens.
»Ich erinnere mich an Euch«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Ihr habt während der gesamten Zeremonie nicht den Blick von mir abgewandt.«
Zum Glück war es im Schutze der Bäume dunkel. Vor Verwirrung und Freude war Kamose rot geworden.
»Wenn Ihr abseits der Menschenmenge mit mir sprechen möchtet, so lasst uns bis zur Laube gehen«, empfahl sie.
Kamose folgte Nofret und fühlte sich seiner überhaupt nicht mehr sicher. Nofret beeindruckte ihn mehr, als alle Worte auszudrücken vermochten. Aber er konnte nicht mehr zurück.
Die Laube bestand aus zierlichen kleinen Holzsäulen mit Kapitellen in Form offener Lotosblüten. Steinbänke luden dazu ein, in erfrischender Kühle Weintrauben zu genießen.
Nofret setzte sich.
»Setzt Euch neben mich, Kamose.«
Der junge Mann folgte ihr linkisch. Er hatte das Gefühl, nicht mehr laufen zu können. Seine Glieder waren kraftlos, seine Gedanken verwirrt.
»Da Ihr so sehr danach trachtet, mit mir zu reden, dass Ihr heimlich in ein fremdes Haus eindringt, höre ich Euch an. Danach muss ich zu meinen Gästen zurückkehren, sonst wird mein Vater meine Abwesenheit bemerken und sich darüber erzürnen.«
Mühsam schluckte Kamose. Die Worte wollten nicht heraus. Er musste sich sehr anstrengen, um sprechen zu können.
»Genau Euren Vater wollte ich sprechen… Ich bin nur ein Schreiberlehrling, ein Bauernsohn, und habe keine Möglichkeit, bei einer so mächtigen Persönlichkeit um eine Unterredung zu bitten.«
»Da täuscht Ihr Euch. Wer immer auch Gerechtigkeit erbittet – vorausgesetzt, seine Sache ist berechtigt –, kann ein Gespräch mit meinem Vater erhalten. Offensichtlich wisst Ihr nicht sehr gut Bescheid, wie die Gerichte funktionieren…«
»Ich bin unwissend«, gestand Kamose, »aber ich kann es nicht hinnehmen, dass meine Eltern von ihrem Hab und Gut vertrieben wurden.«
»Habt Ihr einen Beweis für Eure Anschuldigungen?«
»Leider nein. Ich müsste das Kataster einsehen. Aber ich habe keinen Zugang dazu. Euer Vater schon. Ich bin überzeugt, dass meine Eltern Opfer eines Verwaltungsfehlers sind. Dieser müsste leicht zu korrigieren sein.«
»Leicht zu korrigieren… Das ist nicht so sicher«, urteilte Nofret. »Die Verwaltung gibt Fehler nicht gerne zu. Der Prozess könnte lang und kompliziert werden.«
»Warum ein Prozess?«, fragte Kamose empört. »Ein Soldat der Armee des Pharao behauptet, Besitzer des Grundes zu sein, der meinen Eltern gehört. Das Kataster hat sich geirrt. Die Sache ist ganz einfach!«
»Die Schreiber, die das Katasteramt führen, sind Angehörige des geschlossenen Tempels«, sagte Nofret besänftigend, »und stehen nicht im Ruf, sich zu täuschen.«
Kamose hatte zu seinem Ungestüm zurückgefunden. Die Ungerechtigkeit löste eine nur mühsam zu beherrschende Wut in ihm aus.
»Erlaubt Ihr mir, Euren Vater um Rat zu fragen?«
Kamoses Schicksal lag in den Händen der jungen Frau. Sie war strahlend schön, umgeben von Verehrern und feierte ihren Geburtstag in Luxus und Reichtum. Wie hätte der Fall eines einfachen Bauernehepaars sie interessieren sollen?
Nofret lächelte. Sie nahm Kamose bei der Hand.
»Kommt«, sagte sie.
Das Fest hatte inzwischen seinen Höhepunkt erreicht. Die eleganten Gäste waren gebeten worden, auf welchen Kissen Platz zu nehmen. Diener brachten das Essen in den Bankettsaal, in dessen Mitte die Musikerinnen des Orchesters sanfte Musik erklingen ließen.
Rensi hatte den siebzehnten Geburtstag seiner Tochter auf außergewöhnliche Weise feiern wollen. Alle berühmten und reichen Persönlichkeiten Thebens waren anwesend. Die köstlichsten Speisen sollten ihnen aufgetragen werden: gebratenes Fleisch, gegrillter Fisch, Gemüsepürees, mehrere Sorten Kuchen, alles begleitet von Rot- und Weißwein, der eine aus der Gegend um Theben, der andere aus dem Delta.
Rensi ging auf die fünfzig zu. Der Sohn eines königlichen Schreibers war ein breitschultriger Mann. Er hatte seine gesamte Karriere in der Justizverwaltung absolviert, nachdem er drei Jahre bei den Handwerkern des Tempels von Karnak verbracht hatte. Der Pharao persönlich schenkte ihm Vertrauen und verließ sich auf ihn, um streng, aber ohne Ansehen der Person Recht zu sprechen.
Richter Rensi übte sein Amt mit einer Strenge aus, die ihm manche vorwarfen. Die Adligen fürchteten ihn. Es war bekannt, dass er nicht zögerte, schwere Strafen zu verhängen, wenn sie nicht für den Wohlstand ihrer Güter oder das Wohlergehen ihrer Diener sorgten. Ganz egal, um welche Einflussnahmen es sich handelte und aus welcher Ecke sie kamen: Rensi hatte seit vielen Jahren die gleiche Haltung und nicht die Absicht, diese zu ändern.
Jeden Tag betete er zu Amun und dankte ihm dafür, dass er ihm so viel Glück geschenkt hatte: eine verantwortungsvolle Stellung, die er trotz aller Schwierigkeiten schätzte, eine Frau, die er geliebt hatte, und eine einzige Tochter, die er geradezu anbetete.
Nofret war die schönste aller jungen thebanischen Adligen. Mehr als zehn Heiratsanträge hatte der Vater bereits erhalten. Unaufhörlich machten die ältesten Söhne der besten thebanischen Familien ihr den Hof. Jeder glaubte, Richter Rensi sei es, der die Verehrer abweisen würde, um seine Tochter so lange wie möglich bei sich zu behalten.
In Wahrheit war es Nofret selber, die sich weigerte, sich zu verloben. Sie fand die Jungen ihres Alters einfältig. Sie besaß denselben unnachgiebigen Charakter wie ihr Vater und hatte es mit dem Heiraten nicht eilig. Ihr Tempeldienst bei den Hathor-Priesterinnen interessierte sie weitaus mehr als die gespreizten Erklärungen der jungen Adligen, die darum wetteiferten, sie zu erobern.
Nofret war außergewöhnlich intelligent. Ihre Mutter, Priesterin der Göttin Neith, hatte sie in die Geheimnisse der Webkunst eingeweiht und ihr das Spielen von Musikinstrumenten beigebracht. Sie hatte ihr die ersten Schlüssel zur Zauberkunst gegeben, die es ihr erlaubte, die allen Dingen innewohnende geheime Kraft zu nutzen, zu heilen oder zu zerstören, das Wasser in Feuer und das Feuer in Wasser zu verwandeln. Ihr Vater hatte ihr Lesen und Schreiben beigebracht, bevor er sie in die Schule der Schreiber schickte.
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