waren.
«Er wollte dieses Mädchen schänden, Sir Edward», sagte Hook. «Er hat sie geschändet!»
«Natürlich hat er sie geschändet», sagte Sir Edward ungeduldig, «so etwas gehört zu Hochwürden Sir Martins Gewohnheiten.»
«Und Gott hat zu mir gesprochen», platzte Hook heraus.
«Was hat er?» Sir Edward starrte Hook an, als habe er gerade behauptet, der Himmel sei zu einem Buttermilchsee geworden.
«Er hat zu mir gesprochen», sagte Hook jämmerlich. Er klang ganz und gar nicht überzeugend.
Sir Edward erwiderte nichts. Er starrte Hook noch einen Moment lang an und drehte sich dann zum Marktplatz um, auf dem der brennende Mann aufgehört hatte zu schreien. Nun hing er reglos am Pfahl, und plötzlich loderte sein Haar wie eine Fackel auf. Die Stricke, mit denen man ihn festgebunden hatte, brannten durch, und der Körper stürzte in ein Flammenmeer. Zwei Waffenknechte stießen die Leiche mit Heugabeln zurück in die Mitte des Feuers.
«Ich habe eine Stimme gehört», sagte Hook eigensinnig.
Sir Edward nickte abweisend, um zu zeigen, dass er Hooks Worte verstanden hatte, aber nichts weiter hören wollte. «Wo ist dein Bogen?», fragte er unvermittelt, während er den Blick auf die brennende Gestalt im Rauch gerichtet hielt.
«In der Schankstube des Wirtshauses, Sir Edward.»
Sir Edward drehte sich zum Hoftor des Wirtshauses um, wo Tom Perrill gerade grinsend und mit blutüberströmten Händen aufgetaucht war. «Ich schicke dich jetzt in die Schankstube», sagte Sir Edward leise, «und dort wartest du. Du wartest dort, damit wir dir die Hände fesseln und dich nach Hause bringen und dich vor das Hausgericht stellen und dich anschließend an der Eiche vor der Schmiedewerkstatt aufknüpfen können.»
«Ja, Sir Edward», sagte Hook in missmutigem Gehorsam.
«Was du nicht tun wirst», fuhr Sir Edward mit gesenkter, nun aber drängender Stimme fort, «ist, das Wirtshaus durch die Vordertür zu verlassen. Du wirst nicht in den Stadtkern gehen und dich nach einer Straße namens Cheapside oder einem Gasthaus namens Two Cranes umsehen. Und du wirst nicht ins Two Cranes gehen und dich nach einem Mann namens Henry von Calais erkundigen. Hörst du mir zu, Hook?»
«Ja, Sir Edward.»
«Henry von Calais wirbt Bogenschützen an», sagte Sir Edward. Ein Mann in den Farben des Königs trug unterdessen ein brennendes Holzscheit zu dem zweiten Scheiterhaufen, auf dem ein anderer Lollardenanführer an den Pfahl gefesselt war. «In der Picardie brauchen sie Bogenschützen», sagte Sir Edward, «und sie zahlen gut.»
«Picardie.» Ausdruckslos wiederholte Hook das Wort. Es musste sich dabei um eine Stadt irgendwo in England handeln.
«Verdien dir in der Picardie ein bisschen Geld, Hook», sagte Sir Edward, «denn Gott weiß, du wirst es brauchen.»
Hook zögerte. «Bin ich jetzt geächtet?», fragte er beunruhigt.
«Du bist tot, Hook», sagte Sir Edward, «und tote Männer stehen außerhalb des Gesetzes. Du bist ein toter Mann, weil mein Befehl lautet, dass du in dem Gasthaus warten und dann zu deiner Anklage vor dem Hausgericht gebracht werden sollst, und weil Lord Slayton keine andere Wahl haben wird, als dich zum Strang zu verurteilen. Also geh und tu, was ich gesagt habe.»
Doch bevor Hook gehorchen konnte, erklang von der nächsten Ecke ein Ruf: «Hüte runter!» Hufgeklapper kündete das Erscheinen einer Reitergruppe an, die auf den weiten Platz sprengte. Dort fächerten sich die Pferde auf, tänzelten ein bisschen herum und blieben dann mit dampfenden Nüstern und stampfenden Hufen stehen. Männer und Frauen rissen sich Hüte und Hauben von den Köpfen und knieten sich auf die Erde.
«Runter, mein Sohn», sagte Sir Edward zu Hook.
Der Reiter an der Spitze war jung, kaum älter als Hook, doch sein Gesicht zeigte stille Entschlossenheit, während er seinen kalten Blick über den Marktplatz schweifen ließ. Sein Gesicht war schmal, die Nase lang, seine Augen dunkel, und sein dünnlippiger Mund wirkte streng. Er hatte glatte Wangen, doch das Schermesser schien seine Haut gereizt zu haben, denn sie wirkte wie roh geschabt. Er ritt auf einem schwarzen Pferd mit prächtigem Zaumzeug aus poliertem Leder und blitzendem Silber. Er trug schwarze Stiefel, schwarze Kniehosen, einen schwarzen Wappenrock und einen wollgefütterten Umhang aus dunkelpurpurnem Stoff. Sein Hut war aus schwarzem Samt und mit einer schwarzen Feder geschmückt, und an seiner Seite hing ein Schwert in einer schwarzen Scheide. Sein Blick wanderte über das gesamte Rund des Marktplatzes, dann trieb er sein Pferd vor, um die Frau und die drei Männer zu betrachten, die sich zuckend an den Glockenseilen wanden, die an den Balken des Bull geknotet worden waren. Ein tückischer Windstoß blies Rauch und Funken gegen seinen Hengst, der wiehernd scheute. Der Reiter klopfte dem Tier mit seiner schwarzbehandschuhten Rechten beruhigend auf den Hals, und Hook sah, dass der Mann juwelenbesetzte Ringe über den Handschuhen trug. «Wurde ihnen die Gelegenheit gegeben zu widerrufen?», fragte der Reiter.
«Es wurden ihnen viele Gelegenheiten gegeben, Sire», antwortete Sir Martin salbungsvoll. Der Priester war aus dem Hof des Wirtshauses gehastet und auf die Knie gefallen. Er bekreuzigte sich. Sein hageres Gesicht wirkte beinahe wie das eines Heiligen, eines Mannes, der für seinen Herrn und Gott gelitten hatte. Er besaß die Fähigkeit, aus seinen höllischen Augen auf Abruf Schmerz, Nächstenliebe und Erbarmen sprechen zu lassen.
«Dann», sagte der junge Mann schroff, «ist ihr Tod Gott ein Wohlgefallen, und mir ist er ebenso ein Wohlgefallen. England wird die Häresie vernichten!» Seine wachen braunen Augen ruhten kurz auf Nick Hook, der sofort den Blick senkte und auf den Boden starrte, bis der schwarzgewandete Reiter zu dem zweiten Scheiterhaufen galoppierte, der gerade angezündet worden war. Doch in dem kurzen Moment bevor Nick den Blick gesenkt hatte, war ihm die Narbe in dem Gesicht des jungen Mannes aufgefallen. Sie ließ erkennen, dass sich hier ein Pfeil in den Winkel zwischen Nase und Auge gebohrt hatte. Dieser Pfeil hätte tödlich sein können, doch offenbar hatte Gott beschlossen, dass der Mann weiterleben sollte.
«Weißt du, wer das ist, Hook?», fragte Sir Edward leise.
Hook hatte gerade zum ersten Mal im Leben den Earl von Chester, den Duke von Aquitanien und den Lord von Irland gesehen, das war nicht schwer zu erraten. Er hatte Henry gesehen, durch Gottes Gnade König von England.
Und, all jenen zufolge, die behaupteten, die rätselhaften Verschlingungen königlicher Abstammungslinien zu verstehen, zugleich König von Frankreich.
Die Flammen erreichten den zweiten Mann, der zu schreien begann. Henry, der fünfte König Englands, der diesen Namen trug, beobachtete gelassen, wie die Seele des Lollarden in die Hölle fuhr.
«Geh, Hook», murmelte Sir Edward.
«Warum, Sir Edward?», fragte Hook.
«Weil Lord Slayton nicht will, dass du stirbst», sagte Sir Edward, «und weil Gott vielleicht wirklich zu dir gesprochen hat und weil wir alle Seiner Gnade bedürfen. Ganz besonders am heutigen Tag. Also geh schon.»
Und Nicholas Hook, Bogenschütze und Geächteter, ging.
TEIL EINS
Sankt Crispin und Sankt Crispinian
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Die Aisne wand sich träge durch ein weites Tal, das von niedrigen, bewaldeten Hügeln eingerahmt wurde. Es war Frühling, und die frischen Blätter leuchteten in hellem Grün. Langes Wassergras schwankte in der Strömung einer Flussschleife, in der die Stadt Soissons lag.
Soissons besaß eine Stadtmauer, eine Kathedrale und eine Burg. Die Burg war zur Festung ausgebaut und schützte die Flandernstraße, die nördlich an Paris vorbeiführte. Nun war sie vom Feind Frankreichs besetzt. Die Garnison führte das gezackte rote Kreuz von Burgund, und über der Burg wehte die bunte Flagge des Herzogs von Burgund, auf deren in Viertel eingeteilten Feldern sich blaue und gelbe Schrägstreifen mit den Lilien im königlichen Wappen Frankreichs abwechselten, während sich in der Mitte ein aufsteigender Löwe erhob.
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