Die Gräfin hielt sich für durchaus aufrichtig, und doch enthielten die letzten Worte eine kleine Lüge. Wenn Fabrizzio gewollt hatte, wäre er vielleicht der Eroberer ihres ganzen Herzens geworden. In den Augen des Grafen Mosca freilich war Fabrizzio nur ein Kind. Drei Tage nach dessen Flucht nach Novara war Mosca in Mailand und verwandte sich sofort beim Baron Binder für den Verbannten. Der Graf war danach der Meinung, die Sache sei aussichtslos.
Mosca war nicht allein nach Mailand gekommen. Er hatte in seinem Wagen den Duca di Sanseverina-Taxis mitgebracht, einen netten alten Herrn von achtundsechzig Jahren, leicht ergraut, mit besten Umgangsformen, sehr geschmackvoll und unermeßlich reich. Sein Adel war allerdings nicht weit her. Sein Großvater hatte als Generalpächter der gesamten Staatseinnahmen von Parma Millionen auf Millionen gehäuft. Sein Vater war Gesandter des vormaligen Fürsten von Parma am Hofe zu … geworden, und zwar dank folgender Erörterung:
›Serenissimus zahlen dem Gesandten am Hofe zu … ein Gehalt von dreißigtausend Franken, womit dieser dort eine ziemlich mäßige Rolle spielt. Wenn Eure Hoheit geruhen wollten, mir diesen Posten zu übertragen, nähme ich ihn mit sechstausend Franken Gehalt. Mein Auftreten am Hofe zu … sollte mir nicht unter hunderttausend Franken im Jahre zu stehen kommen. Mein Vermögensverwalter würde überdies der Kasse der auswärtigen Angelegenheiten in Parma jährlich zwanzigtausend Franken überweisen. Mit dieser Summe könnte man mir einen Legationssekretär beigeben, und ich wäre keineswegs auf diplomatische Geheimnisse eifersüchtig, wenn es solche gäbe. Mein Ziel ist, meinem noch jungen Hause Ansehen zu verschaffen und es durch eine hohe Staatsstellung auszuzeichnen.‹
Der jetzige Duca, der Sohn jenes Gesandten, hatte den Fehler begangen, sich einen halb liberalen Anstrich zu geben, und lebte seit zwei Jahren in tiefer Verzweiflung. Zu Zeiten Napoleons hatte er durch sein hartnäckiges Verbleiben im Ausland zwei oder drei Millionen eingebüßt, und nach der Wiederherstellung der Ordnung in Europa war es ihm trotz alledem nicht gelungen, ein gewisses Ordensband zu erringen, das das Bildnis seines Vaters schmückte. Das Ausbleiben des Großkreuzes hatte ihn gänzlich gebrochen.
Die Vertraulichkeit, die in Italien mit der Liebe verknüpft ist, hebt zwischen zwei Liebenden alle Eitelkeitsrücksichten auf. Also sagte Mosca mit der größten Natürlichkeit zu seiner Angebeteten: »Ich habe Ihnen zwei oder drei gründlich durchdachte Pläne vorzulegen. Seit drei Monaten träume ich von nichts anderem.
Erstens: Ich reiche meine Entlassung ein, und wir leben gut bürgerlich in Mailand, Florenz oder Neapel, wo Sie wünschen. Wir haben jährlich fünfzehntausend Lire zu verzehren und sind unabhängig von der mehr oder minder unbeständigen Fürstengunst.
Zweitens: Sie geruhen in das Land zu kommen, wo ich etwas bedeute. Sie kaufen sich ein Gut, Sacca zum Beispiel, ein allerliebster Wohnsitz mitten im Wald, mit Aussicht auf den Po. Der Kaufvertrag könnte binnen acht Tagen unterschrieben sein. Sie werden am Hofe des Fürsten verkehren. Aber die Sache hat einen gewaltigen Haken. Man wird Sie bei Hofe gut aufnehmen; es fällt niemandem ein, mir Hindernisse in den Weg zu legen. Überdies hält sich die Fürstin für unglücklich, und ich habe ihr kürzlich im Hinblick auf Sie einen Dienst erwiesen. Aber, wie gesagt, die Sache stößt auf ein beträchtliches Hindernis: Serenissimus ist höchst bigott, und wie Sie wissen, will es das Verhängnis, daß ich verheiratet bin. Daraus entspringen tausend kleine Unannehmlichkeiten. Sie sind Witwe, an und für sich ein hübscher Titel, den Sie gegen einen anderen eintauschen müßten. Und darin gipfelt mein dritter Vorschlag.
Ein neuer Gatte, ein nicht im mindesten unbequemer, wäre schon zu finden; er müßte nur recht alt sein. Warum sollten Sie mir nicht die Hoffnung lassen, eines Tages an seine Stelle zu treten? Nun hören Sie! Ich habe diesen merkwürdigen Fall mit dem Duca di Sanseverina-Taxis besprochen, selbstverständlich ohne ihm den Namen der künftigen Duchezza zu verraten. Er weiß nur, daß er durch Sie Gesandter und Großkomtur desselben Ordens werden wird, den sein Vater getragen hat und dessen Ausbleiben ihn zum Unglücklichsten aller Sterblichen macht. Abgesehen von dieser Schrulle ist der Herzog durchaus kein übler Mann. Er läßt sich seine Kleidung und seine Perücken aus Paris kommen. Ein vorbedachter Bösewicht ist er keineswegs; nur glaubt er steif und fest, die höchste Ehre hafte an jenem Ordensband. Vor einem Jahre machte er mir den Vorschlag, er wolle dafür ein Krankenhaus errichten. Ich habe ihn ausgelacht; aber er hat mich nicht im mindesten ausgelacht, als ich ihm den Heiratsvorschlag machte. Ich habe ihm, wohlverstanden, die Hauptbedingung gestellt, daß er nie wieder den Fuß nach Parma setzt.«
»Wissen Sie auch, daß Ihr Vorschlag im höchsten Grade unmoralisch ist?« sagte die Gräfin.
»Nicht unmoralischer als alles, was an unserem Hofe und an einem Dutzend anderer gang und gäbe ist. Der Absolutismus hat das Bequeme, daß er in den Augen des Volkes alles billigt. Das ist lächerlich, aber niemand merkt es. In den nächsten zwanzig Jahren wird unsere Politik von der Angst vor den Jakobinern geleitet werden, und von was für einer Angst! Jahr für Jahr wird man wähnen, am Vorabend von Anno 93 zu stehen. Ich hoffe, Sie werden die Phrasen zu hören bekommen, die ich bei offiziellen Gelegenheiten loslasse. Genug! Was jener Furcht nicht neue Nahrung gibt, ist in den Augen des Adels und der Klerikalen unantastbar moralisch. Nun sitzt in Parma alles, was nicht adlig oder bigott ist, im Gefängnis oder ist auf dem Sprunge dahin. Seien Sie überzeugt, solange ich in Gnaden stehe, wird kein Mensch an dieser Heirat etwas Auffälliges finden. Mit diesem Abkommen wird niemand betrogen. Das scheint mir die Hauptsache. Der Fürst, von dessen Gunst unser Wohl und Wehe abhängt, macht seine Einwilligung nur von einer Bedingung abhängig: die künftige Herzogin muß von altem Adel sein. Im vergangenen Jahre hat mir mein Posten hundertsiebentausend Franken eingebracht; alles in allem gerechnet, habe ich also hundertzweiundzwanzigtausend Franken Gehalt; davon habe ich zwanzigtausend in Lyon angelegt. Wählen Sie nun! Auf der einen Seite winkt Ihnen ein großartiges Leben mit hundertzweiundzwanzigtausend Franken im Jahre. Das ist in Parma soviel wie vierhunderttausend Franken in Mailand; allerdings heiraten Sie dafür einen annehmbaren Mann und tragen seinen Namen, aber Sie sollen ihn außer am Traualtar nie wieder zu sehen bekommen. Auf der anderen Seite ein kleinbürgerliches Dasein mit fünfzehntausend Lire in Florenz oder Neapel, denn ich bin ganz Ihrer Meinung, in Mailand hat man Sie allzusehr bewundert; dort würde uns die Mißgunst heimsuchen und uns unsere gute Laune verderben. Das große Leben in Parma wird, hoffe ich, den Reiz des Neuen haben, selbst in Ihren Augen, die den Hof des Fürsten Eugen gesehen haben. Lernen Sie es nur erst kennen! Glauben Sie nicht, daß ich Sie in Ihrem Entschluß zu beeinflussen suche. Mein Standpunkt steht fest; ich lebe lieber im dritten Stock zusammen mit Ihnen, als daß ich mein großes Leben einsam weiterführe.«
Das Für und Wider dieser seltsamen Heirat wurde täglich zwischen den beiden Liebenden erwogen. Auf dem Ball in der Scala lernte die Gräfin den Duca di Sanseverina-Taxis kennen. Er kam ihr ganz annehmbar vor. Während eines ihrer letzten Gespräche faßte Mosca seinen Vorschlag noch einmal wie folgt zusammen: »Wir müssen zu einem entscheidenden Entschluß kommen, um Ruhe in unser Leben zu bringen. Der Fürst hat seine Einwilligung gegeben. Sanseverina ist eine Persönlichkeit mit mehr guten als schlechten Seiten. Er besitzt den schönsten Palast von Parma und ein maßloses Vermögen; er ist achtundsechzig Jahre alt und hat nur die törichte Ordenssucht. Freilich haftet ein großer Makel an seinem Leben: er hat vor Jahren für zehntausend Franken eine Büste Napoleons von Canova gekauft. Und dann hat er eine Todsünde begangen, von der Sie ihn erlösen sollen: er hat einem gewissen Ferrante Palla fünfundzwanzig Napoleons geborgt. Das ist ein sonderbarer Heiliger, im Grunde ein genialer Kerl, den wir zum Tode verurteilt haben, glücklicherweise in contumaciam. Dieser Ferrante hat im ganzen zweihundert Verse geschrieben. Die sind unvergleichlich. Ich werde sie Ihnen gelegentlich vorlesen; sie sind ebenso schön wie Dantes Verse. Serenissimus schickt den Sanseverina an den Hof von … Am Tage seines Wegganges heiratet er Sie. Ein Jahr darauf bekommt er sein Großkreuz, ohne das er nicht leben kann. Sie werden an ihm einen Bruder haben, der ganz und gar nicht lästig ist. Er unterschreibt im voraus alles, was ich ihm vorlege; und im übrigen werden Sie ihn selten oder gar nicht zu Gesicht bekommen, ganz wie es Ihnen beliebt. Er verlangt nichts weiter, als daß er sich in Parma nicht zu zeigen braucht, wo ihn sein Großvater, der Generalpächter, und das Gerücht, er sei liberal, belästigen. Rassi, unser Henker, hat behauptet, der Duca sei heimlich auf den ›Constitutionnel‹ abonniert gewesen, und zwar durch Vermittlung des Dichters Ferrante Palla, und diese Verleumdung hat lange Zeit der Einwilligung des Fürsten ernstlich im Weg gestanden.«
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