Es berührte Keira sehr, zu wissen, welchen Aufwand Milos Familie für sie betrieben hatte. Bevor sie zugestimmt hatte, noch über Weihnachten zu bleiben, hatten sie ihr bereits alle ihre Geschenke gegeben, um sie mit nach New York zu nehmen und sie war bereits damals von Dankbarkeit überwältigt gewesen. Aber dann hatte es sich so ergeben, dass sie noch blieb und die Geschenke hatten sich unter dem Weihnachtsbaum multipliziert, zu einer Menge, die Keira peinlich berührte. Sie fühlte sich nicht, als verdiene sie so viel Güte. Im Vergleich zu Weihnachten bei ihr zu Hause, fühlte sie sich extrem verwöhnt.
„Ich habe ebenfalls etwas ganz Besonderes für Keira“, sagte Milo.
Sie errötete. Sie murmelte ihm leise zu: „Du weißt, ich hatte keine Zeit, etwas zu besorgen.“
Milo lachte. „Das wissen wir. Es macht niemandem etwas aus. Wir verschenken nichts mit der Erwartung, dafür im Gegenzug auch etwas zu erhalten. Das würde den Zweck des Schenkens verfehlen.“
„Ich weiß“, sagte Keira, „aber ich fühle mich so schuldig. Alle sind so unglaublich zuvorkommend.“
„Mach dir nicht so viele Sorgen“, kicherte Milo. „Deine Anwesenheit ist uns Geschenk genug!“
Keira rollte wegen des kitschigen Spruchs mit ihren Augen, fühlte sich aber ein bisschen besser.
Sie betraten das Wohnzimmer und setzten sich alle hin. Nils setzte sich auf den Fußboden und machte sich bereit Geschenke auszuteilen. Er hob das erste Geschenk hoch. Es war in wunderschönem, silbern glänzendem Papier eingewickelt.
„Dieses hier ist für Keira“, sagte er, als er ein Kärtchen in Schneeflockenform vorlas. „Es ist von Yolanta.“
Er gab es zunächst Yolanta, die es dann an Keira weiterreichte, offensichtlich einem Familienritual folgend. Keira nahm die große rechteckige Box entgegen und fühlte noch immer ein wenig Restschuld, darüber, dass sie nichts im Gegenzug geben konnte.
Um das wunderschöne Papier nicht zu zerreißen, bemühte sich Keira sorgfältig, das Klebeband zu entfernen als sie ihr Geschenk auspackte. Die Kiste, die nun zum Vorschein kam, war weiß und hatte einen schwedischen Markennamen aufgedruckt, den Keira nicht lesen konnte. Aber der Rest der Familie machte ein Geräusch, was darauf schließen ließ, dass sie alle genau wussten, was sich darin befand.
Keira hob den Deckel und faltete das weiße Füllpapier zurück. Zu ihrem Schock und ihrer Freude befand sich darin ein kompletter Schneeanzug. Bis jetzt hatte sie sich einen Ersatzanzug von Yolanta ausgeliehen, der ihr viel zu groß gewesen war, und außerdem leuchtend rot. Dieser hier war dunkel, elegant geschnitten und die richtige Größe.
„Wundervoll“, sagte Keira. „Der sieht so bequem aus. Ich werde ihn so viel tragen.“
Aber sie fühlte, wie sich ihre Brust zusammenzog, als sie sich daran erinnerte, dass sie es vielleicht nicht tun würde. Ihre Tage in Schweden waren fast vorbei.
„Für deinen nächsten Besuch“, beruhigte Yolanta sie, als hätte sie intuitiv die leichte Veränderung in Keiras Stimmung bemerkt.
„Vielen Dank“, sagte Keira mit tiefer Dankbarkeit.
Nils zog ein weiteres Geschenk unter dem Baum hervor, welches, via Regina, an Milo gereicht wurde, der es öffnete und eine neue Uhr herauszog.
„Danke, Schwesterherz“, sagte er und bewunderte die Uhr an seinem Arm.
„Das nächste Geschenk“, sagte Nils von seinem Platz am Fußboden umgeben von Tannennadeln, „ist für … Keira. Von Milo.“
Er gab das flache rechteckige Geschenk an Milo, der es dann an Keira weiterreichte.
Keira hob eine Augenbraue. Sie hatte keine Ahnung, was es sein könnte.
Sie begann es auszupacken und erkannte dann, dass es eine Art Gemälde war. Schnell zog sie den Rest des Papiers herunter und drehte das Rechteck herum, sodass es richtig herum vor ihr lag. Was sie sah, verschlug ihr den Atem. Die darauf gemalte Landschaft war eine Szene des gefrorenen Sees mit Schlittenhunden, die darüberfuhren. Es war wunderschön und so unglaublich gedankenvoll.
„Das ist der gleiche See, auf dem wir Eisfischen waren“, erklärte Milo. „Es wurde von einem berühmten schwedischen Maler gemalt. Ich dachte, es würde dir helfen, dich an Schweden zu erinnern.“
Keira stiegen die Tränen in die Augen, so gerührt war sie von der Geste. Sie warf ihre Arme um Milo. „Es ist wundervoll!“, rief sie und drückte Küsse auf seine Wangen.
Nils verteilte weitere Geschenke, gab eines an Yolanta für Regina und ein anderes an Regina, die es ihm direkt wieder zurückgab.
„Was ich dir wirklich schenken wollte“, sagte Milo in Keiras Ohr, als seine Familie mit ihren Geschenken beschäftigt war, „war eine richtige Fahrt mit den Schlittenhunden.“
Keira lachte.
„Leider haben wir nicht genug Zeit dafür“, fuhr er fort. „Also habe ich dir das hier gekauft.“
Er zog etwas hinter seinem Rücken hervor. Keira hielt die Luft an, geschockt, dass es noch ein weiteres Geschenk für sie gab und davon, dass es nicht den offiziellen Nilson-Familienweg gegangen war.
„Ein geheimes Geschenk?“, fragte sie in einer witzelnden, verschwörerischen Stimme.
Milo nickte. „Mach es auf“, drängelte er. Tief bewegt, entfernte Keira vorsichtig das Papier. Sie hielt eine kleine schwarze rechteckige Schachtel in der Hand und konnte bereits erkennen, dass es sich um Schmuck handelte. Sie klappte das Kästchen auf und hielt die Luft an. Darin befand sich eine Kette aus Weißgold verziert mit hellen Saphiren.
„Oh, Milo, sie ist wunderschön“, sagte sie atemlos.
Sie griff danach, hob die Kette an ihren Hals und legte das delikate Schmuckstück über ihre Schlüsselbeine.
„Lass mich dir helfen“, bot er an.
Sie drehte sich, strich ihr Haar über eine Schulter und Milo schloss den kleinen Verschluss. Seine Finger fühlten sich warm auf ihrer Haut an und ein Kribbeln breitete sich durch ihren ganzen Körper aus.
„Obwohl wir hunderte Kilometer entfernt voneinander sein werden“, flüsterte er ihr ins Ohr, „hast du jetzt etwas von mir und von Schweden, das immer bei dir sein kann.“
Keira drehte sich zu ihm um. Sie war zutiefst berührt. „Ich werde sie, wie einen Schatz hüten“, sagte sie und blickte in seine Augen. „Vielen Dank, dass du dies zum besten Weihnachten überhaupt gemacht hast.“
„Nein, ich danke dir“, sagte Milo bedeutungsvoll.
Dann lachte er und zog sie in seine Arme, während die Familie um sie herum weiterhin Geschenke öffnete.
*
Der Rest des Tages war eine geschäftige und fröhliche Angelegenheit und doch war Keira erleichtert, als sie sich am Ende des Abends auf der Veranda wiederfanden, mit Milos gesamter Familie schon im Bett, und es waren nur noch sie beide. So sehr sie seine Familie auch liebte, war es doch wichtig, dass sie ein paar wertvolle Momente nur für sie beide allein hatten.
Sie saßen nebeneinander, teilten sich eine Flasche wärmenden Likörs und schauten über die Berge. Es würde für Keira das letzte Mal sein. Wie traurig, dass der erste Moment, den sie heute allein verbrachten, auch ihr letzter gemeinsamer Moment für eine unbestimmte Zeit sein würde.
Der Nordstern schien hell über ihnen und wegen der dicken Schneedecke sah es so aus, als würden all die kleinen Berghütten, die überall am Hang verteilt lagen, tief im Schnee versinken. Am Waldesrand sah Keira die dunklen Tannenbäume, die so majestätisch in ihrer natürlichen Umgebung von tiefem, tiefem Schnee standen.
Milo griff nach Keiras Hand. Sie sah zu ihm hinüber und sein Gesicht war genauso atemberaubend wunderschön wie die Umgebung, von der sie ihre Augen soeben abgewandt hatte. Sie fühlte, wie seine warmen Finger ihre drückten.
„Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich so schnell in jemanden verlieben könnte“, sagte er mit seiner gewöhnlichen offenen Art. „Ehrlich gesagt, dachte ich immer, dass Liebe auf den ersten Blick nur ein Mythos sei; dass die Leute Liebe und Lust verwechselten.“
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