Ich glaube, ich ruhe mich oben ein wenig aus“, meinte Emily, die ein wenig allein sein und nachdenken wollte.
Sie ging hinauf, setzte sich auf den Hocker vor dem Schminktisch und starrte ihr eigenes Spiegelbild an. Warum verhielt sich Daniel so? Amy war hundert Mal begeisterter gewesen, als sie davon erfahren hatte. Amy hatte sofort losziehen und Dinge für das Kinderzimmer kaufen wollen. Daniel hingegen hatte nicht eine einzige Sache erwähnt, die sie für das Baby brauchen würden. Selbst, wenn er in seiner praktischen, logischen und vernünftigen Art nach Kinderwägen und Autositzen suchen würde, wäre das besser, als dieser überforderte und leicht gestresste Zustand, in dem er sich allem Anschein nach gerade befand.
Während sie ihren Gedanken nachhing, realisierte Emily, dass Amy und Harry abgesehen von der engsten Verwandtschaft die einzigen waren, die von dem Baby wussten. Sie hatte es einer Freundin erzählt aber noch nicht dem Menschen, dem sie es am meisten erzählen wollte, dem Menschen, dessen Reaktion die beste von allen sein würde: ihrem Vater.
Sie wühlte in ihrer Schublade nach einem Stück Papier und einem Stift. Sie wusste, dass ihr Vater nur eine sehr schlechte Internetverbindung hatte und nur über eine Telefonzelle im Dorf telefonisch erreicht werden konnte. Ein Gespräch wäre nahezu unmöglich zu koordinieren und sie wusste, dass ein Brief die schnellste Möglichkeit wäre, ihm die Neuigkeiten mitzuteilen. Außerdem hatte das Briefeschreiben etwas Besonderes an sich. Er konnte ihn behalten und in der Zukunft immer wieder lesen. Immerhin war es eine der größten Freuden ihres Vaters, Papierstücke zu sammeln.
Sie begann zu schreiben.
Lieber Vater,
Ich vermisse dich so sehr! Das Haus ist ohne dich nicht das Gleiche. Die Rückkehr aus den Flitterwochen war bittersüß, denn ich wusste, dass du nicht mehr hier sein würdest. Ich hoffe, wir können diesen Sommer, wie du vorgeschlagen hast, nach England fliegen und dich besuchen. Chantelle würde das gefallen. Sie sehnt sich nach ihrem Papa Roy!
Es gibt allerdings noch einen anderen Grund, warum ich dir schreibe. Ich schreibe dir nicht nur, um dir zu sagen, wie sehr ich dich vermisse, aber auch, weil ich tolle Neuigkeiten habe. Daniel und ich haben vor kurzem herausgefunden, dass ich schwanger bin! Kannst du das glauben? Du wirst Großvater! Die Geburt findet wahrscheinlich Anfang Dezember statt.
Natürlich hätte ich dir meine Neuigkeiten lieber persönlich verkündet, aber ich dachte, dass dies der beste Weg wäre, dich zu kontaktieren. Außerdem kannst du diesen Brief einrahmen und deinen Papierbergen hinzufügen. Ich weiß doch, dass du das gerne machst!
Ich freue mich schon auf deine Antwort. Oder du könntest in ein Handy investieren, dann könnten wir einen Videoanruf arrangieren! Videoanrufe, Dad, kannst du das glauben? Es kommt mir so vor, als lebten wir in der Zukunft!
In tiefer Liebe, für immer und ewig,
Emily Jane xx
Sie las sich den Brief noch einmal durch und hoffte, dass Roy ihren leicht scherzhaften Ton schätzen und sich nicht angegriffen fühlen würde. Dann faltete sie den Brief und steckte ihn in einen Umschlag.
In diesem Moment hörte sie ein Klopfen an der Tür. Als sie sich umwandte, sah sie, dass Chantelle ihren Kopf um die Tür herumstreckte.
„Was ist los, Mommy?“, fragte sie. „Du bist schon seit einer Ewigkeit hier oben.“
Emily bedeutete ihr, einzutreten, was das Mädchen auch schnell tat und mit weichen Schritten auf sie zukam. Als Chantelle Emily erreichte, fiel sie in ihre Arme.
„Nichts ist los“, antwortete Emily. „Ich wollte nur einen Brief an Papa Roy schreiben, um ihm von dem Baby zu erzählen.“ Dabei hielt sie den verschlossenen Umschlag hoch. „Möchtest du mit mir kommen, wenn ich ihn einwerfe?“
Chantelle nickte zustimmend. Emily reichte ihr den Umschlag, den Chantelle fest in ihren Händen hielt. Dann verließen sie gemeinsam das Schlafzimmer, gingen hinunter, zur Eingangstür hinaus und liefen Hand in Hand die Straße zum Briefkasten entlang. Emily bemerkte, dass Chantelle ungewöhnlich leise war. Normalerweise hörte sie nie auf zu reden, doch seit sie die Pension verlassen hatten, hatte sie kein einziges Wort verloren.
„Geht es dir gut, Liebes?“, fragte Emily, während sie die kleine Hand fest drückte.
Chantelle sah mit traurigen Augen zu ihr auf und klammerte sich mit der anderen Hand an den Brief. „Ich vermisse Papa Roy“, sagte sie.
„Ich auch“, meinte Emily wehmütig.
„Hat Papa Roy denn kein Handy, damit wir ihn anrufen können?“, fragte Chantelle. „Wir könnten einen Videoanruf machen.“
Emily lachte und tippte auf den Umschlag. „In dem Brief habe ich ihn das Gleiche gefragt“, antwortete sie. Doch trotz ihrem Versuch, die Stimmung aufzuheitern, teilte sie Chantelles Enttäuschung. Sich ein Handy zu kaufen war das Mindeste, was ihr Vater tun könnte.
„Er meinte, er würde sich vielleicht eines kaufen“, sagte Chantelle. „Weißt du noch?“
Emily nickte. Das war kurz, bevor er wieder zurück nach Martha’s Vineyard gegangen war. Sie hatte sich von ihm verabschieden wollen, was sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr nicht mehr gekonnt hatte, und er hatte scherzhaft gemeint, dass er sich ein Handy kaufen würde, um mit ihr in Kontakt zu bleiben. Damals war sie voller Hoffnung gewesen. Nicht, dass er sich ein Handy kaufen würde, sondern, dass sie regelmäßig Kontakt halten würden. Leider schien die Sache nicht so zu funktionieren wie gedacht. Wenn er sich schon nicht mit Briefen bei ihr melden konnte, wie standen dann die Chancen, dass er eine Lebensgewohnheit brach und sich ein Handy kaufte!
„Ich werde beten, dass er sich eines kauft“, sagte Chantelle mit fester Stimme, „und dass wir dann einen Videoanruf machen können.“
Emily nickte, während sie sich ihre eigene Traurigkeit nicht anmerken ließ. „Das ist eine sehr gute Idee“, entgegnete sie.
Chantelle schloss ihre Augen und Emily beobachtete voller Stolz, wie sich die Lippen des Mädchens in einem stillen Gebet bewegten. Dann öffnete es die Augen und grinste. „Amen.“
Am Briefkasten angekommen half Emily Chantelle, den Brief einzuwerfen. Während sie zurück zum Haus gingen, hörte Emily, wie eine neue Nachricht auf ihrem Handy einging. Sofort dachte sie an ihren Vater. Vielleicht war Chantelles Gebet bereits erhöht worden!
Aber als sie ihr Handy aus der Tasche zog, was sie überrascht den Namen von Roman Westbrook auf dem Bildschirm zu lesen.
Durch Emily fuhr ein Schock. So wollte sie nicht auf Roman reagieren. Er hatte deutlich gemacht, wie wichtig seine Privatsphäre war und wie viel es ihm bedeutete, in Sunset Harbor respektiert zu werden. Das war einer der Gründe, warum er mit Emily und dem Rest der Familie in Kontakt bleiben wollte, nachdem er sich den Ort angesehen hatte. Doch gleichzeitig konnte Emily immer noch nicht glauben, dass sich Roman Westbrook, der berühmte Sänger und Superstar in der Kontaktliste ihres Handys befand!
Sie öffnete die Nachricht und schrie auf, nachdem sie sie gelesen hatte.
„Was ist?“, wollte Chantelle wissen.
„Roman hat ein Haus gekauft“, antwortete Emily ihr. „Hier in Sunset Harbor.“
„Cool“, meinte Chantelle. „Heißt das, dass wir eine Willkommensfeier organisieren und ihm einen Geschenkkorb richten?“
Chantelle liebte es, Päckchen für ihre Nachbarn zu richten. Sie hatte für Trevor schon mehrere Care-Pakete gepackt, als er noch am Leben gewesen war.
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