„Nicht wirklich“, sagte Emily. „Es geht um…“ Sie verstummte, denn ihr Mut schwand dahin. Dann riss sie sich zusammen. Sie hatte nichts, wofür sie sich schämen musste. Auch wenn ihr Leben eine andere Richtung eingeschlagen hatte als das ihrer zwei besten Freundinnen, war daran überhaupt nichts falsch. Ihre Entscheidungen waren ihre Sache und sollten respektiert werden. „Daniel und ich werden heiraten.“
Am anderen Ende der Leitung herrschte zunächst einen Moment lang Schweigen, dann ertönte schrilles Kreischen. Emily zuckte zusammen. Sie konnte sich ihre Freundinnen geradezu mit ihren perfekt manikürten Nägeln, ihrer durch die Feuchtigkeitscreme nach Rose und Camille riechenden Haut und ihrem glänzenden Haar vorstellen, wie sie von ihren Stühlen aufsprangen.
Durch den Lärm konnte Emily ausmachen, dass Jayne „Oh mein Gott!“ und Amy „Alles Gute!“, schrien.
Sie seufzte erleichtert auf. Ihre Freundinnen hielten zu ihr. Das war eine Sorge weniger.
Schließlich ebbte das unverständliche Kreischen ab.
„Du bist aber nicht schwanger, oder?“, fragte Jayne, die wie immer kein Taktgefühl besaß.
„Nein!“, rief Emily mit einem Lachen.
„Jayne, halt den Mund“, schimpfte Amy. „Erzähl uns alles. Wie hat er um deine Hand angehalten? Wie sieht der Ring aus?“
Emily erzählte ihnen vom Strand, den Liebeserklärungen im Schnee und dem wunderbaren, perlenbesetzten Ring. Ihre Freundinnen seufzten an genau den richtigen Stellen. Emily spürte, dass sich die beiden für sie freuten.
„Wirst du seinen Namen annehmen?“, bohrte Jayne weiter nach. „Oder einen Doppelnamen führen? Mitchell-Morey ist ganz schon umständlich. Wie wäre es mit Morey-Mitchell? Emily Jane Morey-Mitchell. Hmm. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Vielleicht solltest du einfach deinen eigenen Namen behalten, findest du nicht? Das wäre immerhin eine aussagekräftige, mutige und feministische Entscheidung.“
Emilys Gedanken schwirrten, während Jayne in ihrer üblichen aufgedrehten Weise vor sich hin brabbelte und ihr kaum eine Pause ließ, um eine ihrer Fragen zu beantworten.
„Wir sind aber schon deine Brautjungfern, oder?“, endete Jayne auf ihre typische, direkte Art.
„Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht“, gab Emily zu. Jayne und Amy mochten zwar in der Tat ihre ältesten Freundinnen sein, doch seit ihrem Umzug nach Sunset Harbor hatte sie auch hier neue Freunde gefunden. Dazu gehörten Serena, Yvonne, Suzanna, Karen und Cynthia. Und was war mit Chantelle? Es war Emily wichtig, dass sie eine tragende Rolle bei der ganzen Sache spielte.
„Wo findet das ganze denn statt?“, wollte Jayne wissen, die die Tatsache, dass Emily sie beide nicht als Brautjungfern in Betracht gezogen hatte, ein wenig verärgerte.
„Das weiß ich auch noch nicht“, sagte Emily.
Plötzlich wurde ihr klar, wie viel Arbeit noch vor ihnen lag. Es gab noch so viel zu organisieren. So viel zu bezahlen. Auf einmal war sie von der ganzen Sache überwältigt.
„Meinst du, es wird eine große Hochzeit oder ehr eine kleine?“, warf Amy ein. Ihre Frage war nicht so emotional beladen wie die von Jayne, doch trotzdem lastete ihr eine gewisse negative Stimmung an. Emily fragte sich, ob Amy immer noch wegen ihrer geplatzten Verlobung mit Fraser sauer war. Vielleicht nahm sie es Emily übel, einen Ring und einen Verlobten zu haben, während sie selbst beides verloren hatte.
„Wir haben noch keine Details besprochen“, erklärte Emily. „Es ist alles noch so neu.“
„Aber du träumst schon seit Jahren davon“, entgegnete Amy.
Emily runzelte die Stirn. Es stimmte, sie hatte schon lange davon geträumt, zu heiraten. Aber sie hatte sich nie vorgestellt, wie ihr Leben verlaufen würde. Die Liebe, die sie mit Daniel teilte, war einzigartig und unerwartet und ihre Hochzeit würde genauso sein. Sie musste alles noch einmal überdenken, damit es für sie beide perfekt war und zu ihrer besonderen Beziehung und ihrem Leben passte.
„Kannst du uns zumindest ein Datum nennen?“, wollte Jayne wissen. „Unser Kalender ist randvoll.“
Emily stammelte. „Ich weiß es noch nicht.“
„Der Monat tut’s für jetzt auch“. Jayne gab nicht auf.
„Den kann ich euch auch noch nicht sagen.“
Jayne seufzte frustriert auf. „Wie wäre es mit dem Jahr?“
So langsam wurde Emily ungehalten. „Ich weiß es einfach nicht!“, schrie sie. „Ich habe mir um all das noch keine Gedanken gemacht!“
Nun herrschte Stille. Emily konnte sich die Szene bildhaft vorstellen: Ihre Freundinnen, die in ledernen Bürostühlen an einem riesigen Glastisch saßen, wechselten einen Blick, während Emilys Stimme aus dem Telefon zwischen ihnen dröhnte und sich in dem ausladenden Konferenzzimmer multiplizierte. Sie krümmte sich innerlich vor Verlegenheit.
Dann brach Jayne die Stille. „Pass bloß auf, dass die Verlobung nicht zu einer von denen wird, die niemals enden“, sagte sie mit neutraler Stimme. „Du weißt ja, wie manche Männer sind. Man könnte meinen, sie hätten bei ihrem Antrag gar nicht bedacht, dass danach eine Hochzeit erwartet würde. Sie denken wohl, dass sie sich ihr restliches Leben lang entspannt zurücklehnen können und niemals auf der gestrichelten Linie unterschreiben müssen.“
„So ist das nicht“, widersprach Emily angespannt.
„Wenn du meinst“, entgegnete Jayne schnippisch. „Aber du solltest ihn auf jeden Fall auf einen Termin festnageln. Und wenn er den Anschein macht, die Verlobung immer weiter hinauszuziehen, dann pack deine Sachen und lauf davon.“
Emily ballte ihre Hand zu einer Faust. Sie wusste, dass sie sich von Jayne – einer ewigen Bindungsphobikerin, die noch nie in einer längeren Beziehung gewesen war – nicht vorschreiben lassen sollte, wie sie sich zu fühlen hatte, doch ihre Freundin hatte gewisse Zweifel in ihr gesät. So unsinnig sie auch waren, konnte Emily doch spüren, dass sie noch tagelang an Jaynes Worten knabbern würde.
„Ich habe eine Idee“, schaltete sich Amy diplomatisch ein. „Warum kommen wir dich nicht besuchen, um mit dir anzustoßen und dir bei den Planungen zu helfen?“
Trotz ihrer leichten Verärgerung über Jaynes Worte, gefiel Emily die Vorstellung, dass ihre Freundinnen vorbeikommen und ihr bei den Hochzeitsvorbereitungen helfen würden. Wenn sie erst mal hier in Emilys Revier waren, dann würden die beiden mit eigenen Augen sehen, welche Liebe sie und Daniel verband. Dann würden sie sehen, wie glücklich sie war und sie folglich mehr unterstützen.
„Das wäre wunderbar“, sagte Emily.
Nachdem sie ein Datum ausgemacht hatten, das allen passte, legte Emily auf. Doch dank Jaynes Worten schwirrten ihre Gedanken wild umher und die Flamme der Aufregung in ihrem Inneren war ein bisschen gedämpft worden. Diese Gefühle vermischten sich mit der Tatsache, dass sie immer noch den gefürchteten Anruf bei ihrer Mutter hinter sich bringen musste, der mit Sicherheit alles andere als gut verlaufen würde. Sie hatte versucht, ihre Mutter zu Thanksgiving einzuladen, doch die Frau hatte es als Beleidigung aufgefasst. Nichts, was Emily tat, war je gut genug für Patricia Mitchell. Wenn sie sich schon bei Amys und Jaynes Fragen unwohl gefühlt hatte, dann würden die ihrer Mutter sie am Boden zerstören.
Und das war gerade einmal ihre Familie! Wenn sie dann noch Daniels Seite dazurechnete, verstärkten sich ihre nagenden Ängste. Warum musste es den Rest der Welt überhaupt geben? In Sunset Harbor erschien Emily alles perfekt. Doch außerhalb der Stadtgrenze gab es missbilligende Freunde und problematische Mütter. Und abwesende Väter.
Zum ersten Mal seit dem Antrag dachte Emily an ihren Vater, der nun schon seit zwanzig Jahren vermisst wurde. Erst vor kurzem hatte sie einen Stapel Briefe im Haus gefunden, die bewiesen, dass er noch lebte. Anschließend hatte ihr Nachbar Trevor Mann betätigt, Roy vor ein paar Jahren auf dem Grundstück gesehen zu haben. Ihr Vater lebte, doch selbst dieses Wissen änderte nichts. Emily hatte immer noch keinen Weg gefunden, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sie zum Altar führte, war also praktisch nonexistent.
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