Hanspeter Born - Staatsmann im Sturm

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Hitlers Blitzsiege machten 1940 zum gefährlichsten Jahr in der jüngeren Ge-schichte der Schweiz. Das völlig einge-
schlossene Land war auf Gedeih und Verderb Nazi-Deutschland ausgeliefert. Die Last seiner Aussenpolitik lag auf den Schultern von Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz. Mit viel Geschick steuerte er die Schweiz unbeschadet durch stürmische Monate. In der Geschichtsschreibung gilt der Waadtländer als «Anpasser», der den Nazis zu Gefallen war. Hanspeter Born zeichnet ein anderes Bild des Juristen, Schöngeists und Landwirts aus der Romandie. Seine auf Primärquellen, teils unbekannte Dokumente aus dem Familienarchiv Pilet, beruhende Studie wertet den Umstrittenen als klugen und standfesten Staatsmann.

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Hanspeter Born

Staatsmann im Sturm

Pilet-Golaz und das Jahr 1940

Impressum

© 2020 Münster Verlag GmbH, Basel

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften oder Zeitungen, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen oder in anderen elektronischen Formaten. Dies gilt auch für einzelne Bilder oder Textteile.

Umschlagsgestaltung: Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Liebefeld
Umschlagsbild: KEYSTONE-SDA / Photopress-Archiv
Satz: Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Liebefeld
Druck und Einband: CPI books GmbH, Ulm
Verwendete Schriften: Adobe Garamond Pro, Copperplate
Papier: Umschlag, 135g/m 2, Bilderdruck glänzend, holzfrei; Inhalt, 90g/m 2, Werkdruck bläulichweiss, 1,75-fach, holzfrei

ISBN 978-3-907146-72-9

eISBN 978-3-907146-86-6

Printed in Germany

www.muensterverlag.ch

Inhalt

1.Wieder Krieg

2.Einziger Romand im Bundesrat

3.Wie sich vor Spionage und Sabotage schützen?

4.Tücken der Zensur

5.Geistige Landesverteidigung im Äther

6.«Ein flotter Gruss an unsere Soldaten»

7.Abhörprotokolle

8.Nachrichten aus dem Reich

9.Der Novemberalarm

10.Alltag

11.Ein Elefant im Porzellanladen

12.Der Nationalrat muckt auf

13.Zum zweiten Mal Bundespräsident

14.Durchzogene Festtage

15.In den Fettnapf getreten

16.Gäste aus West

17.Abschied von einem Grossen

18.Drôle de guerre

19.Umschiffte Klippen

20.Erste Tage als Aussenminister

21.Wieder vollzählig

22.«Euse General»

23.Weckruf

24.Abkommen mit den Alliierten

25.Aprilwetter

26.Fingerspitzengefühl

27.Ribbentrop droht

28.Sturm nach der Stille

29.«Fall Gelb»

30.Verschnaufpause

31.Debakel

32.Luftgefechte über dem Jura

33.Englische Bomben, deutsche Bombenleger

34.Frankreich kapituliert

35.Die Schlinge um den Hals

36.Waffenstillstand

37.Genesis einer Rede

38.Lost in Translation

39.Tatsachen

40.«Fall Schweiz zur Zeit nicht akut»

41.Seelisches Durcheinander

42.Die Ehre bewahren, die Zukunft retten

43.Mers-el-Kébir

44.Réduit

45.Solothurner folgt auf Solothurner

46.Es gibt auch «gute» Deutsche

47.Trumps unerwünschte Einmischung

48.Weisungen an den General

49.Hitler spricht

50.Die Verschwörung des Lull zu Luzern

51.Auf Kapitulationskurs?

52.«Ich will nicht mehr»

53.Die Schweiz bleibt im Völkerbund

54.Bundesfeiertag

55.Rütli

56.Berlin ist verstimmt

57.«Kronrat»

58.Das Kreuz mit der Armee

59.Blaupause für die «neue» Schweiz

60.Grimm

61.Gestörte Ferien

62.Professor Burckhardt und die germanische Kultur

63.Dr. Grawitz besucht die Schweiz

64.Battle of Britain

65.Landammann Etter?

66.«Durer»

67.Waadtländer bon sens

68.Dammbruch

69.Schriftsteller Jakob Schaffner

70.Ein Gespräch zu viert und ein Besuch am Scheuerrain

71.Schadensbegrenzung

72.Manöverluft

73.M Pilet-Golaz glaubte nicht an einen deutschen Endsieg

74.Schützenhilfe

75.Es wird dunkel

76.Herr Schulthess möchte nochmals nach Berlin

77.Für den General wird es ungemütlich

78.Der Bundesrat handelt

79.Die Schweiz atmet auf

80.Wahltheater

81.Feldgrüne Intrigen

82.Hausamanns Erzählungen

83.Jongleurakt

84.Brot und Arbeit

85.«Dutti» schlägt die Tür zu

86.Bukarest, Lissabon, Washington

87.Bürde abgelegt

Nachwort

Personenverzeichnis

«Les peuples n’aiment guère la vérité…Peut-être les historiens pas non plus …» .

(Marcel Pilet-Golaz, in einem Brief vom 30.12.1948 an Sir David Kelly, britischer Gesandter in der Schweiz von 1940–1942)

1. Wieder Krieg

Noch vor Morgengrauen schreckt das Geknatter von Fliegerabwehrkanonen Clare Hollingworth aus dem Bett. Es ist Freitag, der 1. September 1939. Aus ihrem Hotelzimmer im polnischen Kattowitz sieht die junge englische Journalistin deutsche Bomber nach Osten vorüberfliegen. Sie telefoniert der britischen Botschaft in Warschau, um den Beginn der Feindseligkeiten zu melden. Ein Diplomat am andern Ende der Leitung glaubt der Reporterin des Daily Telegraph nicht. Darauf hängt sie den Telefonhörer aus dem Fenster. Der Mann hört das Knallen der Geschütze. Es ist Krieg.

An jenem Freitag tritt die Schweizer Landesregierung um 10 Uhr zusammen. Der Bundesrat hat natürlich erfahren, dass in der Nacht Hitlers Luftwaffe polnische Flugplätze und Städte bombardierte. Deutsche motorisierte Divisionen und Panzerverbände sind in Polen eingefallen. Die Bundesräte – und nicht nur sie – fragen sich, ob Frankreich und Grossbritannien ihre Bündnisverpflichtung gegenüber Polen einhalten und Deutschland den Krieg erklären werden. Kommt es zu einem neuen Weltenbrand, der noch schrecklicher sein könnte als der Grosse Krieg 1914 bis 1918? Wird die neutrale Schweiz wie damals verschont bleiben oder gegen ihren Willen in das Kriegsgeschehen verwickelt werden?

An der Bundesratssitzung vom 1. September nimmt zeitweise auch der tags zuvor von der Bundesversammlung zum General gewählte und nachher vom Berner Volk begeistert gefeierte Henri Guisan teil. Per Flugzeug hat man ihn aus Lausanne kommen lassen. Post- und Eisenbahnminister Marcel Pilet-Golaz ist glücklich über die Wahl seines Waadtländer Landsmannes, unter dessen Kommando er als Offizier in der 1. Division einst Dienst geleistet hat. Einige Tage zuvor läutete in der Wohnung am Berner Scheuerrain das Telefon. Der 19-jährige Maturand Jacques, einziges Kind des Ehepaars Pilet-Golaz, ging an den Apparat. Am andern Ende der Leitung meldete sich « le commandant de corps Guisan ». Guisan wollte vom Bundesrat wissen, wie seine Chancen bei der unmittelbar bevorstehenden Generalswahl stünden. Pilet konnte ihn beruhigen. Guisan war der Wunschkandidat sämtlicher Bundesräte. Die Bundesversammlung werde ihn mit grosser Mehrheit wählen, was sie dann auch tat.

An der Sitzung referiert Militärminister Rudolf Minger über die aussenpolitische Lage, «die sich in den letzten Tagen zugespitzt hat». Er hält es für dringend notwendig, «die Sicherheit der Landesgrenzen und den Schutz unserer Neutralität der Armee anzuvertrauen.» Minger kennt die Meinung des Generalstabs, wonach mit der Möglichkeit eines französischen Entlastungsangriffs durch Schweizer Gebiet zu rechnen ist. Der neue General, der gute Beziehungen zu höchsten französischen Heerführern unterhält, teilt die Ansicht des Generalstabs nicht. Für Guisan, wie für den Grossteil der schweizerischen Öffentlichkeit, kommt die einzige Gefahr aus dem Norden. Der General schlägt dem Bundesrat vor, die Armee aufzubieten und ihr den Schutz unserer Neutralität anzuvertrauen.

Für Pilet-Golaz lassen die von der Nachrichtensektion festgestellten französischen Truppenkonzentrationen an der Westgrenze auf die Furcht Frankreichs «vor einem deutschen Überfallangriff auf die Schweiz schliessen.» Guisan und Pilet sind sicher, dass die auf Verteidigung eingestellte französische Armee unsere Neutralität respektieren wird. Wie Minger nimmt er an, dass die «internationale Situation sich sehr rasch verschlimmern werde». Im Gegensatz zu Aussenminister Motta glaubt Pilet nicht an eine Verständigung zwischen London und Berlin in letzter Minute. Einmütig beschliesst der Bundesrat die sofortige vollständige Mobilmachung der Armee.

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