2. Betriebsrat und Mitbestimmung – Reichweite und Grenzen
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Im Falle des Bestehens sowohl eines Tarifvertrages als auch eines Betriebsrats stehen dem Betriebsrat zunächst die Rechte aus § 99 BetrVG zu: die Mitbestimmung bei Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierungund Versetzung. Von Bedeutung ist dabei, dass jede der personalen Maßnahmen eine eigene Einbeziehung des Betriebsrats erfordert – und dieser auch gesondert zustimmen oder widersprechen kann: So wird anlässlich einer Einstellung zumeist auch eine Eingruppierung parallel erfolgen, anlässlich einer Versetzung häufig eine Umgruppierung. Dies ist aber nicht zwingend (Versetzungen ohne Umgruppierung etwa).
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Unter Eingruppierungversteht man regelmäßig die Einordnung der Tätigkeit eines Mitarbeiters in ein kollektives Entgeltschema.37 Es wird also i.d.R. nicht abstrakt der Arbeitsplatz bewertet, sondern jeweils der entsprechende Stelleninhaber bzw. dessen konkrete Tätigkeit. Außerdem setzt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats voraus, dass der Arbeitgeber aus bestimmten Rechtsgründen zur Eingruppierung verpflichtet ist – Tarifbindung, vertragliche Inbezugnahme oder betriebliche Übung. Eine Eingruppierung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn der Arbeitgeber bei der Einstellung von Arbeitnehmern eine Vergütung ohne solche Inbezugnahme aushandelt, keine Tarifbindung besteht und damit kein Vergütungsschema angewandt werden muss.38 Andererseits muss eine Eingruppierung erfolgen, wenn ein Vergütungssystem tatsächlich oder rechtlich Anwendung findet oder finden muss,39 wobei keine Rolle spielt, ob die Vergütung selbst sich lediglich im Rahmen der tariflichen Vergütung bewegt, deren Anspruch sich direkt aus der Eingruppierung ergibt, oder sie der Höhe nach außer- oder übertariflich ist: Fällt die Tätigkeitselbst in das Eingruppierungssystem, ist eine Eingruppierungauch in diesen Fällen vorzunehmen.
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Dieses Mitbestimmungsrecht besteht selbst dann, wenn ein Tarifvertrag an sich vorsieht, dass nur die zu besetzenden Stellen selbst gemeinsam durch Arbeitgeber und Betriebsrat (ggf. in einer „paKo“ – paritätischen Kommission) bewertet werden und sodann der Mitarbeiter bei Einnahme dieser Stelle „automatisch“ der so gefundenen Entgeltgruppe zugeordnet wird.40
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Das Mitbestimmungsrecht bei der Eingruppierung ist kein Mitgestaltungsrecht des Betriebsrats: Der Arbeitgeber alleine legt im Rahmen des Vertrags und des Direktionsrechts die Tätigkeit des Arbeitnehmers fest. Ist diese allerdings festgestellt, erfolgt der Normenvollzug – die Anwendung des Eingruppierungssystems. Insoweit ist das Mitbestimmungsrecht bei Eingruppierungen ein Mitbeurteilungsrecht.41
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Dem entspricht auch, dass das Widerspruchsrecht zur Ein- oder Umgruppierung unabhängig von dem der Einstellung oder Versetzung läuft: Mit dem Argument falscher Eingruppierung kann eben nicht der Einstellung oder Versetzung, sondern nur der Ein- oder Umgruppierung widersprochen werden.42
3. Doppelter Sperrvorbehalt und Entgeltsysteme
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Dem Betriebsrat stehen für Tarifbeschäftigte innerhalb einer Tarifbindung im Grundsatz keine gestalterischen Mitbestimmungsrechtezu;43 nach §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 2 Satz 1 BetrVG (sog. „doppelter Sperrvorbehalt“) verbleiben jedoch durchaus Mitbestimmungsrechte, und zwar in folgenden Fällen:
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Außer Tarif Beschäftigte: Für denjenigen Personenkreis, für den der Tarifvertrag eben nicht mehr gilt, kann ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Entgeltsystemgestaltung bestehen.
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Tarifbeschäftigte:
– Mitbestimmungsrechte bestehen im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG, d.h. bei den einen Tarifvertrag ergänzenden Entgeltsystemen.
– Und ebenso kann ein Tarifvertrag Öffnungsklauseln44 beinhalten, die z.B. Eingangsgruppen oder Zwischengruppen durch betriebliche Vereinbarung ausdrücklich zulassen. Denn soweit ein Tarifvertrag solche Regelungen ausdrücklich zulässt, greift der Sperrvorbehalt gerade nicht.
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Andererseits sind Betriebsvereinbarungen, die trotz Sperrvorbehalts abgeschlossen werden, schlicht unwirksam.45 Auch einzelvertraglich wird der Inhalt einer solchen Vereinbarung in aller Regel nicht Gegenstand des Anspruchs von Mitarbeitern sondern nur, wenn individualvertraglich gerade die Geltung einer solchen (an sich unwirksamen) Regelung Bestandteil des Arbeitsvertrages werden soll.46 Alleine der Abschluss der Betriebsvereinbarung reicht zu dieser Annahme jedoch nicht aus, da der Betriebsrat nicht als Vertreter der Arbeitnehmer handelt sondern als betriebsverfassungsrechtlich agierendes „rechtsetzendes“ Organ.
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Im Ergebnis ist also nur ausnahmsweise und nur ein Teil der tarifliche Grundvergütung Gegenstand der Mitbestimmung, bzw. sind nur ergänzende oder außertarifliche Systeme mitbestimmt (s. Kap. 12).
4. Tarifbindung und Gleichstellungsabrede
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Oben (s. Rn. 35) wurde aufgeführt, dass Tarifbindung neben der originären – gesetzlichen – Tarifbindung auch vertraglich erfolgen kann. Sollen vermittels Vereinbarung die an sich nicht (gesetzlich) tarifgebundenen Beschäftigten denen, die bereits nach Gesetz tarifgebunden sind, gleichgestellt werden, spricht man von der „ Gleichstellungsabrede“: Letztlich soll damit gewährleistet werden, dass alle Beschäftigten, gleich ob der Gewerkschaft zugehörig oder nicht, dem Tarifvertrag und seinen Regelungen unterworfen sein sollen. Dies kann erhebliche Vorteile mitbringen:
– Alle Beschäftigten werden gleich behandelt
– Tarifliche Änderungen (auch verschlechternde) sind auf alle Beschäftigten anwendbar.
– Die (auch verschlechternde) Nutzung tariflicher Öffnungsklauseln durch Betriebsvereinbarung ist für alle Beschäftigten möglich.
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Selbstverständlich „kauft“ man sich hierdurch auch ein, dass Entgeltanpassungen, Arbeitszeitreduzierungen, Einführung tariflicher Altersteilzeit etc. auf die gesamte (Tarif-)Belegschaft anzuwenden ist.
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Unterschieden wird dabei in folgende Klauseltypen, mit denen eine etwaig fehlende Tarifbindung eines Beschäftigten ersetzt werden soll:47
– Die kleine dynamische Klausel bezieht sich auf einen konkreten TarifvertragKennzeichen „Das Tarifwerk vereinbart zwischen Arbeitgeberverband ... und Gewerkschaft ... im Bezirk ... ist in der jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden.“
– Die große dynamische Klausel soll ihre Wirkung auch bei Tarifwechsel entfaltenKennzeichen „Es sollen diejenigen tariflichen Regelungen in der jeweiligen Fassung gelten, die anzuwenden wären, wenn der Arbeitnehmer ebenfalls tarifgebunden wäre.“
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Des Weiteren wird unterschieden, welche Regelungen nach Entfall einer Tarifbindung gelten sollen: statischeWeitergeltung des Status quo oder auch unabhängig hiervon Weitergeltung der Dynamik. Letzteres ist insbesondere bedenklich, da ein Arbeitgeber z.B. bei Austritt aus dem Arbeitgeberverband keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die materiellen Inhalte mehr hätte. Auch bei Betriebsübergängen ist eine Bezugnahme auf einen konkreten Tarifvertrag insoweit hinderlich, als dieser unabhängig von der Tarifbindung weitergilt, oder sogar das Günstigkeitsprinzip anzuwenden ist.48 Die Verwendung einer solchen verlängerten Dynamik sollte daher reiflich überlegt werden.
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Eine Beispiel-Klausel ist:
Soweit im Arbeitsvertrag oder in ergänzenden Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist, finden auf das Arbeitsverhältnis jeweils die kraft Gesetzes zwischen Arbeitgeber und gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmern jeweils verbindlichen Firmen- oder Verbandstarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Können unterschiedliche Tarifverträge anzuwenden sein, gilt der speziellere.
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