33
Unternehmen ohne Tarifbindungsind im Grundsatz auch frei, die Vergütungen ohne Vergütungssystem festzulegen bzw. zu vereinbaren; bei tarifgebundenen Unternehmen gilt dies auch für den Bereich der außertariflichen Beschäftigten.
34
Besteht ein Betriebsrat, ist dieser einzubinden (s. Kap. 12). Im Übrigen gilt es auch bei Anwendung einer „frei vereinbarten Vergütung“ einige Regelungen einzuhalten:
– Beachtung des Mindestlohngesetzes (bei Arbeitgebern, die den öffentlichen Sektor beliefern, zudem die einschlägigen Länder-Tariftreuegesetze).
– Vermeidung sittenwidriger Vergütung; eine solche liegt jedenfalls vor, wenn nicht einmal zwei Drittel eines in dem Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tarifentgelts erreicht wird.29
– Ebenso ist der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten (s. Kap. 11); selten wird es gelingen, zumindest bei größeren Betrieben, keinerlei Systematik hinter die Vergütung zu legen; in diesem Fall ist zu beachten, dass ohne Sachgrund ein einzelner Beschäftigter nicht schlechter gestellt werden darf, als eine vergleichbare Gruppe von Beschäftigten.30
– Etwaige allgemeinverbindliche Tarifverträge, festgesetzte Entgelte nach dem Mindestarbeitsbedingungsgesetz oder Mindestvergütungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz sind ebenfalls zwingend zu beachten.
1Vergleiche für viele Scholz, 8.4.2, S. 735 ff. 2Ernst, S. 175. 3ErfK-Preis, § 611 BGB Rn. 390. 4Bauer, NZA-Beil. 2014, 109, 113. 5BAG 12.4.2016, 6 AZR 731/13, NZA 2016, 833. 6BAG 28.6.1994, 3 AZR 988/93, APArbPlatzSchG § 6 Nr. 6. 7Die durchaus zulässig sind, Rieble, NZA-Beil. 2000, 34, 43. 8Bauer, NZA-Beil. 2014, 109, 113. 9Riechert/Nimmerjahn, § 2 MiLoG Rn. 13 ff. 10Für viele: LAG Düsseldorf 5.3.1996, 16 Sa 1532/95, DB 1996, 1285. 11NFK-Neumann, § 11 BUrlG Rn. 11 ff. 12BeckOKArbR-Ricken, § 4 EfzG Rn. 7–16; Übersicht bei Müller-Glöge, RdA 2006, 105; ErfK-Reinhard, § 4 EfzG Rn. 11–12. 13Mit Ausnahme von Einmalzahlungen, die eine Entgelterhöhung pauschaliert abgelten, etwa BAG 21.9.2011, 5 AZR 265/10, NZA 2012, 471 zu einer tariflichen Einmalzahlung im Zusammenhang mit einer erst später erfolgenden tariflichen Erhöhung der Entgelttabelle. 14APS-Biebl, § 10 KSchG Rn. 13-19. 15Moll-Hexel, § 20 Rn. 43. 16NFK-Neumann, BUrlG § 5 Rn. 72. 17§ 10 TV über Einmalzahlungen und Altersvorsorge. 18Z.B. gem. § 4.3 Urlaubsabkommen Beschäftigte NW/NB. 19Etwa § 11 TV über Einmalzahlungen und Altersvorsorge in der Chemischen Industrie; § 4.5 Abs. 4 Urlaubsabkommen Beschäftigte M+E-Industrie NW/NB. 20Etwa § 13 TV über Einmalzahlungen und Altersvorsorge in der Chemischen Industrie. 21BAG 15.3.1973, 5 AZR 252/72, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 78. 22Z.B. Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge der chemischen Industrie, § 5: 95 %; Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen M+E Nordwürttemberg/Nordbaden, § 2: 55 %. 23Z.B. Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge der chemischen Industrie, § 6: 30.11.; Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen M+E Nordwürttemberg/Nordbaden, § 3: 1.12. 24Z.B. Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen M+E Nordwürttemberg/Nordbaden, § 2.1: Betriebszugehörigkeit im Auszahlungspunkt mindestens 6 Monate. 25Z.B. Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge der chemischen Industrie, § 4: ungekündigtes Arbeitsverhältnis am 31.12.; Tarifvertrag über die Absicherung betrieblicher Sonderzahlungen M+E Nordwürttemberg/Nordbaden, § 2: im Auszahlungszeitpunkt kein arbeitnehmerseitig gekündigtes Arbeitsverhältnis 1.12. 26Vgl. hierzu BAG 15.3.1973, 5 AZR 252/72, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 78. 27Die nach § 10.2 Manteltarifvertrag M+E Nordwürttemberg/Nordbaden bereits um 12:00 Uhr Mittag beginnt. 28Eine der wenigen Ausnahmen bildet das sog. Optionsmodell in § 5a Tarifvertrag über Einmalzahlung und Altersvorsorge chemische Industrie. 29BAG 18.11.2015, 5 AZR 814/14, NJW 2016, 2359. 30Vgl. BAG 13.2.2002, 5 AZR 713/00, NZA 2003, 215.
II. Anwendung der tariflichen (Grund-)Vergütung, betriebliches Vergütungssystem oder einzelvertragliche Lösungen
35
Im Grundsatz gilt, dass ein Arbeitnehmer dann Anspruch auf Tariflohn hat, wenn der Tarifvertrag auf das konkrete Arbeitsverhältnis Anwendung findet; dies kann durch unterschiedliche Rechtsakte erfolgen:
– Die originäre Tarifbindung ergibt sich aus § 3 Abs. 1 TVG; sie besteht, wenn der Arbeitnehmer in der tarifabschließenden Gewerkschaft organisiert ist, der Arbeitgeber im abschließenden Arbeitgeberverband oder aber selbst Partei des Tarifvertrages ist.
– Vertraglich kann die Geltung eines Tarifvertrages durch die sog. „Gleichstellungsklausel“ vereinbart werden, ebenso kommt die Einbeziehung eines Tarifwerkes durch betriebliche Übung in Betracht.31
– Und schließlich ist bei Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG ein Tarifvertrag ebenso anzuwenden.
1. Unternehmen/Betriebe ohne Tarifbindung und Betriebsrat
36
Die größten gestalterischen Möglichkeiten erhoffen sich regelmäßig Betriebe ohne Tarifbindung und ohne Betriebsrat. Das ist insoweit auch richtig, als zwingende tarifliche Vorgaben ebenso fehlen wie die arbeitnehmerseitige Mitbestimmung.
37
Allerdings erfordert die Anwendung eines Vergütungssystems gerade hier besonders achtsame Vorgehensweise: Während kollektiv geltende – also durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag eingeführte – Systeme insoweit dynamisch sind, als sie letztlich jederzeit kollektiv – auch verschlechternd – abgeändert werden können (s. Kap. 19 Rn. 7 ff.), bestehen bei individualrechtlichen Systemen, soweit der Arbeitgeber sich Änderungen (auch verschlechternd) vorbehalten möchte, folgende Herausforderungen:
– Vertraglich unbedingte Zusagen sind nur einzelvertraglich änderbar; im Weigerungsfall eines Beschäftigten stehen dem Arbeitgeber praktisch keine wirksamen Änderungsmöglichkeiten zur Seite.
– Widerrufsvorbehalte bedürfen einer klaren Regelung, in welchen Fällen der Arbeitgeber vom Widerruf Gebrauch machen kann; während dies für Zulagen, Prämien etc. ggf. noch denkbar scheint, ist dies für ein Grundvergütungssystem letztlich kaum denkbar.32
– Die Ausgestaltung als freiwillige Leistung kommt für Vergütungsbestandteile, aber ebenfalls nicht für die Grundvergütung in Betracht.
– Eine Befristung von Vergütungsbestandteilen als einzelne Vertragsbestandteile ist möglich,33 jedoch nicht für die Grundvergütung.
38
Es verbleibt im Grundsatz danach, eine (letztlich möglichst niedrigere) Grundvergütung fest zu vereinbaren und die Lücke zur marktgerechten Vergütung durch befristete, freiwillige oder widerrufliche Zusage zu gestalten. Auf den Bewerber mag eine solche Vertragsgestaltung vermutlich nicht besonders anreizgebend wirken.
39
Eine andere Situation besteht, wenn ein Arbeitgeber die „Last der Tarifbindung endlich abgestreift“ haben mag. Nach Wegfall einer Tarifbindung besteht zunächst einmal Nachwirkung, bis diese durch eine anderweitige (ggf. individuelle) Abmachung ersetzt wird,34 sodass die gewünschte Gestaltungsfreiheit für Bestandsmitarbeiter nicht ohne Weiteres erreicht wird. Lediglich für Beschäftigte, die erst im Nachwirkungszeitraumeingestellt werden, wie auch bei Anschlussbeschäftigung eines bis dahin befristetet Beschäftigten besteht die Gestaltungsfreiheit – wobei eine Andersbehandlung wegen des Tarifentfalls nicht zu einer Diskriminierung führt.35
40
Ist der Arbeitgeber – und nur dieser – tarifgebunden (durch Verbandsmitgliedschaft oder aber er ist selbst Tarifpartei) braucht er sich gegenüber nicht tarifgebundenen Beschäftigten ebenfalls nicht an das Tarifwerk binden, die Vereinbarung eines Entgelts (auch nach an sich unzutreffender Entgeltgruppe) ist in diesem Fall zulässig.36
Читать дальше