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Nicht alle empirischen Arbeiten bestätigen die Multi-Tasking-Vorhersagen der Prinzipal-Agenten-Theorieaber in diesem Maße. Vielmehr gibt es auch empirische Arbeiten, in deren Kontext beispielsweise die Einführung eines Stücklohns (und damit höhere Mengenanreize) nicht zu negativen Qualitätseffekten zu führen scheinen.21 Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass sich Verhaltensanreizefür die Mitarbeiter in der Regel nicht nur aus der Vergütungsstrukturergeben. Vielmehr werden Arbeitgeber in der Regel auch Mechanismen zur Qualitätsüberwachung implementiert haben, um adverse Qualitätseffekte zu vermeiden. Ein anderer Grund, warum es nicht zu einem negativen Qualitätseffekt kommt, könnte sein, dass sich Mitarbeiter potenziellen Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen gegenüber sehen. Derartige Karriereüberlegungenkönnen dazu führen, dass Mitarbeiter auf höhere Mengenanreize nicht mit reduzierter Qualität reagieren, um ihre Aufstiegschancen nicht zu gefährden.22
3. Monetäre Anreize und intrinsische Motivation
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Eine weitere mögliche Quelle von Leistungsanreizen ist intrinsische Motivation. Damit ist gemeint, dass Mitarbeiter – beispielsweise aufgrund von Freude an der Tätigkeit oder weil sie ein anderes Ziel als das Ziel der Einkommensmaximierung verfolgen – selbst bei einer leistungsunabhängigen Vergütung zu relativ hohen Anstrengungen bereit sind.
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Die Standardversion der Prinzipal-Agenten-Theorie blendet derartige intrinsische Motivation aus. Möglicherweise rechtfertigen lässt sich diese vereinfachende Annahme wie gesagt, wenn man davon ausgeht, dass das Anstrengungsniveau, das durch monetäre (extrinsische) Anreizeinduziert werden soll, über das Anstrengungsniveau hinausgeht, das aus rein intrinsischer Motivation resultieren würde. Diese Rechtfertigung ist aber nur dann valide, wenn die Einführung monetärer Anreize für eine Tätigkeit keine negativen Effekte auf die intrinsische Motivationdes entsprechenden Mitarbeiters hat. Würde ein derartiger negativer Effekt auf die intrinsische Motivation existieren, könnte der Effekt einer Einführung monetärer Anreize abgeschwächt werden. Im Extremfall könnte es sogar dazu kommen, dass aus der Einführung monetärer Anreize insgesamt ein niedrigeres Anstrengungsniveau resultiert (s. Kap. 1 Rn. 14 ff.).
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Verschiedene empirische Studien legen in der Tat nahe, dass in bestimmten Kontexten derartige Verdrängungseffekte auf intrinsische Motivation von Bedeutung sind.23 Eine entscheidende Rolle scheint dabei die Höhe der monetären Anreizezu spielen, die eingeführt werden. Dies wird beispielsweise durch ein Feldexperiment illustriert, das drei Versuchsanordnungen vergleicht.24 Eine erste Gruppe der Versuchsteilnehmer – die Kontrollgruppe – erhielt für ihre Tätigkeit (die im sozialen Sektor angesiedelt war) keine monetäre Vergütung. Eine zweite Gruppe erhielt relativ geringe monetäre Leistungsanreize, während eine dritte Gruppe durch relativ hohe monetäre Leistungsanreize motiviert werden sollte. In diesem Feldexperiment wurde dokumentiert, dass die Gruppe, die geringe monetäre Leistungsanreize erhielt, eine geringere Leistung erbrachte als die Kontrollgruppe, d.h. in diesem Fall hatte die Einführung monetärer Anreize einen negativen Effekt auf die Leistung.25 Die Gruppe, die hohe monetäre Anreize erhielt, erzielte aber eine höhere Leistung als die Kontrollgruppe. Daraus lässt sich die Erkenntnis ableiten, dass man – falls es sich um einen Kontext handelt, in dem intrinsische Motivation vermutlich eine Rolle spielt (s. Kap. 2 Rn. 29) – entweder auf die Einführung monetärer Leistungsanreize völlig verzichten sollte oder, wenn sie doch eingeführt werden, die monetären Anreize hinreichend hoch ausfallen sollten.
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Ein weiteres Problem für die intrinsische Motivationkönnte sich daraus ergeben, dass in vielen Fällen explizite monetäre Anreize nur temporärgewährt werden (z.B. in Phasen hoher Nachfrage). Es stellt sich die Frage, ob Anstrengungen nachdem monetäre Anreize wieder ausgesetzt werden auf das gleiche Leistungsniveau zurückkehren, wie vor ihrer Einführung. Dies ist leider nicht notwendigerweise der Fall, weshalb derartige potenzielle Langfristeffektebei der Einführung monetärer Leistungsanreize mit bedacht werden sollten.26
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Während die Standardversion der Prinzipal-Agenten-Theorie intrinsische Motivation vernachlässigt, beziehen neuere verhaltensökonomische Prinzipal-Agenten-Theorien intrinsische Motivation explizit in die Analyse mit einund liefern Erklärungsansätze dafür, warum intrinsische Motivation möglicherweise durch (extrinsische) monetäre Anreize verdrängt wird. Diese neueren Theorien erlauben es also, das Zusammenspiel zwischen dem psychologischen Phänomen der intrinsischen Motivation und monetären Anreizen zu untersuchen und darauf basierend Empfehlungen hinsichtlich der Ausgestaltung von Vergütungssystemen auszusprechen. Im Kern basieren diese Erklärungsansätze darauf, dass Mitarbeiter die Einführung monetärer Anreize als schlechte Nachricht(z.B. hinsichtlich der Attraktivität der Tätigkeit, hinsichtlich ihrer Fähigkeiten oder hinsichtlich der Eigenschaften des Prinzipals oder des Arbeitsumfelds) interpretieren.27 Mitarbeiter könnten die Einführung monetärer Anreize beispielsweise als Signal dafür interpretieren, dass die Tätigkeit unangenehm ist oder nicht ihren Fähigkeiten entspricht. Dies kann zu einer Demotivation der Mitarbeiterführen.
4. Fixlöhne und Reziprozität
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Während die Standardversion der Prinzipal-Agenten-Theorie impliziert, dass von leistungsunabhängigen Vergütungskomponenten keine Motivationswirkung ausgeht, deuten verschiedene Laborexperimente darauf hin, dass dies aufgrund von Fairnesserwägungendes Mitarbeiters nicht notwendigerweise der Fall ist.28
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Einerseits können sich Fairnesserwägungeneines Mitarbeiters auf die Vergütung anderer Mitarbeiter oder Vorgesetzter beziehen. Andererseits kann ein Mitarbeiter bestimmte Vorgehensweisenals fair bzw. unfair empfinden und auch dies kann sich auf seine Handlungsanreize auswirken.29 Es gibt Belege dafür, dass Mitarbeiter eine höhere leistungsunabhängige Vergütung als wohlwollenden Akt des Prinzipals interpretieren und darauf – aufgrund positiver Reziprozität – mit höherer Leistung reagieren. Eine derartige Motivation über leistungsunabhängige Vergütungskomponenten hätte den Vorteil, dass auf eine (mit Kosten behaftete) Leistungsmessung und -überwachung auf individueller Ebene verzichtet werden könnte.
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Bei derartigen „ Belohnungen“, die nicht direkt auf zukünftige Leistungen konditionieren, könnte es sich um eine höhere Fixkomponente der Vergütung handeln. Alternativ sind aber auch nicht-monetäre „Belohnungen“, wie z.B. ein Dienstwagen oder ein attraktiveres Büro denkbar. Feldexperimente deuten in der Tat darauf hin, dass eine nicht-monetäre Belohnungeinen höheren Motivationseffekt haben kann als der entsprechende Geldbetrag.30 Allerdings legen verschiedene Feldexperimente ebenfalls nahe, dass Motivationseffekte, die auf Reziprozität aufbauen, oftmals nur kurzfristiger Naturzu sein scheinen.31
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Diese empirischen Befunde zu den Motivationseffekten von fixen Komponenten der Vergütungen haben zu verhaltensökonomischen Weiterentwicklungen der Prinzipal-Agenten-Theoriegeführt, die es erlauben zu untersuchen, wie Reziprozitätsüberlegungenund monetäre Anreize bei der Motivation von Mitarbeitern interagieren, und welche Rolle die Organisationsstrukturdes Unternehmens dabei spielt.32
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