»Ach, das ist aber lieb von dir, Papa. Mit dem Auto zu fahren ist weitaus bequemer. Dann muss ich Milas Sachen nur vom Auto zu ihrer Wohnung tragen. Die Busse und Bahnen sind immer so überfüllt. Und danach können wir ja zusammen zum traditionellen Familientreffen in unser Stammrestaurant fahren«, schlug Caro vor.
»Ähm, tut mir leid. Ich habe noch viel zu tun und werde deshalb nicht am Weihnachtsessen teilnehmen.«, erklärte Jerrik.
»Was? Echt jetzt?«, fragte seine Tochter enttäuscht.
»Ich werde Mila nach Hause fahren und mich dann mit meinem Manager treffen«, erläuterte er.
»Am zweiten Weihnachtsfeiertag? Wieso das denn plötzlich?«, entgegnete Caro schnippisch.
»Sei nicht sauer, Kleines.« Jerrik gab seiner Tochter einen sanften Kuss auf die Stirn und brachte Milas Gepäck zum Auto.
»Meine Güte, warum muss er gerade immer so viel arbeiten? Das nervt total«, murrte Caro enttäuscht und wütend. Mila tätschelte ihr die Schultern und versuchte, sie mit einem Lächeln zu beruhigen. Die Freundinnen verabschiedeten sich mit einer liebevollen Umarmung und Küsschen, nachdem sie ausgemacht hatten, gemeinsam Silvester zu feiern.
***
Mila saß auf der Beifahrerseite des schwarzen Porsche, klammerte sich an ihren Krücken fest. Weder sie noch Jerrik bekamen ein Wort heraus. Der Motor schnurrte wie ein zahmes Kätzchen, während sie durch die Stadt zum Studentenwohnheim fuhren. Beide waren sichtlich angespannt und starrten durch den leichten Schneefall geradeaus auf die Straße, bis Jerrik das Auto vor dem Hochhaus parkte. Über Weihnachten waren die meisten Studenten zu ihren Familien gefahren, weshalb das Gebäude und die Umgebung wie verlassen wirkten. Jerrik stellte den Motor ab und die beiden saßen reglos im Auto und ließen Minute um Minute verstreichen. Sie waren in Gedanken versunken und versuchten, Sätze zu formulieren, die sie dann doch nicht laut aussprachen.
Jerrik schaute auf die große Parkanlage vor dem mehrstöckigen Wohnhaus und seine Augen schweiften von Baum zu Baum. Plötzlich erblickte er ein großes Tier mit grau-braunem Fell, das in ihre Richtung blickte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er traute seinen Augen nicht und beugte sich etwas nach vorn – in der Hoffnung, das Wesen besser erkennen zu können.
»Der Hund sieht aus wie Lunis«, sagte Mila, die das Tier ebenfalls bemerkt hatte. Zur gleichen Zeit kam eine Frau angerannt, die kurz pfiff und den Hund dann anleinte.
»Glaubst du mittlerweile doch an Übersinnliches?«, wollte Mila wissen.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Jerrik kurz und stieg dann aus. Er holte ihre Tasche aus dem Kofferraum, dann öffnete er die Beifahrertür und hob Mila sanft aus dem Wagen. Auf dem Weg zum Haupteingang des Hochhauses wurde das Schneegestöber stärker. Nass und durchgefroren erreichten sie die Tür und atmeten erleichtert auf, als sie den warmen Flur betraten. Sie nahmen den Aufzug ins zehnte Stockwerk. Das alte, klapprige Ding ratterte und krächzte, als es sich Etage für Etage nach oben vorarbeitete. Das Gebäude hatte schon bessere Tage gesehen und war alles andere als sauber und modern. Mila sehnte sich zurück nach Hause oder in Jerriks Haus, das gemütlich und warm war.
Sie bat Jerrik in ihre kleine Ein-Zimmer-Wohnung hinein, wo er ihre Sachen abstellte. Das Studentenapartment hatte einen schmalen, kurzen Flur, wo sie ihre Jacke aufhängte und die Schuhe abstellte. Zur linken Seite befand sich ein kleines Bad mit Dusche und weiter geradeaus kam man in den quadratischen Wohn- und Schlafbereich. Das Fenster, vor dem ein langer Schreibtisch stand, erstreckte sich über die ganze Wand. Etwa auf Höhe des Schreibtisches begann die Heizung, die Mila sofort aufdrehte, da es verdammt kalt in ihren vier Wänden war.
Auf der rechten Seite der Tür stand ein geräumiger Kleiderschrank mit einem Spiegel in der Mitte, zur linken befand sich ein großes Bett. Der kleine Kühlschrank, der zwischen Kleiderschrank und Schreibtisch platziert war, fing an leise zu surren.
»Ja, also ich geh dann mal«, sagte Jerrik, wurde aber im selben Augenblick von Mila am Ärmelsaum seiner Jacke festgehalten.
»Bitte geh nicht.« Milas Augen waren traurig und flehten ihn an, zu bleiben. Wie konnte er diesem Blick widerstehen?
»Kannst du deinen Termin nicht absagen?«, fragte sie zögerlich und lehnte sich an seine Brust, während sie ihn mit ihren großen Rehaugen fixierte. »Tut mir leid. Ich weiß, dass es ganz schön egoistisch ist, dich um so was zu bitten, aber …«, fügte sie hinzu und seufzte, ohne ihren Satz zu beenden.
»Ich habe gar keinen Termin.«
»Was? Du hast gar keinen Termin?«, hakte Mila ungläubig nach.
»Nein.«
»Aber warum hast du denn zu Caro gesagt –«
»Meine Ehe läuft schon seit langer Zeit ziemlich beschissen«, unterbrach Jerrik sie. »Agatha und ich streiten uns sehr oft. Natürlich spielen wir Lars und Caro und der Presse weiterhin die perfekte Ehe vor, aber das ist schon lange nicht mehr so.«
Jerrik setzte sich auf das Bett und schaute betrübt zu Boden. Mila trat einen Schritt auf ihn zu und hob sein Kinn etwas an. Seine Augen waren müde und rastlos. Endlich erkannte sie, dass er nicht nur von der Arbeit, sondern auch von seiner Ehe erschöpft war. Er umarmte ihre Hüfte und legte seinen Kopf mit geschlossenen Augen an ihren Bauch.
»Ich bin dabei, meine Frau zu betrügen, und bereue es nicht einmal. Dich zu lieben fühlt sich richtig an, doch mein Verstand sagt mir, dass dem nicht so ist«, murmelte er nachdenklich. Mila streichelte sein Haupt und hörte aufmerksam zu. Sie war bekümmert. Warum dachte er, dass es falsch war, sie zu lieben?
Vorsichtig hob er seinen Kopf und fragte: »Hast du was dagegen, wenn ich heute bei dir übernachte? Ich muss mal raus.«
Ihr Herz sprang plötzlich wieder wild in ihrer Brust umher, als wüsste es nicht, wo es hingehörte. Natürlich wollte sie, dass Jerrik bei ihr blieb – am liebsten bis an ihr Lebensende. Sie hatte ohnehin schon viel zu viel von seinem Leben verpasst.
Statt einer Antwort machte sie ganz ungeniert den Anfang, zog sich bis auf die Unterwäsche aus und kuschelte sich in das warme Federbett, was Jerrik ihr gleichtat. Mit dem Kopf auf Jerriks Brust liegend, lauschte sie seinem Herzschlag. Nach einer Weile nahm sie all ihren Mut zusammen und flüsterte ihm die drei magischen Worte ins Ohr: »Ich liebe dich.«
Er lächelte sie glücklich an und küsste sie. Gleichzeitig regten sich leise Zweifel in ihm und er fragte vorsichtig: »Du liebst mich doch nicht nur, weil ich Schauspieler bin, oder?«
»Was? Nein, wie kommst du denn darauf?«, erwiderte Mila empört.
»Na ja, ich bin alt und du so jung und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass sich so ein hübsches, junges Mädchen wie du in mich verliebt. Ist es der Reiz, mal den roten Teppich zu betreten oder …«
Als er Milas zornigen Gesichtsausdruck sah, verstummte er. »Hab ich was Falsches gesagt?«
»Ja, hast du, Jerrik. Ich will weder dein Geld noch deinen Ruhm noch Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit und schon gar keinen roten Teppich. Ich will nur dich und es ist mir egal, ob du arm oder reich oder alt oder jung bist. In den letzten Tagen habe ich mich total in dich verliebt, weil ich den wahren Jerrik kennenlernen konnte.« Mit Tränen in den Augen fixierte sie seine.
»Es tut mir leid. Ich wollte nicht misstrauisch sein.«
***
Die Sonne ging gerade langsam auf, als Mila erneut – wie so oft in dieser Nacht – aus einem Traum hochschreckte. Es war acht Uhr. Ein paar Vögel flogen vor Milas Fenster umher und zwitscherten. Jerrik und sie hatten am Abend aneinandergekuschelt einen Film geschaut und der Fernseher war immer noch an. Jerrik lag ruhig atmend neben ihr. Noch nie hatte sie ihn schlafen gesehen und konnte nun ihre Augen nicht von ihm abwenden. Verliebt strich sie mit einer Hand durch sein grau meliertes Haar und seufzte zufrieden. Mila schmiegte sich an ihn und versank langsam wieder im Land der Träume.
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