1 ...8 9 10 12 13 14 ...21 Noch bevor Julie die Huskys fütterte, wie sie es jeden Morgen tat, ging sie im Krankenrevier vorbei und sah nach Josh. Ein Ranger der Polizeitruppe hatte ihn und Andy bereits geweckt, und beide saßen an dem einfachen Holztisch im Krankenzimmer und tranken Kaffee. Sie litten offensichtlich unter einem ausgewachsenen Hangover und hielten sich den Brummschädel. »Morgen«, begrüßte Julie die beiden. »Ihr hattet großes Glück, wisst ihr das?«
»Bist du gekommen, um uns einen Vortrag zu halten?«, erwiderte Josh genervt. »Wir haben uns schon genug anhören müssen. Dass wir unverantwortlich gehandelt und uns selbst in Gefahr gebracht hätten, dass wir von Glück sagen könnten, dass du uns gefunden hast, und dass man uns eine saftige Strafe aufbrummen wird. Und jetzt kommst du daher und fängst auch an.«
Julie blickte ihren ehemaligen Freund lange an. Sie hatte geglaubt, dass sie total fertig sein würde, wenn sie Josh wiedersah, doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, sie war vollkommen ruhig und seltsam unbeteiligt. »Ich wollte mich nur entschuldigen … wegen neulich.« Sie warf einen raschen Blick auf Andy, der sich aber noch schlechter zu fühlen schien als Josh und ihnen gar nicht zuhörte. »Ich hätte es dir persönlich sagen sollen. Das mit der Auszeit.«
»Auszeit«, wiederholte er abfällig. »Abserviert hast du mich.«
»Es wäre nicht gut gegangen mit uns.«
»Scheiß drauf.«
»Es tut mir leid, Josh. Ich hoffe, dass du dich trotzdem noch bei der Law Enforcement Academy bewerben kannst, und ich wünsche dir, dass es klappt und du Trooper wirst. Auf Wiedersehen, Josh.«
Sie wartete darauf, dass er etwas sagte, aber es kam nichts, und sie verließ rasch das Krankenrevier. Die eisige Kälte, die sich auch an diesem Morgen vor den Park Headquarters ausbreitete, kam ihr gerade recht. Sie ließ die Tränen gefrieren, noch bevor sie über Julies Wangen rannen und schützte sie vor unangenehmen Fragen, als Ranger Erhart ihr vor den Zwingern begegnete.
»Howdy, Miss Julie.« Obwohl er aus Alaska stammte, empfing er die Kollegen gern mit dem typischen Westerngruß. »Das war gute Arbeit heute Nacht. Sind Sie sicher, dass Sie nicht bei unserer Polizeitruppe mitmachen wollen?«
»Ich helfe gern aus, Ranger Erhart, aber auf Dauer ist das nichts für mich.«
Der Polizeichef grinste. »Sagen Sie das nicht, Miss Julie. Schon mal von Annie Oakley gehört? Die schoss besser als die meisten Männer und durfte sogar in Buffalo Bill’s Wildwestshow auftreten. Dem deutschen Kaiser in Berlin soll sie die Zigarre aus dem Mund geschossen haben. Und Sharon Stone in ›The Quick and the Dead‹ … die hätte sich gut bei unserer Truppe gemacht. Selbst Grace Kelly in ›High Noon‹ half dem Sheriff bei der Arbeit.«
»Mir reichen meine Kurzeinsätze«, sagte Julie. »Ich glaube, bei den Huskys bin ich besser aufgehoben. Chuck wäre furchtbar böse, wenn ich mich kaum noch um ihn kümmern würde, und meine neuen Welpen erst recht.«
»Mag sein, aber wenn Not am Mann ist, hefte ich Ihnen den Stern an.«
Vor ihren Hütten jaulten bereits die Huskys, als Julie die Zwinger erreichte. »Guten Morgen, ihr Lieben«, begrüßte sie die Hunde. »Ich weiß, ich weiß, ich bin spät dran heute Morgen, und ihr habt mächtigen Hunger. Aber das haben wir gleich.« Sie fütterte zuerst ihren Leithund, denn es war wichtig, die Rangordnung unter den Hunden zu respektieren. »Sorry, dass es morgens nur Trockenfutter gibt, wisst ihr ja. Heute Abend gibt’s wieder Lachs und Reis.«
Während sich die erwachsenen Hunde heißhungrig über das Fressen hermachten, fütterte Julie die Welpen. Sie bekamen leichtere Kost, mit Wasser angereichert, die nicht so schwer im Magen lag. Julie musste unwillkürlich lächeln, als sie die noch etwas linkischen Bewegungen der jungen Huskys beobachtete. Ihr Fell fühlte sich weich und flauschig an, und ihr Mienenspiel war noch lange nicht so ausgeprägt wie bei ihren älteren Artgenossen. Ihre Augen blickten ständig woandershin, als hätten sie Angst, etwas Aufregendes zu verpassen. Mit zunehmendem Alter würden sie reifer und gelassener werden.
Überhaupt nicht vorbereitet war Julie auf den Ausraster von Jenny. Als Noatak aus seinem Trog zu fressen begann, ging sie plötzlich fauchend auf ihn los und stieß ihn zur Seite. Wie ein Leithund, der sich bedroht fühlte und wütend seine Stellung verteidigte. Noatak schreckte zurück und traute sich erst wieder an sein Fressen, als Julie den anderen Welpen zur Ordnung rief.
»Benimm dich, Jenny! Noatak ist dein Bruder, den faucht man doch nicht an. Oder willst du Rowdy nacheifern? Er hat dir doch nichts getan. Ihr bekommt beide das gleiche Futter, und ich hab euch beide lieb, also benehmt euch gefälligst, sonst gibt’s Ärger. Dass mir keine Klagen mehr kommen.«
Jenny fügte sich nur widerwillig. Nur weil Julie direkt vor ihr kniete und anscheinend bereit war, sofort einzugreifen, wenn sie wieder Ärger machte, hielt sie sich zurück. Doch in ihren Augen blitzte es noch immer gefährlich. Es sah ganz so aus, als hätte sie nicht die geringste Lust, das Gehege mit Noatak zu teilen. Zusammen mit ihren anderen Geschwistern, als sie noch bei den Cooks gewohnt hatten, war es wohl nicht so aufgefallen.
»Vielleicht sollte ich euch besser trennen«, überlegte Julie, »bevor ihr euch noch gegenseitig an die Gurgel geht. Was meint ihr?« Die Welpen reagierten nicht auf ihren Vorschlag, machten aber auch nicht den Eindruck, als wären sie ein Herz und eine Seele. Bei den Hunden war es ähnlich wie bei den Menschen. Selbst Geschwister kamen manchmal nicht miteinander aus. »Wir versuchen es noch mal«, schlug sie vor, »okay? Und wenn sich bis heute Abend nichts geändert hat, und ihr streitet immer noch, bekommt ihr Einzelzimmer.«
Julie brachte den Eimer mit dem Trockenfutter in den Schuppen zurück und verriegelte die Tür. Was streitende Huskys betraf, war sie ein gebranntes Kind. Beim Wurf einer ihrer Hündinnen waren auch mal zwei Welpen dabei gewesen, die einander nicht leiden konnten. Sie hatten als Welpen gestritten und wären auch als ausgewachsene Hunde nicht miteinander ausgekommen, wenn sie einen der Streithähne nicht an einen Bekannten verschenkt hätte.
Sie kehrte zu den Hunden zurück und sah Carol mit dem fünfzehnjährigen Johnny Steele zu den Zwingern herunterkommen. Ihr schwante Böses. Ihr Bedarf an jungen Männern, die sich danebenbenahmen, war nach der letzten Nacht eigentlich gedeckt. »Soll ich deine Hunde füttern?«, fragte sie.
»Das hab ich schon erledigt«, erwiderte Carol, die natürlich ahnte, dass Julie das Unvermeidliche nur hinausschieben wollte. »Sonst wären sie bestimmt nicht so ruhig. Aber um Johnny könntest du dich kümmern.« Sie legte dem Schüler, der genauso wenig Lust auf einen Arbeitstag mit den Hunden zu haben schien wie Julie auf einen Tag mit ihm, einen Arm um die Schultern. »Du weißt doch, dass er ein zweiwöchiges Praktikum bei uns absolviert, und wenn sein Referat ein bisschen Pfeffer haben soll, muss er natürlich einen Tag bei den Huskys verbringen. Wie wär’s, wenn du ihm alles erklärst und auf Tour mit ihm gehst?«
Julie machte gute Miene zum bösen Spiel. »Klar. Zur Fütterung kommst du leider zu spät, aber ich nehme an, du willst sowieso lieber den Schlitten steuern. Stimmt’s, Johnny? Du wirst sehen, das ist gar nicht so einfach.«
Johnny sagte gar nichts und blickte gelangweilt in die Gegend. Anscheinend bereute er längst, sein Praktikum im Nationalpark absolvieren zu müssen. Nicht einmal der Anblick der Schlittenhunde konnte ihn aufheitern. Genauso gut hätten sie vor den leeren Zwingern stehen können.
Er schmollte auch noch, als Carol längst gegangen war und Julie den Schlitten aus dem Schuppen holte. Sofort wurden ihre Huskys unruhig. Sie merkten, dass eine Tour bevorstand, und freuten sich darauf, durch den Schnee zu sprinten. An einem kalten, aber klaren Morgen wie diesem machte es besonderen Spaß. Die wenigen Wolken waren weitergezogen, und obwohl kaum noch Sterne zu sehen waren, leuchtete der Schnee in einem verführerischen Weiß. Der Wind hielt sich in Grenzen, strich beinahe sanft über den Schnee.
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