Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. »Danke, Richard, wenn’s nach dir ginge, würde ich sowieso schon mit Rollen schneller vorankommen als mit Laufen.« Ich holte mir einen Teller, häufte Rührei samt geschnittenen Tomaten darauf, fischte mir mehrere Scheiben Speck aus der riesigen Pfanne und schaffte es gerade noch, eines der knusprigen Brötchen daneben unterzubringen. Mit Teller und einem Glas Orangensaft ging ich vorsichtig zurück zu meinem Platz. Als Kellnerin wäre ich denkbar ungeeignet.
Roberta gesellte sich zu uns und stocherte in den Resten ihres Frühstücks herum. So in Gedanken versunken kannte ich sie sonst kaum. Ich steckte mir eine Gabel mit Rührei in den Mund und wartete, ob sie von sich aus erzählen würde. Es dauerte eine Weile, ehe sie sich ein Herz fasste. »Cara, was würdest du tun, wenn du einen richtig bösen Verdacht hast, dir aber nicht sicher bist?«
Ich schluckte, spülte mit Orangensaft nach und sah sie fragend an. »Was genau meinst du mit Verdacht?«
Sie wand sich und suchte sichtlich nach den richtigen Worten. Ehe sie fortfuhr, blickte sie sich um, doch außer Sebastian war niemand in der Nähe. »Also, letzte Woche kam doch das Pärchen mit der kleinen Tochter aus Manchester an. Du weißt schon, die Neonlady, an der alles knallgelb, knallgrün oder knallpink ist.«
»Ja, und was ist mit denen?«
Sie zuckte mit hilflosem Blick die Schultern. »Sie sind einfach strange . Die Kleine ist immer komplett bekleidet. Selbst im Pool hat sie ein langärmliges Shirt und eine lange Stretchhose an. Hast du mal bemerkt, wie dünn das Kind ist? Oder wie sie bei jedem Wort ihres Vaters sofort zusammenzuckt?«
»Nun ja«, mischte Sebastian sich ein, »in England gibt es nicht so viel Sonne. Vielleicht wollen sie den Zwerg einfach nur schützen. Und dass Kinder in dem Alter auch mal dünner sind, weil sie herumtoben wie verrückt, soll schon vorkommen. Wie alt ist das Mädel denn?«
Roberta dachte angestrengt nach. »Wenn ich mich recht entsinne, dann ist es vier. Ich glaube, dass die Eltern von ihrer Tochter genervt sind. Aber jedes Mal, wenn ich meine Runde mache, um Kinder für Spiele am Strand oder zum Backen in der kleinen Küche einzusammeln, darf sie nicht mitmachen. Also bei allem, wofür sie aus dem Blickfeld der Eltern verschwinden müsste.«
»Vielleicht sind sie einfach übervorsichtig? Ich meine, besonders sympathisch sind die zwei wahrlich nicht, aber wir müssen aufpassen, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.« Ich überlegte angestrengt. »Was steht heute bei dir auf dem Plan?«
»Heute nichts mehr, aber morgen T-Shirts gestalten mit Stiften und Pailletten und so weiter. Danach gibt’s Eis für alle.«
»Ist das unten im überdachten Poolbereich? Dann versuch dir die Kleine morgen zu schnappen und sieh sie dir, wenn möglich, genauer an. Aber unauffällig! Wenn du dann einen konkreten Verdacht hast, geh zu Leon oder Carlos. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
»Ja, du hast recht. Ich halte einfach die Augen und Ohren offen.« Roberta warf einen Blick auf die Uhr, die direkt hinter mir hing. »Halb elf schon. Ich geh dann mal. Wir sehen uns beim Meeting.«
Sebastian und ich blieben zurück und ich aß erst einmal in Ruhe mein Frühstück. Allerdings gingen mir Robertas Worte nicht aus dem Kopf. Die Italienerin liebte Kinder über alles und hatte einen hervorragenden Riecher in Punkto Problemfälle. Damit waren wir leider öfter konfrontiert, als uns lieb war. Ob das nun sturzbetrunkene Eltern waren, die ihre Kinder irgendwo vergaßen, oder die übervorsichtigen, die ihren Kleinen alles verboten. Dann gab es noch die, bei denen man das Gefühl hatte, dass ihre Kinder eigentlich nur ein Ärgernis darstellten. Auf lange Sicht war das wohl das größte Übel. Ich konnte nur hoffen, dass Roberta sich irrte und mit dem Wicht alles in Ordnung war.
Sebastian textete mich noch eine ganze Weile mit seinen privaten Problemen zu, die bei ihm allerdings überschaubar waren angesichts der Tatsache, dass er bei Marie in festen Händen war. So beschränkte es sich auf den Umstand, dass Marie unbedingt auf die Nachbarinsel Mallorca wechseln wollte, da sie befürchtete, dass er hier, auf der Partyinsel, bei den vielen hübschen Mädchen doch irgendwann schwach werden könnte.
Er lehnte sich mit verständnislosem Blick zurück und breitete die Arme aus. »Mal im Ernst, Cara, sieh mich doch an. Welches von den Mädels da draußen ist denn schon auf mich scharf, wenn so jemand wie Carlos, Fernando, Andy oder Oliver hier herumhängt?«
»Hm.« Es war nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. Sebastian war einer der liebsten Menschen, die ich kannte. Als Mann aber eben durchschnittlich. Nicht schön, aber auch nicht hässlich. Sein kurz geschnittenes, braunes Haar, das er in Rockermanier nach oben frisierte, lichtete sich schon an manchen Stellen, und wo die anderen ihre Muskeln spielen ließen, war er mit einem durchschnittlichen Körper mit winzigem Bauchansatz gesegnet.
»Sebastian, nun hör aber auf. Du bist ein ganz normaler Mann, du bist ein toller Schwimmer, du hast einen ausgesprochen feinen Humor, du kannst echt super singen und überhaupt. Stell dein Licht nicht dauernd so unter den Scheffel.« Ich trank meinen Saft aus und stand auf.
Sebastian tat es mir gleich, blickte schmunzelnd zu mir auf und meinte ironisch: »Und ich habe ein paar Jahre zu früh mit dem Wachsen aufgehört.«
Ich klopfte ihm nur tröstend auf den Rücken und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zu unserem Teammeeting.
Da Leon bei diesen Meetings anwesend war, gaben sich wirklich alle Angestellten Mühe, pünktlich zu sein – alle bis auf Carlos. Drei Minuten nach elf wurde die Tür aufgerissen und unser Schwerenöter stürzte heftig atmend in den Raum.
»Es tut mir leid, ich bin aufgehalten worden, war leider wichtig.«
Ich verschränkte die Arme und lehnte mich genüsslich zurück, während ich ihn nicht aus den Augen ließ. »Du Ärmster, nie lassen sie dir auch nur eine freie Minute. Immer hängen alle an dir …«, ich legte eine Kunstpause ein, »… mit ihren zahllosen Problemen.«
Nachdem aus Silvies Richtung ein unterdrücktes Röcheln kam, warf Carlos mir einen warnenden Blick zu, dem ich problemlos und mit ernster Miene standhielt. »Dann komm, sobald du wieder bei Atem bist, könnten wir loslegen.« Ich zauberte ein verständnisvoll-gönnerhaftes Lächeln auf meine Lippen.
Au weia, das war sein »Na warte«-Blick. Ich sollte heute den Rest des Tages auf der Hut sein.
Immerhin legte er nun tatsächlich los. »Nun denn, heute Abend gegen zehn Uhr kommen die neuen Gäste aus England. Aktuell wissen wir, dass wohl alle, die angekündigt sind, auch kommen. Wir ziehen von acht bis halb zehn die Karaoke-Show durch. Danach begrüßen bitte Silvie, Cara, José und Andy die Neuankömmlinge.«
Ich biss mir auf die Zunge. Da war sie schon, meine Retourkutsche. Nun ja, wahrscheinlich hatte ich sie mir redlich verdient.
Carlos fuhr unbeirrt, und ohne mich eines Blickes zu würdigen, fort. »Morgen, Freitag, sammelt ihr bitte die Anmeldungen für die Fahrt zum Hippie-Markt in Ibiza-Stadt ein. Ich will sie bis spätestens fünf Uhr vorliegen haben, damit ich sagen kann, ob am Samstag ein oder zwei Busse nötig sind. Dazu will ich bitte morgen im Laufe des Vormittages, die Liste der Kandidatinnen für die Miss-Costa-Azul-Wahl morgen Abend haben. Lise und Silvie schnappen sich schnellstmöglich die Mädels und bereiten sie auf das vor, was am Abend passieren wird. Ihr wisst, es darf keine Show der Peinlichkeiten werden. Das überlassen wir anderen Clubs. Die Mädels sollen Spaß haben und sich gut fühlen. Königinnen für eine Nacht!«
Nun kam er doch, der schnelle Seitenblick in meine Richtung. Ich verweigerte das Lächeln. Schließlich musste ich pflichtschuldig schmollen.
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