„85 C“, erwiderte Doris stolz.
„Ihr habt alle so große Titten, ey!“, regte Susi sich auf. „Hab nur 70 A, ey!“
„Soll nicht unser Problem sein“, meinte Doris trocken und wandte sich wieder Kai zu. „Ich bin nicht dick!“
„Für mich schon.“
„Mit dir will ich ja auch gar nicht in die Kiste.“
„Denkste etwa, ich mit dir?“, fragte Kai.
„Ah!“, machte Susi, als ihr das Szenario im Supermarkt wieder einfiel.
„Was hast du denn für Effekte?“, wunderte Doris sich.
„Erzähl ihr mal“, sagte sie zu Kai, „was gestern mit Bastian war!“
„Boah, ey!“, regte Kai sich unverzüglich auf. „Diese dämliche Schwuchtel! Geh mir bloß weg mit dem Arschficker! Ich schwör, eines Tages bringe ich den um!“
„Was war denn?“, fragte Doris neugierig.
„Ich war gerade dabei, Kaffee zu holen“, erzählte Susi, „als Bastian erschien. Und plötzlich taucht Kai wie aus dem Nichts aus, packt den Schwanzlutscher von hinten und hält ihm ein Messer an die Kehle.“ Urkomisch fand sie diese Erinnerung.
Doris war hellauf begeistert. „Alter, wie geil ist das denn? Und dann?“
„Wie doof der geguckt hat!“, erinnerte Susi sich.
„Hat die Schwuchtel etwa einen Ständer bekommen?“, wollte Kai mit gehässiger Mimik von ihr wissen.
„Woher soll ich das denn bitteschön wissen, häh?! Als ob ich dem da unten hingucken würde!“
„Da gibt es sicherlich auch nichts zu gucken“, spöttelte Doris.
„Ha! Wie wahr!“, stimmte Susi ihr zu.
„Der ist echt total schwul“, sagte Doris. „Allein wie der schon immer spricht.“
„Ahhh, der ist so was von schwul, hundertpro!“, meinte Susi. „Und selbst, wenn er es nicht wäre, welches Mädchen oder gar Frau würde denn bitteschön an so etwas drangehen?“
„Also ich nicht“, beteuerte Doris mit erhobenen Händen. „Ich würde anfangen zu lachen, wenn ich den nackt auf mir hätte.“
Kai wollte kein Wort mehr über Bastian hören. „Könnt ihr vielleicht mal über was anderes reden?“
„Bastian, Bastian, Bastian“, ärgerte Doris ihn.
„Ey, Alte, ich schwör dir!“, warnte Kai mit erhobener Hand.
„Was denn?“, fragte Doris unbeeindruckt von dieser Geste.
„Irgendwann werde ich es vollenden.“
„Ihm die Kehle durchschneiden, oder was?“, fragte Doris.
„Ich lasse es wie einen Unfall aussehen!“
„Ey, sag aber vorher Bescheid.“
„Willste etwa zugucken, oder was?“, war Susi überrascht.
„Denkst, das würde ich mir entgehen lassen?“
„Ey, dann will ich auch zusehen“, erwiderte Susi entschlossen.
„Die Schwuchtel wird eines Tages krepieren!“, schwor Kai. Er zog den Rotz hoch und spuckte die schleimige, gelbgrüne Masse auf den Boden.
Susi schaute nach links und erblickte Bastian in der Ferne. „Wenn man vom Teufel spricht.“
„Wieso?“ Doris erhob sich in Windeseile und spähte zu Bastian, der eine Tüte in der Hand hielt. „War wohl wieder einkaufen.“ Sie kicherte leise.
„Der hat so einen an der Klatsche!“ Susi schüttelte den Kopf. „Keine Eier in der Hose, dieser Hinterlader!“ Sie konnte es sich nicht verkneifen. „Na, Basti!“, rief sie ihm laut zu. „Warst wieder einkaufen?“ Dass Bastian nichts darauf erwiderte, hätte sie sich denken können.
„Der ist echt total erbärmlich“, machte Doris sich leise über ihn lustig und hockte sich wieder neben Kai. „Hätte ich so eine eingebildete und hochnäsige Mutter wie die Schwuchtel, ich schwör!“
„Die Alte hätte ich im Schlaf umgebracht“, sagte Susi. „Von so einer Tusse würde ich mir doch nichts vorschreiben lassen!“
„Im Winter“, sagte Kai kaum vernehmbar. Fragend blickten die Mädchen ihn an.
„Was ist im Winter?“, wollte Doris wissen.
„Im Winter ist es früh dunkel.“
„Und?“, fragte Doris ungeduldig. „Was willst du uns jetzt damit sagen?“
„Wenn es dunkel ist und die Tucke vom Einkaufen kommt, dann …“
„Dann?“, rätselte Susi. „Willste es dann zu Ende bringen, ja?“
„Ich werde ihn mir schnappen, hinter die Garagen zerren und auf diese Tucke einprügeln.“
„Und das Messer?“ Doris wackelte voller Vorfreude mit dem Oberkörper.
„Den Schwanz werde ich ihm abschneiden und ihn fressen lassen!“
Susi staunte nicht schlecht über diese Worte. „Und dann erstickt er an seinem eigenen Teil. Ha! Wie geil!“
„Falls er einen hat“, sagte Doris belustigt.
„Der wird krass krepieren“, schwor Kai.
„Das dauert aber noch so lange“, nörgelte Doris. „Wir haben August, Mann.“
„Wird doch schon früher dunkel“, meinte Susi. „Lern dich zu gedulden.“
„Kann ich nicht.“
„Dann lerne es!“
„Fick dich!“
„Fick dich selbst, du Schlampe!“ Die beiden Mädchen lachten.
Auf dem Bett sitzend, lehnte Lucas gegen die Wand. In Gedanken versunken starrte er auf seine Hände, als unverhofft jemand an die Tür klopfte. „Ja?“
Elke kam mit einem kleinen, unsicheren Lächeln herein und schloss die Tür hinter sich. „Na.“
„Na“, gab Lucas müde zurück.
„Ist bei dir alles in Ordnung?“ Sie nahm neben ihm Platz.
„Klar, alles bestens“, erwiderte er und rieb mit dem rechten, mit weißen Socken bekleideten Fuß über den anderen.
„Lief ja heute besser als gedacht.“
„Ja, war ganz okay.“
„Sie hat sich wirklich Mühe gegeben“, meinte Elke einfühlsam.
„Sie hat mich kaum beachtet“, widersprach Lucas.
„Ja, aber du musst sie auch verstehen. Für sie ist es auch nicht leicht. Vor allem, da du nicht ihr Einziger bist.“
„Ja, darüber hättest du mich ruhig vorher in Kenntnis setzen können!“, regte Lucas sich dezent auf. „Hab echt kein Bock, dem zu begegnen.“
„Vielleicht versteht ihr euch ja?“
„Ja, genau. Vielleicht. Und vielleicht auch nicht. Wieso habt ihr es mir nicht früher gesagt? Allein dieses Foto – wie der da guckt! Specki ist bestimmt so ein verwöhnter Junge, der an allem etwas auszusetzen hat.“
„Jetzt übertreib mal nicht.“
Schmollend wandte Lucas sich von ihr ab und legte sich hin.
„Das wird schon“, versprach Elke und erhob sich.
„Sobald ich volljährig bin, könnt ihr mich alle mal kreuzweise.“
„Ich kann deinen Zorn sehr gut nachvollziehen.“
„Nein, Elke“, widersprach er. „Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle.“
„Lucas …“
„Wärst du so freundlich und lässt mich jetzt bitte allein? Ich muss morgen schließlich zur Schule.“
„Ich hole dich morgen früh ab.“
„Tu mir aber bitte einen Gefallen und ruf mich vorher nicht an.“
„Wehe, du verpennst!“
„Werde ich nicht.“
„Will ich auch hoffen.
Lucas hatte keine Lust mehr, ihr zu antworten.
„Dann schlaf gut.“ Elke öffnete die Tür und verabschiedete sich. „Bis morgen.“
Es dauerte Stunden, bis Lucas endlich in den Schlaf fiel. Andauernd wälzte er sich im Bett herum und dachte über tausend Dinge nach. Zeitweise hatte er sogar das Gefühl, den Verstand zu verlieren.
Das nervige Piepsen seines verdammten Weckers riss Bastian aus dem Schlaf. Blind tastete er herum, griff daneben, griff noch mal daneben, fand schließlich die Taste und setzte dem Terror ein Ende.
„Ich bin doch gerade erst ins Bett gegangen“, jammerte er. Er fühlte sich wie gerädert, nachdem er in der Nacht aufgewacht war, weil er einen sehr seltsamen Traum über fliegende Pommes gehabt hatte. Und als er schließlich erneut in der REM-Phase angelangt war, befand er sich in einer noch abstruseren Traumwelt.
Bastian verharrte auf dem Gehweg vor einem Stromkasten, der auf einer kleinen Wiese nahe an einer Kreuzung stand, und starrte unentwegt auf das rechteckige Ding. Plötzlich geisterte seine Mutter um ihn herum und machte seltsame Bewegungen. Gerade als Bastian fragen wollte, auf welchen Drogen sie denn sei, begann sich die Wiese aufzuspalten. Doch statt wegzurennen, blieb Bastian seelenruhig auf der Stelle stehen und schaute gespannt in den Abgrund, der sich immer weiter öffnete und dem unverhofft eine Kuh entstieg. Wie ein Mensch lief sie Stufen hinauf, die gerade noch gar nicht da gewesen waren. Verwirrt sah er dem Vieh nach, das gelassen die Straßenseite wechselte und auf eine Weide trabte, wo weitere seiner Artgenossen verweilten. „Verrückt“, sagte Bastian und blickte wieder in den Abgrund. Er legte die Stirn in Falten und fragte sich, seit wann Wohnungen unterhalb der Erde existierten. Die Leute, die dort lebten, kannte er aus seiner Kindheit. Ehemalige Nachbarn, denen es anscheinend nicht gefiel, dass sie von ihm wie Tiere in Käfigen beobachtet wurden.
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