Ich leistete mir aber einen geheimen Eid, dass ich dieser Macht bedingungslos gehorchen wollte, selbst wenn es den Einsatz meines Lebens bedeuten sollte. Diesmal wagte ich es den Engel zu fragen, wie ich mir den Gott vorzustellen hätte, da ich mich später an nichts mehr erinnern konnte? Der Engel Judith gab mir eine sehr sonderbare Antwort: „Du wirst dich gewiss sehr wundern, wenn ich dir eine wahre Antwort darauf gebe. Aber du hast mich gefragt, so gib Acht. Gott ist wie eine Bienenkönigin, sie gebiert unaufhörlich neue Seelen, und alle Seelen dienen ihr, außer den Drohnen, die von Zeit zu Zeit aus dem Stock entfernt werden müssen. Doch das Antlitz Gottes ist unbeschreiblich an Schönheit. Es ist tausendmal schöner als die schönste Frau, die je auf Erden gelebt hat. Wenn du in das Angesicht Gottes schaust, so bist du in Liebe zu Gott verfallen, du sehnst dich immer wieder in seine Nähe zurück.“
Als Ikarus und der Engel Judith in dieser Nacht von mir gingen, machte ich eine kaum fassbare Entdeckung. Zuerst glaubte ich voller Schrecken, dass irgendein elektrisches Kabel durchgebrannt sei, dass nun in einer Ecke schmorte. Dann aber merkte ich, dass dieser brenzlige Geruch sich zunehmend verstärkte und schließlich stellte ich voller Überraschung fest, dass es sich um einen herrlichen, intensiven Weihrauchgeruch handelte, der mit vielen feinen Nuancen versehen war.
Ich konnte diesen heiligen Geruch direkt mit meiner Nase einatmen. Es bestand nicht der geringste Unterschied zwischen einer Halluzination oder einer materiellen Wirklichkeit. Es war mir bewusst, dass ein solcher Duft nicht im Zimmer sein konnte. Doch der Leser mag entscheiden, wie schwer es sein muss, sich einen derartigen, seltenen und differenzierten Geruch geistig vorzustellen, noch dazu in einer solchen Stärke. Dieser Weihrauchgeruch entstand in meiner Seele, es war sicher ein seelischer Geruchssinn. Hier zeigte sich zuerst die sinnliche Macht der übersinnlichen Welt. Es war die erste Geruchsvision in meinem Leben. Der Geruch blieb in seiner vollen Stärke etwa zwei bis drei Minuten und war dann wie weggeblasen. Der Spuk war zu Ende.
In den folgenden Tagen geschah es, dass der Geruch zu Beginn einer Mitteilung auftrat, es war gewissermaßen ein untrügliches Zeichen, dass Ikarus mir etwas sagen wollte. Ganz besonders beachtlich war die Tatsache, dass der Geruch mitten in einer Unterhaltung auftrat, die meinen Geist mit völlig anderen Dingen beschäftigte. Ich wurde also mit diesem Signal völlig unvorbereitet überfallen. Die Verständigung erfolgte weiter mittels der Luftschrift, die ich nun mit großer Übung beherrschte, so dass ich sehr schnell jene Mitteilungen verfolgen konnte. Auch am Schluss einer Unterhaltung blieb für ein bis zwei Minuten der Weihrauchgeruch zurück.
In manchen Fällen habe ich von einem religiösen Wahnsinn gehört, aber persönlich hatte ich noch keine Gelegenheit gehabt, einen religiösen Wahnsinn zu beobachten. Ich hatte mich nicht mit religiösen Schriften befasst, war auch kein Kirchgänger. Der religiöse Inhalt der übersinnlichen Mitteilungen war für mich völlig neuartig und ich habe derartiges noch nie gelesen. Doch ich hatte eine vorzügliche Möglichkeit, meinen Wahnsinn zu kontrollieren. Mein Sohn kam mir zu Hilfe, denn er war medial genug, um allein einen Schreibkontakt mit dem Jenseits aufzunehmen. Auf diese Weise bestätigte er mir alle meine Erlebnisse. Ich war nun einigermaßen beruhigt darüber, denn ich hatte Gewissheit, dass ich nicht verrückt war.
Es war das Jahr 1952. Am 14. April stand mein 50. Geburtstag bevor. Es war gewissermaßen ein Geburtstagsjubiläum. Das Osterfest rückte näher. Dieses heilige Fest kündigte sich bei uns schon in einer bisher nicht gekannten Weise an. Mein Sohn zeichnete in seiner automatischen medialen Weise, ohne zu wissen, was daraus werden sollte, Ostereier mit Schleifen und viele Osterblumen. Es war besonders auffällig, dass diese Zeichnungen im ersten Stadium immer ein Geschnörkel darstellten, die dann zum Schluss durch eine geniale Linienführung zu einem Bild vereinigt wurden. Auf diese schriftliche Weise wurde ich aufgefordert, wiederholt in die Kirche zu gehen, diesmal in die katholische Kirche. Es wurden auch die Zeiten genau vorgeschrieben und jedes Mal handelte es sich um einen größeren Gottesdienst, der mit der angegebenen Zeit genau übereinstimmte.
An einem Nachmittag saß ich allein auf der Couch. Plötzlich kam wieder der Weihrauchgeruch, meine Hand spürte einen elektrischen Strom, sie wurde hochgezogen und schrieb: „Kannst du mir jetzt sagen, was du dir unter Gott vorstellst?“
Das war eine schwierige Frage, über die Theologen und Philosophen vergeblich nachgedacht haben. Der Engel Judith hatte mir doch bereits eine Erklärung gegeben. Ich wollte mich nicht blamieren und suchte fieberhaft nach einer Erklärung.
Also antwortete ich halblaut vor mich hin: „In Gott war von Ewigkeit an ein heißer Wunsch, etwas Gutes hervorzubringen, auch wenn es am Anfang klein und kaum wahrnehmbar sein würde. Gott hatte aber den starken und seit ewigen Zeiten gehegten Willen, wirklich und wahrhaftig nicht nur zu wollen, sondern auch unter den größten Anstrengungen und mit Hilfe einer unendlichen Geduld und Zeit wahrhaftig etwas zu schaffen. Er brachte es durch seine mit keinem menschlichen Verstand zu erfassende Willensanstrengung dazu, im ewigen Nichts, dessen Zustand er selbst war, einen kleinen Anstoß zu geben. In diesem Augenblick schuf Gott durch seinen Geist zum ersten Mal wirklich etwas. Und von diesem Augenblick an gewann der Allmächtige selbst eine unvorstellbare Riesenkraft, die sich von Trillionen zu Trillionen Jahren immer mehr verstärkte und zu einer unvorstellbaren Energie anwuchs, und er baute das Weltall. Gott schuf durch die Vielzahl seiner elementaren Schwingungen das Unsichtbare und dann das Sichtbare. Über allem steht aber seine große Liebe zum Werk in jeder Form, seine Liebe, nur Gutes zu schaffen, es vollkommen zu machen, sich an seinem Werk zu freuen und es grenzenlos zu lieben, alles aus grenzenloser Liebe wieder zu verschenken, und so fort und so fort bis in alle Ewigkeit.“
Als ich mit dieser Gedankenverrenkung zu Ende war, überkam mich ein unheimliches, mit keinem Wort zu beschreibendes Grauen. Ich fühlte mich dem Schöpfer irgendwie sehr nahe, so nahe, dass ich fürchtete, es könne nicht mehr gut ausgehen, wenn man neugierig dem Allmächtigen in seine Karten sehen will. Ich erwartete ein vernichtendes Urteil. Aber nichts dergleichen geschah, dafür aber etwas anderes. Draußen hatte sich die Welt verändert. Trotz der noch frühen Jahreszeit hatte sich ein schweres Unwetter zusammengezogen. Es war fast dunkel im Raum. Im Zimmer stand ein bläulicher Nebel wie in einer katholischen Kirche. Sicher war dieser Nebel nicht da, aber ich konnte ihn dennoch mit unbeschreiblicher Deutlichkeit sehen und riechen. Es war herrlichster Weihrauch – die stärkste Vision – die ich bis jetzt erlebt hatte. Draußen zuckten grelle Blitze und der folgende Donner wartete mit gewaltigen Kanonaden auf. Fast alle Bibelpropheten sagten: „Ich sah“, oder „ich hob meine Augen auf“ oder „ich hatte ein Gesicht“.
Auch dieser Weihrauch musste ein Gesicht sein. Ein Gesicht, das viel deutlicher, viel konkreter war, als wir es auf natürlichem, also auf materiellen Weg, wahrnehmen. Jetzt, nachdem ich mich von meinem großen Schrecken erholt hatte, schrieb ich mit Hilfe des unsichtbaren Schreibers: „Du hast Gott verstanden, darum darfst du dir etwas wünschen.“
Ich hatte nichts zu wünschen, was ich hätte von Gott wünschen können. Alles, was mir angeblich fehlte, war materieller Natur, darum wagte ich nichts zu sagen. Doch ich schrieb mit meiner eigenen Hand: „Du hast wieder eine Gabe bekommen und außerdem kannst du drei Wünsche aussprechen, die nicht dich, sondern andere Menschen betreffen. Diese Wünsche müssen mit der absoluten Nächstenliebe zusammenhängen. Wenn du willst, wird Gott diese Wünsche erfüllen.“
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