»... um wieder eine Person zu werden?«, vervollständigte er. »Ja, so ist es. Ich kann sie nur zurückholen, wenn ich sie berühre. Ist ziemlich praktisch bei einigen meiner Kunden, dass ich nicht selber dort anwesend sein muss.«
Ich streichelte über seine langen Haare, strich sie nach hinten und glitt über sein Kinn. Herausfordernd zwinkerte er mir zu. Bevor ich mich wieder umdrehte, hauchte ich ihm einen Kuss auf die Wangen, dann lächelten wir einander an. Zärtlich spülte er mir das Shampoo aus, streichelte in kräftigen Zügen meine langen Haare.
»Es wird allerdings schwerer, je weiter sie entfernt sind. Es ist eine Frage der Konzentration, immerhin spüre ich auf einmal sechs oder sieben Empfindungen und Berührungen.«
Ich strich mir meine Haare nach hinten und kuschelte mich an seine Brust. Tatsächlich sah er etwas mitgenommen aus, jedoch hatte er nichts von seiner natürlichen Präsenz eingebüßt. Er legte seine Hand auf meine Wange, dann küsste er mich forsch. Mit einem Zwinkern nahm ich ihm die Zigarre aus der Hand und paffte genüsslich. Die Züge schmeckten nach herber Vanille.
»Eine Sache wollte ich dir noch sagen, Isabelle.« Im Unterton seiner Stimme erkannte ich die aufkommende Sorge. »Nikolai ist ein mächtiger Dämon. Vielleicht der mächtigste, mit dem der Zirkel jemals zu tun gehabt hat. Bitte sei vorsichtig und spiel nicht die Heldin, in Ordnung?«
Ich ließ mir Zeit mit meiner Antwort.
»In Ordnung«, sagte ich schließlich und sank tief in das warme Wasser, bis mein Kopf bedeckt war. Ich genoss die Stille und Sicherheit, die ich nur hier haben konnte.
***
Mit einer unglaublichen Entspannung, die sich auf alle Teile meines Körpers ausgebreitet hatte, trat ich auf die nächtliche Straße. Ich fühlte mich so frei und herrlich erholt. Sex mit Bashir war süße Folter und Wellness zugleich. Eine Mischung, die man nicht überall bekam. Ein Grund mehr, warum Bashir mir ans Herz gewachsen war.
Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es mittlerweile ein Uhr war. Die ersten Partygänger waren bereits wieder auf dem Heimweg. Mit geföhnten Haaren trat ich den Weg zu meinem Mercedes an. Sofort beschlich mich Schuldbewusstsein. Drei Stunden hatte ich bei Bashir verbracht, drei wunderschöne Stunden, jedoch hatte ich mein neues Pflegekind völlig vergessen. Mit einem Anflug von Panik drückte ich meine Hände gegen das Fenster der Beifahrertür. Doch von dem kleinen, weißen Fellknäuel war keine Spur. Schnell öffnete ich das Auto und suchte alles ab, leider war auch das nicht von Erfolg gekrönt. Gerade als ich anfing, hysterisch zu werden und mir Vorwürfe zu machen, ertönte eine Stimme hinter mir.
»Siehst du, Lemi, sie hat einfach kein Auge mehr für uns.«
Ich wirbelte herum. Während mein Kaninchen an einem Löwenzahn kaute, hielt Maddox es milde lächelnd im Arm.
Verdammt, sah er gut aus! Das orangefarbene Licht zauberte einen schimmernden Ton auf seine dunkle Haut. Auch jetzt hatte er einen dicken Wintermantel an, darunter lugten seine Uniform und das automatische Gewehr hervor. Meine Absätze klackerten laut in der Nacht, als ich auf ihn zuschritt und das Kaninchen an mich nahm.
»Er heißt nicht Lemi!«, zischte ich genervt.
Dann glitt mein Blick zum SLK. »Du hast meinen Wagen geknackt!«
»Ich konnte ihn doch nicht einfach die ganze Zeit dort drin lassen«, entgegnete Maddox ruhig, als wäre er sich keiner Schuld bewusst. »Bei den Reapern lernen wir eine ganze Menge mehr, als Dämonen über den Haufen zu schießen.« Feixend zwinkerte er mir zu, dann fuhr er mit der Hand über das Fell des Kaninchens. »Habe ihn Lemi getauft, wegen dem Golem und den Lehmspritzern, die er auf dem Fell hatte. Ich fand den Namen irgendwie passend.«
»Woher weißt du von dem Golem?«
»Jeder im Zirkel weiß davon.« Sein Blick heftete sich auf das kleine Fellknäuel.
Ich schnaubte. Schließlich hatte ich ihm die Geschichte im Untergeschoss des Zirkels nicht verziehen und ich bezweifelte, dass ich das jemals tun würde.
»Sag mal, spionierst du mir nach?«
Mit herausforderndem Blick schenkte er mir einen unglaublichen Augenaufschlag. »Heute ist mein freier Tag und ich hatte das Gefühl, dass ich irgendwie auf dich aufpassen sollte.«
Das war kein Witz, er sagte diese Sätze mit fester Stimme, als ob er wirklich davon überzeugt wäre.
Ich schüttelte spöttisch mit dem Kopf und ging zum Wagen. »Auf mich muss niemand aufpassen. Das schaffe ich schon ganz gut allein.« Ich ließ ihn einfach stehen und wollte gerade einsteigen, als ich bemerkte, wie die Straßenlaternen zu flackern begannen. Mehrmals sah ich mich um, setzte das Tier auf dem Beifahrersitz ab. Dann schlug ich die Tür zu.
»Bist du das?«, wollte ich an Maddox gewandt wissen.
Die Augen zu Schlitzen verengt, schüttelte er dem Kopf. Dann deutete er mit einem Nicken in die Seitenstraße. »Ich glaube, das sind die da.«
Im flirrenden Licht konnte ich drei Gestalten erkennen. Ein glatzköpfiger Magier in eng anliegender, schwarzer Kleidung, der eine dunkle Kugel schwebend vor seiner Brust beschwor und mit hasserfülltem Blick vor sich hin murmelte. Dazu zwei baumlange Vampire, die bereits ihre Zähne fletschten.
Maddox lud seine Waffe durch.
»Der sieht stark aus«, flüsterte ich Maddox zu.
»Ich würde sagen: ein Großmagier. Davon gibt es nicht viele in den Vereinigten Staaten. Habt ihr in Manhattan überhaupt welche?«
»Schon Jahrzehnte nicht mehr«, antwortete ich mit starrem Blick und schritt auf das Trio los. Selbst kleine Zauberer waren in den Staaten, ja auf der ganzen Welt, selten, aber Großmagier, die es mit einer Hexe aufnehmen konnten, waren beinahe nicht mehr existent.
Als ich mit festem Schritt die Seitenstraße erreichte, explodierten die Lampen über uns. Schützend hielt ich meine Hände über die Augen und spähte in die Gasse. Unsere Angreifer hatte ich gehörig unterschätzt. Im Bruchteil einer Sekunde schleuderte der Magier die schwarze Kugel auf mich. Gerade noch rechtzeitig wich ich aus und legte mich auf den Boden. Sofort waren die Vampire da. Mit einem tiefen Grollen stürzte sich der Erste auf mich. Ich konnte ihn noch mit einer Druckwelle an die Backsteinwand schleudern, doch schon hatte mich der andere fest im Griff. In diesem Moment formte der Magier eine Faust und ich bemerkte, dass wie von Zauberhand alle meine Gliedmaßen von mir gestreckt wurden. Mein Körper spannte sich schmerzvoll und der Vampir packte sofort meine Haare. Mit einem Ruck riss er sie zurück. Ich spürte seinen stinkenden Atem, als er seinen Kopf zurückwarf, um mir seine Zähne in das Fleisch zu bohren. Seine Gesichtszüge waren einer Fratze gleich. Im Kopf murmelte ich den Gegenzauber zu dem Fixierbann, den der Großmagier ausgesprochen hatte. Doch er war stark und ich nicht wirklich fit. Keine Magie durchflutete mich. Es mussten wirklich äußerst starke Dämonen sein, so etwas hatte ich noch nie erlebt.
Gerade als seine Zähne im fahlen Licht aufblitzten, hielt er inne. Nur Sekunden später drang ein zischendes Geräusch an meine Ohren. Der Funkenschlag blitzte an der Häuserwand. Wieder und wieder schoss Maddox dünne Holzpflöcke mit seinem automatischen Gewehr in den Leib des Vampirs. Mit offenem Mund fasste dieser an die kleinen Pflöcke in seinem Körper. Langsam wurde seine Haut rissig, bis sie sich schließlich auflöste und vom Wind über die Straßen getragen wurde. Ein Blutsauger weniger.
Immer noch im Griff des Magiers, konnte ich mit ansehen, wie der andere Vampir sich auf Maddox stürzte. Der Untote verpasste ihm mit seinen messerscharfen Fingernägeln ein paar empfindliche Schläge, dann wuchtete der Vampir ihn gegen die Wand. Ich konnte nichts tun, automatisch schrie ich seinen Namen. Doch meine Sorge war unbegründet. Maddox Reaktionen waren schnell, blitzschnell. Für einige Sekunden taumelte er zurück, dann schlug er ihm das Gewehr aus der Hand. Maddox war gut in Form und sein Körper gespannt, als er dem Vampir eine Stafette von Faustschlägen entgegendonnerte. Er tänzelte dabei wie ein Boxer, nur graziler, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Mit übermenschlicher Schnelligkeit konnte der Vampir ebenfalls ein paar Schläge setzen, doch war er der brennenden Wut Maddox nicht gewachsen. Schließlich zog Maddox einen Pflock und stach ihm diesen mit einem markigen Schrei ins Herz. Auch dieser Vampir verwandelte sich zu Staub.
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