1 ...7 8 9 11 12 13 ...30 Die Außenfassade des Altbaus strotzte mir entgegen, während ich an den typischen roten Backsteinen hochsah. Nur wenige konnten es sich leisten, hier eine Wohnung mit traumhaftem Blick über das Wasser und den naheliegenden Stadtgärten zu kaufen – einer davon war nicht menschlich und genau dieser war mein Ziel.
Ich machte mir gar nicht erst die Mühe zu klingeln, sondern öffnete die eisenbeschlagene Tür mit einem Entriegelungszauber. Während der Aufzug mich in die oberen Etagen brachte, betrachtete ich mein Spiegelbild und musste den Gedanken des Unbehagens ein weiteres Mal verdrängen. Wie bereits heute im Bad fühlte ich mich einfach nicht wohl in meiner Haut, als würde mein Herz gleichzeitig langsamer und schneller schlagen wollen. Ich legte meine Haare sanft über die weiße Bluse.
Auch an der Wohnungstür missachtete ich die Gebote der Höflichkeit und ging einfach in den Wohnraum. Der Eingangsbereich war erfüllt von leichten, raschelnden Geräuschen und leisem Fluchen. Still schlich ich über den teuren Teppich und betrachtete die stilvolle Einrichtung des Besitzers, bis ich beim Türrahmen des Schlafzimmers angekommen war. Gespannt hielt ich inne und ließ die Laute auf meine Sinne wirken.
»Verdammter Mist ... Das brauche ich ... Oder doch nicht. Vielleicht das ... Scheiße! ... Passt das?«
Amüsiert zogen sich meine Mundwinkel nach oben und ich ging einen Schritt nach vorn. Sofort fiel mir die Unordnung im Zimmer auf. Überall lagen Kleidungsstücke, halb gefüllte Koffer und Käfige verstreut. Die Kadaver von Kaninchen bildeten einen unnatürlichen Kontrast zu dem nussbraunen Parkettboden. Von einigen war nur noch der Kopf übrig, bei anderen wiederum schien es, als hätte jemand ein Stück aus ihnen herausgerissen und sie dann qualvoll verbluten lassen. Dazwischen keuchte ein dicklicher, kleiner Mann mit Halbglatze und hochrotem Gesicht, während er extravagante Anzüge in einen viel zu kleinen Koffer zu stopfen versuchte. Es stank bestialisch und ich musste mir selbst befehlen, nicht einige Schritte zurückzufallen.
»Verdammter Mist ... Warum passt der Scheiß denn ...«
Mein Blick streifte jedes einzelne tote Tier und heftete sich, so durchdringend wie Feuer, auf den Mann.
»Störe ich, Creepy?«
Der spitze, beinahe weibische Schrei durchzog den gesamten Raum und der kleine Mann stürzte in die hinterste Ecke der Wohnung. Aus seinem eben noch vor Anstrengung brennenden Gesicht war die Farbe gewichen, als er sich an die Brust fasste und nach Luft japste.
»Der Zirkel, oh Gott, ich dachte, oh Gott ...«
Mit gekreuzten Armen ging ich auf ihn zu. Sein fettes Gesicht glänzte und aus jeder Pore schien er zu schwitzen.
»Wen hast du denn erwartet?«
Augenblicklich lachte er mir mit einem breiten Grinsen entgegen, als er sich mehrmals die Handflächen am gelben Countryhemd abrieb.
»Ich? Niemanden! Wieso?«
Mein Blick fuhr über die Kleidungsstücke am Boden.
»Du willst verreisen?«
»Urlaub«, sagte er langgezogen und mit zittriger Stimme. »Hin und wieder muss man sich das mal gönnen, findest du nicht, Isabelle?«
Ich nickte beiläufig. Wir wussten beide, dass dies nur ein Spiel war und er die ersten Bälle geschlagen hatte, jetzt kam es auf meine Konter an.
»Ich dachte, die Geschäfte laufen gut, warum haust du denn ab?«
Seine Finger griffen tippelnd ineinander.
»Ach, weißt du, jeder braucht mal ’ne Pause.«
Ich schwieg und griff nach dem einzigen Käfig, in dem sich noch etwas bewegte und ein besonders junges Kaninchen sich ängstlich in eine Ecke gekauert hatte. Die Nase dieses Geschöpfes wippte so schnell auf und ab, dass ich nur ahnen konnte, was es gerade durchmachte, denn mir war sein Schicksal durchaus bewusst. Creepy gehörte zu einer besonders widerwärtigen Art von Schlangendämonen, die es auf groteske Art und Weise zu etwas gebracht hatten. Eigentlich harmlos, doch diese Art konnte sich in eine riesige Wasserschlange verwandeln. Kiloweise Drogen konnten im Schlund dieses Tieres unbemerkt ins Land gebracht werden. Deswegen war die Wahl seiner Wohnung, direkt am Hudson River, bestimmt kein Zufall. Der Zirkel ließ ihn gewähren. Was sind schon ein paar Drogen im Vergleich zu den Informationen, die er lieferte. Mit seiner Hilfe hatten wir ein paar Halbwesen des unteren Bodensatzes töten können. Mörder und Vergewaltiger, der letzte Abschaum der Dämonenwelt. Dafür durfte er mehr oder weniger unbehelligt seine Geschäfte führen. Manchmal musste man eben das kleinere Übel wählen.
Mit meinen langen Fingernägeln öffnete ich schnell den Käfig und nahm das kleine Fellknäuel auf den Arm.
»Und was ist mit dem Süßen hier, möchtest du es etwa auch zurücklassen?«
Sein Blick schoss auf das weiße Kaninchen, dass ich schützend im Arm hielt.
»Ich hole mir auf der Fahrt etwas zu essen«, entgegnete er so schnell wie möglich. »Laufen ja viele von den Dingern rum in diesem Sommer.«
Hitzig sah ich ihn an und legte so viel Abscheu in meinen Blick, wie es mir möglich war. »Du bist ekelhaft.«
Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Jeder tut, was er kann, Babe.«
Babe? Wollte er mich verarschen?
»Pass auf, was du sagst, Schlange. Für dich immer noch Isabelle. Sag mir lieber, was du über Nikolai weißt.«
Creepy schüttelte heftig mit dem Kopf, als wolle er den Gedanken an ihn so schnell wie möglich loswerden, als wäre er eine Krankheit, vor der man sich schützen müsste. Dazu kicherte er mit seiner hohen, durchdringenden Stimme und hielt sich eine Hand vor dem Mund.
»Nikolai, der Herrscher? Bist du nicht etwas zu alt für solche Märchen? Ein Sohn des Teufels? Ich bitte dich, Isabelle.«
Behutsam legte ich das kleine Kaninchen zurück in seinen Käfig und schloss die Tür.
Creepys Blick blieb an dem Tier haften und neigte sich zu Boden, während er seine Lippen mit der spitzen, gespaltenen Schlangenzunge benetzte und ein zischendes Geräusch ausstieß.
»Alles Märchen, damit böse, kleine Hexen zu Hause bleiben und sich nicht in Dinge einmischen, von denen sie keine Ahnung haben.«
Sofort schoss ich auf den dicklichen Mann los und formte noch in der Luft einen Feuerball, der fackelnd in meiner Hand lag, und den ich gefährlich nahe an sein Gesicht heranführte. Die rote Glut leuchtete seine Augen völlig aus und die vormals weiße Haut schien nun orange zu pulsieren. Mit der einen Hand griff ich grob nach seinem Hemd und zog ihn noch etwas näher an mich heran. Innerhalb von wenigen Herzschlägen schoss Panik in sein Gesicht und glänzte im Schein der Flamme.
»Es tut mir leid, wenn ich den Eindruck erweckt habe, dass mir deine Meinung wichtig ist. Und jetzt will ich etwas über Nikolai wissen!«
Verschreckt zuckte er zusammen und hielt meinem Blick nur unter größter Mühe stand.
»Rede mit mir, Creepy!«, fauchte ich lauter.
Durch meine Adern floss nun Zorn und Wut, dann erspähte ich im Augenwinkel einen Schatten. Nur ganz leicht, als hätte ein Windhauch einen Vorhang erfasst, aber genug, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Langsame, unbeholfene Bewegungen gingen von der Tür aus. Dann roch ich Ton. Golem!
Diese willenlosen Kreaturen ... Einmal erschaffen von ihrem Meister, dienten sie ihm bis in den Tod. Starken Beschwörern war es sogar möglich, ihnen Menschengestalt zu geben, nur im Kampf verwandelten sie sich in die künstlich gebildeten Wesen. Sofort drang mir der Geruch von frischem Lehm in die Nase. Mit einem tiefen Grunzen kamen ihre tönernen Schritte auf mich zu. Es dauerte nur Sekunden, bis sie ihre menschliche Gestalt abgelegt hatten. Mit leerem Blick griff der Erste nach mir. Nur unter größter Mühe konnte ich Creepy einen Tritt in die Magengegend verpassen und mich unter dem Schlag der Gestalt wegducken. Im Flug schleuderte ich den Feuerball gegen die hünenhafte Brust des Golems. Doch bei einem Wesen, das aus Feuer und Lehm gefertigt wurde, zeigte mein Zauber natürlich nur geringfügige Wirkung. Immerhin hatte ich Zeit, um mich aufzurichten und meinen Verstand nach den richtigen Sprüchen zu durchsuchen. Creepy kroch auf allen vieren in Richtung Tür.
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