Ohne große Eile steuerte ich meinen Wagen in Richtung Midtown. Meine Gedanken malträtierten mich noch einige Minuten, dann wischte der Fahrtwind meine Bedenken beiseite. Obwohl tagsüber brütende Hitze über der Stadt lag, wehte nachts eine kühle Brise und ich schloss das Wagendach. Auf der 5th Avenue waren die Massen bereits in Bewegung. Die Prunkstraße präsentierte sich in festlichem Gewand, als ich das Flatiron Building passierte. Ich schmunzelte in mich hinein, als mir Trivialwissen zu dem Bügeleisengebäude einfiel. Die aerodynamische Form des Gebäudes führte dazu, dass sich in den Straßen starke Luftströmungen bildeten. Frauen mussten daher aufpassen, dass ihre Röcke nicht hochgeweht wurden. Es heißt, dass in den frühen Tagen des Gebäudes Männer extra zu dem Gebäude kamen, um den damals seltenen Anblick unbedeckter Frauenbeine erhaschen zu können. Mittlerweile brauchten sie das nicht mehr, nackte Frauen gab es im Internet zuhauf und sie gingen lieber direkt auf die Jagd.
Ich ließ meinen Blick schweifen. Die Menschen suchten sich laut johlend einen guten Platz in der Bar oder der nächstgelegenen Diskothek. Früher saß ich mit ihnen oft da. Doch heute Abend war dies nicht mein Ziel.
Zum Glück entdeckte ich eine freie Parklücke auf der breiten Straße. Doch meine Freude war nur von kurzer Dauer. Gerade als ich den Blinker setzen wollte, schoss ein dicker Audi heran. Leider war ich heute nicht für solche Scherze aufgelegt und flüsterte einen Zauber.
Doch nichts passierte. Keine Magie durchströmte meinen Körper und der Audi war bereit zum Einparken. Im nächsten Moment bemerkte ich, wie erschöpft ich eigentlich noch immer von diesem mächtigen Erdzauber war. Ich musste mich stark konzentrieren, um tief in den Geist des Fahrers einzudringen und ihm zu suggerieren, dass die Parklücke nicht frei war. Er würde zwar in den nächsten Minuten ein ziemlich kontroverses Gespräch mit seiner weiblichen Begleitung haben, doch das sollte nicht meine Sorge sein. Als hätte er es sich im letzten Moment anders überlegt, setzte er zurück und fuhr weiter.
Müde, aber zufrieden, atmete ich durch. Ich sollte wirklich mit meiner Magie besser haushalten. Ruhig versuchte ich rückwärts einzuparken, was mir vollends misslang. Die anderen Verkehrsteilnehmer standen bereits in einer kleinen Schlange hinter mir, als ich den Benz schließlich doch mit der Schnauze voran in die Lücke gleiten ließ. Ich hasste es, wenn ich solche Chauvi-Klischees auch noch erfüllte.
Meinen neuen, flauschigen Freund ließ ich für diesen Moment im Stall, streichelte ihn durch die Öffnung mehrmals über seine eng anliegenden Ohren.
»Bin gleich wieder da, Sweety.«
Ich stieg aus. Mir schlug die frische Luft ins Gesicht und ich ließ meinen Blick schweifen. Prada, Chanel, Hugo Boss – eine nach der anderen reihten sich die Edelboutiquen aneinander. Ich schaute in die Schaufenster und schrieb mir ein paar himmlische Kleider auf meine interne Wunschliste. Endlich entdeckte ich den kleinen Antiquitätenhändler in der 5th Avenue, Nr. 500 im Erdgeschoss. Zwischen all den Hochglanzgeschäften wirkte er hier fehl am Platz. Besonders, weil die Fassade urig wirkte, fast alt, als hätte man den Laden aus dem 19. Jahrhundert herausgerissen und hier aufgestellt.
Mein Mundwinkel zog sich amüsiert nach oben, als ich bemerkte, dass ich damit wahrscheinlich gar nicht so falsch lag. Ich sollte wissen, dass die bemalten Teller, die verschnörkelten Tassen und die antiken Bücher nicht wirklich das Tagesgeschäft ausmachten. Kein Name prangte über dem Geschäft, jedoch brannte innen noch Licht und ich trat ohne zu klopfen einfach ein. Eine Klingel kündete von meinem Erscheinen.
»Einen Moment!«, ertönte eine sanfte Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes. Er war wahrscheinlich wieder in einem seiner dicken Wälzer versunken, übersetzte gerade etwas auf Altaramäisch oder wickelte seine Geschäfte ab, dachte ich und lenkte meinen Blick auf die Nachbildung eines Dolches. Auf einem kleinen Schild unter der Waffe stand in alter Schrift: »Saladin, der siegreiche Herrscher«. Ich ging in die Knie, um die Klinge genauer unter die Lupe zu nehmen und in diesem Moment wurde mir klar, dass dieser Dolch tatsächlich dem großen Feldherrn gehört haben musste. Zuzutrauen wäre es Bashir. Immerhin war es nicht das erste unbezahlbare Artefakt, welches über Umwege den Weg in seinen Laden geschafft hatte und wofür er astronomische Summen verlangen konnte.
»Guten Abend, Isabelle.«
Tatsächlich. Er erschien mit einem dicken Buch im Arm.
»Hallo Bashir«, sagte ich und strich mit dem Finger über eine uralte Porzellanspieluhr.
»Ich hatte damit gerechnet, dass du mir heute Abend noch einen Besuch abstatten wirst.«
Vielleicht war das eine der Eigenschaften, die mich schon immer an ihm gereizt hatte, neben seiner Intelligenz, des messerscharfen Verstandes und seiner Belesenheit. Natürlich, wenn man schon Hunderte von Jahren lebte, konnte man einiges an Wissen anhäufen. Jedoch brachte niemand dieses auf eine charmantere Art rüber als Bashir. Er war bestimmt kein Bad-Boy, hatte noch die Zeit miterlebt, als Ritter voller Edelmut strotzten und Burgfräulein retteten. Wenn nur alle Männer einen Bruchteil von seinen Eigenschaften hätten, dann hätten wir Frauen gar nichts mehr, worüber wir meckern könnten.
»Du möchtest etwas über die vier Brüder wissen.« Langsam schritt er auf mich zu, der Rollkragenpullover spannte ein wenig über seinem muskulösen Oberkörper. Die dunklen, schulterlangen Haare hatte er zurückgekämmt und mit ein wenig Haarwasser gebändigt. »Und du möchtest etwas über Nikolai erfahren, willst zwischen Wahrheit und Fiktion, zwischen Realität und Gerücht unterscheiden können«, sagte er ruhig und mit amüsiertem Unterton.
Ich nickte wortlos.
Er bedachte mich mit einem verstehenden, umwerfenden Lächeln. Normale Menschen würden ihn vielleicht für einen sehr attraktiven Mittdreißiger mit jugendlichen Gesichtszügen halten. Ich wusste es besser, obwohl sein richtiges Alter auch mir verborgen blieb und er sein wahres Geburtsjahr verheimlichte wie einen kostbaren Schatz.
»Darf ich fragen, liebe Isabelle, ob du heute den Garten umgegraben hast?«
Jeden anderen hätte ich mit einer Druckwelle an die nächste Wand geschleudert. Doch nicht Bashir. Ich grinste verlegen.
»Ich hatte ein wenig Stress mit Golem-Dämonen.«
Er ging in die kleine Teeküche, reichte mir ein warmes, duftendes Handtuch, womit ich mein Gesicht reinigen konnte. Er liebte diese kleinen Extravaganzen des Lebens. Teuren Scotch, exquisite Zigarren, feinste Anzüge und glänzende Oldtimer. Natürlich war dieses kleine Ladenlokal nur eine Deckadresse, sein Refugium. Im Hintergrund florierte der Handel mit magischen Artefakten und das schon seit Jahrzehnten, wenn nicht noch länger.
»Ja, Golem sind widerspenstige Kreaturen.« Bashir fuhr sich nachdenklich über sein glattrasiertes Kinn. »Zumindest, wenn man nicht ihr Meister ist. Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?«
Dabei deutete er mit einer einladenden Geste in die Ecke des kleinen Ladens, wo sich zwei herrlich gemütliche Sessel vor einer Wand aus unzähligen Büchern präsentierten.
»Oh ja, bitte«, hauchte ich ohne Stimme und warf mich auf eine der Sitzgelegenheiten. Der Kampf hatte doch mehr Spuren hinterlassen, als ich zugeben wollte. Ein dumpfer Schmerz hämmerte zwischen meinen Ohren, sodass ich mich abstützen musste und meine Schläfen rieb. Wenn man zu viel Magie einsetzte, war diese Art der Überanstrengung nicht selten bei Hexen. Ich konnte tatsächlich einen Drink vertragen. Nach einiger Zeit kam er mit einer Flasche zurück, die aussah, als hätte sie beide Weltkriege überlebt. Er bestätigte meinen ersten Eindruck.
»Ein The Glenlivet aus dem Jahr 1886«, erklärte Bashir, als könne er meine Gedanken lesen, während er die bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei Gläser goss.
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