Heute kann man mit dem iPhone oder Smartphone Sprachnotizen aufnehmen. Selbstverständlich können Sie auch auf Papier und Stift zurückgreifen, um Gedanken festzuhalten. Mir selbst ging das Schreiben aber oft nicht schnell genug, wenn die Gedanken sprudelten ...
Mit allen Sinnen schreiben bedeutet aber weitaus mehr. Ich will Ihnen das an einem Textbeispiel verdeutlichen. In dem Buch Triumph des Lebens von Jean Giono, das 1949 erschienen ist, heißt es an einer Stelle:
Hol mir eine Handvoll Pfeffer, eine Handvoll Wacholder, zwei Gewürznelken, ein Lorbeerblatt, einen Stengel Basilikum, zwei Stengel Minze, einen Schirm Fenchel, Salz, Essig und ein Stück Speck ...
Geht und holt mir, du ein Glas Schnaps, ein großes, du mageren Speck, du trockenen Thymian und Bindfaden. Du nimmst jetzt die Spicknadel; schlagt das Feuer nieder ... Reibt mir dies ganze Fleisch mit Branntwein ab ... 3
Dieser Text ist fürwahr ein wundervolles Beispiel dafür, wie alle Sinne in das Schreiben einbezogen wurden.
Riechen Sie die Gewürze?
Schmecken Sie den Schnaps?
Fühlen Sie, wie er die Kehle hinunterläuft?
Fühlen Sie den fetten Speck an Ihren Fingern?
Riechen Sie das Feuer?
Läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen?
Solche Szenen kann man nur dann und nur so zu Papier bringen, wenn man schmeckt, fühlt, riecht, was um einen herum passiert. Das sind keine Erfahrungen, die man am Schreibtisch machen kann. Und es kommt noch etwas hinzu. Der Schriftsteller bindet seine Figuren in das Geschehen, in seine eigene sinnliche Erfahrung ein.
Otto Schumann schreibt dazu:
Suchen Sie vor allem, Sichtbares und Hörbares, Duft und Geschmack und Tastbares in Bewegung umzusetzen. Mit dem Beschreiben ist wenig gewonnen. Giono steigert das vortrefflich, zunächst gibt er eine Aufzählung, dann setzt er die Menschen in Bewegung („hol mir ... du nimmst ... reibt“), bis sich alles eint zu einer bewegten und bewegenden Sinfonie. 4
Wenn Sie also an Ihrem Buch arbeiten, dann versuchen Sie, alles, was realistisch mit Sinnen zu erfassen ist, tatsächlich sinnlich zu erleben. Kocht Ihr Held eine Kohlsuppe, dann versuchen Sie sich selbst am Herd. Riechen Sie, wie der Zwiebelduft durch die Küche zieht – was empfinden Sie dabei? – saugen Sie den Duft des Kohls bewusst ein. Bringen Sie zu Papier, was Ihnen durch den Kopf geht. Rümpfen Frau, Mann, Kinder die Nase? Welche Erinnerungen werden in Ihren, in den Gedanken Ihrer Lieben geweckt?
Selbstverständlich weiß ich, dass man dieses sinnliche Erleben nicht bei jedem Buchprojekt umsetzen kann. Kein Kriminalschriftsteller soll sich von mir durch meine Ausführungen dazu verleitet sehen, selbst auszuprobieren, wie es sich anfühlt, ein Verbrechen zu begehen. Aber da, wo es möglich ist – und sei es nur ein Waldspaziergang, den Sie eindrucksvoll schildern möchten –, probieren Sie es aus. Nicht in Ihrer Erinnerung, sondern jetzt, sofort ...
*
3.2 Hauchen Sie Ihren Figuren Leben ein
Auf eine ähnliche Weise können Sie auch die Figuren in Ihren Büchern entwickeln. Erschaffen Sie diese nicht nur in Ihren Gedanken, Ihrer Fantasie oder adoptieren Sie Figuren anderer Schriftsteller. Schaffen Sie Ihre ganz eigenen, unverwechselbaren Charaktere.
Und wie?
Ganz einfach:
Beobachten Sie Menschen auf der Straße, im Café, im Kino, in der Straßenbahn ... wo auch immer Sie anderen Männern, Frauen, Kindern begegnen.
Welche Gesichtszüge haben sie?
Wie sind sie gekleidet?
Welche Gestik haben sie?
Wie riechen sie?
Wie bewegen sie sich?
Welche Eigenarten haben sie?
Wie lachen sie?
Wie weinen sie?
Lassen Sie bei Ihrer Recherche den wichtigsten Menschen nicht aus: Fragen Sie sich selbst, wie Sie aussehen, wenn Sie weinen, lachen, traurig sind. Schreiben Sie auf, welche Wünsche und Träume Sie haben und wie Sie diese verwirklichen wollen. Wie reagieren Sie selbst in bestimmten Situationen?
Und dann beobachten und befragen Sie Menschen in Ihrem nächsten Umfeld – Freunde, Verwandte, Bekannte, Nachbarn.
Wie lachen sie?
Wie weinen sie?
Wie hört es sich an, wenn sie schreiben?
Wie sehen sie aus, wenn sie wütend sind?
Welche Träume und Wünsche haben diese Leute?
Wie setzen sie sie um?
Wie reagieren sie in bestimmten Situationen?
Und dann gehen Sie noch einen Schritt weiter:
Schauen Sie, wie Ihnen vollkommen fremde Personen lachen, weinen, brüllen, flüstern. Welche Mimik haben sie dabei? Fragen Sie sich, welche Träume und Wünsche sie haben könnten. Und wenn Sie ganz mutig sind, dann sprechen Sie den ein oder anderen doch einfach an. Sagen Sie ihm, Sie würden an einem Romanprojekt arbeiten – vielleicht lässt er Sie ein wenig hinter die Fassade schauen. Und wenn nicht oder wenn Sie sich nicht trauen, dann überlegen Sie: Wie könnte der dicke Metzger hinter der Theke darauf reagieren, wenn das hübsche junge Mädchen seine Ware reklamiert? Wie der Schaffner, wenn er einen Schwarzfahrer erwischt?
Welche Träume hat die Verkäuferin in der Parfümerie nebenan?
Wie riecht sie?
Wie geht sie?
Wie lacht sie?
Wie riecht die Reiterin, wenn sie aus dem Stall kommt?
Wie der Beamte, der nach acht Stunden sein Büro verlässt?
Sie sehen, worum es auch hier immer wieder geht: um das genaue Beobachten, um das Einsetzen Ihrer Sinne – beim Erschaffen Ihrer ganz eigenen Figuren, Ihrer Protagonisten, aber auch der Nebenfiguren, die vielleicht nur für eine winzige Episode in Ihrem Roman, in Ihrer Erzählung wichtig sind. Denken Sie immer daran, dass auch eine Romanfigur nicht nur aus Äußerlichkeiten besteht. Nicht nur aus den grünen Augen, den braunen Haaren – das alles ist schnell be- und aufgeschrieben. Hauchen Sie den Figuren Leben ein ...
Fühlen Sie Ihre Figuren.
Spüren Sie sie.
Riechen Sie sie.
Erforschen Sie ihre Eigenarten.
Zieht nicht Ihr Protagonist leicht das Bein nach?
Riecht er in Stresssituationen nicht leicht säuerlich?
Oder geht von ihm eine Süße wie Himbeersirup aus?
Schaffen Sie aus den vielen Beobachtungen mit allen Sinnen Ihre unverwechselbaren Helden, Ihre eigenen ganz besonderen Protagonisten – und Sie haben einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht.
*
3.3 Schreiben Sie wie ein Journalist
Wenn Sie an Ihrem Buch arbeiten, Ihre Story, Ihre Handlung, Ihren Handlungsstrang entwickeln, dann gehen Sie vor wie ein guter Journalist. Denn der verliert bei seiner Arbeit eines nie aus den Augen, weil es ihm schon während seines Volontariats in Fleisch und Blut übergegangen ist: die Beantwortung der W-Fragen.
Wer hat etwas getan?
Was hat er getan?
Wo hat er es getan?
Wann hat er es getan?
Wie hat er es getan?
Warum hat er es getan?
Auf diese W-Fragen gehe ich später noch einmal genauer ein, und zwar dann, wenn ich zum Thema Pressearbeit komme. Doch nicht nur für einen Journalisten sind diese Fragen existenziell wichtig. Auch jeder Autor, jede Autorin muss sich zwangsläufig mit ihnen beschäftigen.
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