Damit kommen wir zur dritten Voraussetzung: der Schriftsteller muß, wenn er einen Namen verdienen soll, täglich arbeiten, hart arbeiten, sich mit dem Stoff in stetigem Kampf auseinandersetzen, seiner Schreibweise das Äußerste Verständlichkeit, Gehalt und Form abringen.
Nur wer bereit ist, diese drei Mindestvoraussetzungen zu erfüllen, und ein bestimmtes Maß an Begabung mitbringt, hat eine gewisse ungewisse Aussicht, als Schriftsteller etwas zu leisten. 1
Natürlich spielt auch die Begabung eine große Rolle, die sich zu einem geringen Teil aus der Fähigkeit ergibt, gut schreiben zu können, wie schon mancher Lehrer einem Schüler mit auf den Lebensweg gegeben hat, aber auch daraus, aus dieser Gabe durch Üben eine Begabung zu machen.
Schauen wir einmal bei anderen Künstlerkollegen vorbei. Musisch begabt zu sein, ist ein wundervolles Talent, das aber noch lange nicht einschließt, ein Instrument zu beherrschen. Will man ein Instrument erlernen, so gehört stetes Üben dazu – trotz musischer Begabung. Erfolg step by step.
Oder fragen Sie einmal einen Bildhauer, ob seine erste Skulptur gleich sein Meisterstück geworden ist. Fragen Sie ihn, wie viele Werke er schaffen – erschaffen – musste, um erste Achtungserfolge zu erzielen. Fragen Sie den Maler, wie viele Bilder er unvollendet in die Ecke gestellt hat, bis er zu seinem persönlichen Stil gelangt ist und erste Bilder verkaufen konnte. Fragen Sie nicht zuletzt den Wimbledon-Gewinner, wie viele Trainingsstunden er vor dem Sieg auf dem staubigen Tennisplatz zugebracht hat. Einen Ball nach dem anderen schlagend. Mit Muskelkater in den Armen und schmerzenden Beinen.
Stets übe deine Kunst,
ist sie dir gleich bekannt:
Das Denken stärkt den Sinn,
das Üben stärkt die Hand.
Weise Worte des Dichters Martin Opitz (1597-1639). Leider aber wird in Schriftsteller- und Autorenkreisen gerade der Aspekt des Übens fast 400 Jahre nach Martin Opitz oft vernachlässigt. Kaum hat man eine erste Seite zu Papier gebracht, lässt man gleich die Welt daran teilhaben. So geschieht es auch mit der zweiten, dritten, vierten Seite. Kaum mehr jemand lässt sein Werk reifen. Reifen wie einen guten Wein, wie einen guten Käse.
Ein merkwürdiger Vergleich? Sicherlich nicht, denn schreiben ist ein ebenso sinnliches Erlebnis wie gut kochen oder essen. Man arbeitet nur mit anderen Zutaten ...
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Schreiben lernt man zwar gemeinhin in der Schule – aber dieses Schreiben hat mit der Schriftstellerei rein gar nichts zu tun. Man bekommt hier nur das Handwerkszeug, alles andere muss man sich selbst aneignen. Dazu gehört sicherlich auch, an seinem eigenen Stil zu arbeiten.
Schumann schreibt dazu:
... man schreibt nicht einfach, was man denkt, sondern muß seine Worte sorgsam wählen; und die Worte und Sätze, also der Stil, machen sich zuweilen selbständig, sagen bald mehr und bald weniger, als der Schreibende von ihnen erwartet hatte. 2
Um an seinem eigenen Stil zu arbeiten, gibt es nichts Besseres als zu lesen. Lesen, lesen und nochmals lesen. Lassen Sie die tief greifenden Worte eines Hermann Hesse auf sich wirken. Betrachten Sie die kindliche Lebendigkeit der Sprache einer Astrid Lindgren, folgen Sie einem Michael Ende in seine fantastische Welt – und machen Sie sich frei von all den guten und schlechten Literaturverfilmungen, die es zu den Büchern dieser drei genialen Schriftsteller gibt. Lassen Sie die geschriebenen Worte auf sich wirken, saugen Sie Satz für Satz ein.
Und dann machen Sie eines nicht: Kopieren Sie nicht den Stil eines anderen Autors, einer anderen Autorin. Entwickeln Sie Ihren eigenen. Das dauert, aber ich bin sicher, dass es Ihnen gelingen wird, wenn Sie nur hart genug daran arbeiten.
Ich will Ihnen einmal eine kleine Geschichte aus unserem Verlagsalltag erzählen. Wir haben einige Jahre mit einer Autorin zusammengearbeitet, die sehr viel geschrieben hat. Buch um Buch – und Buch um Buch konnte man ihren Reifeprozess verfolgen. Als sie ihr fünftes Manuskript bei uns einreichte, hat unser Lektorat im Laufe der Arbeiten an dem Buch ein ganzes Kapitel gestrichen, mehr als 50 Seiten. Ich muss Ihnen sicherlich nicht berichten, wie entrüstet die Autorin darüber war. Wir haben lange Diskussionen mit ihr geführt und vermutet, dass sie genau dieses Kapitel nicht in einem Fluss mit den anderen geschrieben habe. Nach zähem Ringen gab sie dann schließlich zu, dieses Kapitel erst zwei Jahre nach Beendigung des eigentlichen Werks eingefügt zu haben. Freunde hätten ihren Text gelesen und sich ein weiteres Kapitel zu diesem einen Helden gewünscht. In den dazwischenliegenden zwei Jahren hatten sich Stil und Erzählweise der Autorin jedoch so stark verändert, dass sie den Ton des bereits fertigen Werkes nicht mehr traf. Und genau das erkannte unsere Lektorin – jedem anderen Literaturerfahrenen wäre diese Diskrepanz übrigens beim Lesen ebenfalls sofort aufgefallen.
Eine gute Möglichkeit, das eigene Schreiben zu üben, bieten Anthologie-Ausschreibungen von Verlagen, Literaturportalen oder anderen Organisationen. Zur Erklärung: Eine Anthologie ist eine Sammlung meist kürzerer Texte verschiedener Autoren, die dann in einem Buch zusammengefasst werden.
Zudem bieten sich zahlreiche Gelegenheiten, eigene Texte bei Schreib- und anderen Wettbewerben einzureichen. Lesen Sie jedoch immer ganz genau die Ausschreibungsunterlagen – bei manchen Wettbewerben dürfen beispielsweise nur Gedichte, bei anderen nur experimentelle Texte oder Erzählungen mit einer bestimmten Zeichenanzahl eingereicht werden. Halten Sie sich nicht an die Ausschreibungsrichtlinien des Veranstalters, wird Ihr Text mit Sicherheit aussortiert, denn es macht natürlich keinen Sinn, eine Erzählung bei einem Wettstreit einzureichen, bei dem Gedichte gesucht werden.
Unsere beiden Verlage – Papierfresserchens MTM-Verlag und der Herzsprung-Verlag – bieten seit Jahren regelmäßig Anthologieprojekte an. Informationen dazu finden Sie auf unseren Internetseiten www.papierfresserchen.desowie www.herzsprung-verlag.de. Viele weitere interessante Ausschreibungen und Wettbewerbe finden Sie stets auf der Internetseite www.autorenwelt.de.
Doch kommen wir zurück zu Ihrem ersten längeren Werk, das Sie gerade schreiben oder bereits geschrieben haben: Besinnen Sie sich auf Ihr Talent und Ihre Leidenschaft, auch wenn das erste Werk Ihnen vielleicht noch nicht den Erfolg bringt, den Sie sich für Ihre schriftstellerische Zukunft wünschen. Schreiben Sie täglich, lesen Sie und halten Sie Augen und Ohren offen, um Ihre Umwelt wahrzunehmen, denn noch immer ist es nicht zuletzt das Leben, das die besten Geschichten schreibt ...
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Auf den folgenden Seiten gebe ich Ihnen einige praktische Tipps, die Sie in Ihr Schreiben einfließen lassen können. Picken Sie sich aus diesem Rezept die Zutaten heraus, die Sie benötigen – und brauen Sie dann Ihr ganz eigenes Süppchen. Denn eines möchte die Literaturwelt ganz sicherlich nicht – einen Einheitsbrei, der immer und überall gleich schmeckt.
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3.1 Schreiben mit allen Sinnen
Das Schreiben ist meist eine einsame Handlung. Es erfordert Ruhe und Konzentration, ein tiefes Eintauchen in die eigenen Gedanken. Deshalb kann es schnell passieren, dass man sich in seiner Fantasiewelt verliert. Wenn Sie merken, dass Sie sich verlieren, machen Sie eine Pause. Gehen Sie hinaus in die reale Welt. Öffnen Sie Augen und Ohren, erfassen Sie mit allen Sinnen, was um Sie herum vorgeht.
Das kann auch ein probates Mittel sein, um Schreibblockaden zu überwinden. Ich habe früher in solchen Situationen ein kleines Tonbandgerät mitgenommen, um das, was mir bei Spaziergängen oder Autofahrten durch den Kopf gegangen ist, aufzusprechen, um die Worte nicht gleich wieder zu vergessen.
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