Der Kleiderschrank-Typ räusperte sich. Er maß ungefähr einen Meter neunzig und war kräftig, muskulös, durchtrainiert und gut gekleidet. Sein Anzug war aus gutem Tuch und saß wie gegossen. Eine zarte Wolke von Sandelholz umgab ihn, die sein Eau de Toilette verströmte. Auf Delia wirkte er dennoch nicht wie ein ganz normaler Geschäftsmann, und so ganz falsch lag sie bei ihrer Annahme nicht, wie sich bald herausstellte.
«Entschuldigen Sie», sagte er mit einer leicht rauchigen, tiefen Stimme, «ich würde Sie gerne etwas fragen.»
Delia hob die Augenbrauen. «Ja, bitte?» Wahrscheinlich kam jetzt diese Haben-wir-uns-nicht-schon-mal-irgendwo-gesehen-Nummer? Darauf stand sie aber absolut nicht!
«Ich stecke gerade in einem Schlamassel – bitte erschrecken Sie nicht über meinen Vorschlag! Mir sind mehrere meiner Mitarbeiterinnen ausgefallen. Aufgrund des miesen Regenwetters greift wohl eine Grippewelle um sich. Jedenfalls liegen ein paar meiner Damen mit Fieber im Bett. Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, auszuhelfen. Ich habe Sie ein wenig beobachtet. Sie bewegen sich sehr gut zur Musik und Sie sind sehr attraktiv. Natürlich gegen eine gute Bezahlung.»
Vorsicht und Misstrauen rührten sich bei Delia. «Worum geht es? Soll ich etwa tanzen?»
«Nun, nicht direkt. Das ist es ja gerade. Erschrecken Sie bitte nicht. Der Job ist ein wenig anders, also hören Sie es sich bitte erst mal an. Vielleicht reizt es Sie aber, denn meine Schwägerin erzählte mir gerade, dass Sie unter Geldmangel leiden und einen Nebenverdienst gebrauchen könnten?» Nun, so ließ sich ihre Geldknappheit auch interpretieren. Delia wurde neugierig.
«Mein Name ist Max Koos. Ich führe in der Nähe ein Edelbordell und …»
«Nein», unterbrach ihn Delia entrüstet. «Kommt gar nicht in Frage!»
«Warten Sie, lassen Sie ihn doch bitte ausreden. Es ist nicht so, wie Sie denken!», bat die Rothaarige.
Delia schnaubte ablehnend.
«Sehen Sie, unser Bordell heißt Sultan’s und diesem Namen werden wir unter anderem dadurch gerecht, dass eine unserer Damen in Haremskleidung auf einem Podest angebunden wird, sozusagen als Sklavin. Manche Männer mögen das. Ein bisschen schauen und necken, die Hilflosigkeit der Sklavin ausnutzen, ohne dass jedoch wirklich etwas passiert! Heute am Freitag ist natürlich besonders viel los und eigentlich habe ich niemanden übrig, der das machen könnte. Wie gesagt, Krankheitswelle.» Er lächelte sie gewinnend an. «Jedenfalls müsste ich das Podest heute Nacht leer lassen oder eine der anderen Damen dafür einsetzen, aber die haben alle ihre Stammkunden und eigentlich keine Zeit, Sie verstehen?»
Delia rümpfte angewidert die Nase. In ihrem Blick lag die ganze Verachtung, die sie für Menschen wie Koos und ihren Beruf übrig hatte. «Und was hat das mit mir zu tun?»
«Nun, wie gesagt, Sie sind sehr attraktiv.» Er musterte sie ungeniert von oben nach unten und zurück. Ihm gefiel ihre natürliche Schönheit. Sie hatte eine reine, alabasterweiße Haut, wie man sie oftmals bei Rothaarigen findet, die einen guten Kontrast zu ihren kastanienbraunen, gelockten Haaren bildete. Vielleicht schimmerten diese im Sonnenlicht sogar in einem Rotstich, der ihre blasse Haut rechtfertigte. Ihre grünen Augen waren einzigartig. Ein kühles, klares Grün, von wenigen gelben Sprenkeln durchsetzt. Eine einzigartige Mischung.
Um seine Lippen spielte ein gewinnendes Lächeln. «Und ich dachte – nun vielleicht könnten Sie sich vorstellen, diese Podestnummer zu übernehmen? Nur dort stehen, sich ein wenig zur Musik bewegen. Ähnlich wie Sie es gerade hinter dem Regal getan haben. Keine Verpflichtung, mit einem der Männer ins Bett zu gehen.»
Was schlug er ihr da vor? Sie sollte … Delia schwankte zwischen Empörung und Lachanfall. «Sie meinen – ich soll mich begaffen und dann auch noch anfassen lassen?» Sie brachte es mit wenigen Wort auf den Punkt: «Wie auf einem Sklavenmarkt zur Begutachtung? Kommt ja gar nicht in Frage!» Sie sah die Verkäuferin auffordernd an: «Kann ich jetzt bitte bezahlen?»
Doch Koos ließ nicht locker. Er betonte noch einmal die Harmlosigkeit dieses Jobs, nannte ihr den Preis pro Stunde und dass sie den Vibrator obendrein geschenkt bekäme. Sie würde doch nichts riskieren, dürfte es einfach ausprobieren. Im Zweifelsfall könne sie jederzeit aufhören und gehen. Kein Zwang, keine Verpflichtungen.
Delia war durchaus kontaktfreudig, Männer betreffend jedoch vergleichsweise schüchtern. Verlegenheit machte sich auf ihrem Gesicht breit. Sich von Fremden befummeln und anstarren zu lassen, vermutlich mit fast nichts bekleidet, war fern jeglicher Vorstellung. Das kam höchstens mal in ihren Träumen vor, und selbst dann mochte sie kaum glauben, dass es ihre Fantasie gewesen war! Andererseits – es hörte sich nach leicht verdientem Geld an und der Preis überstieg bei weitem das, was sie in ihrem Job in einer Stunde verdiente. Sie könnte endlich ihrer Kollegin Dana zurückzahlen, was diese ihr vor zwei Monaten geliehen hatte.
Max Koos kam seine hervorragende Menschenkenntnis zu Hilfe. Einfühlsam schilderte er Delia, wie einfach diese Arbeit wäre und dass er sie vor Übergriffen, die über ein bloßes Anfassen hinausgingen, schützen würde. Er würde nicht mehr von ihr verlangen als das, was er ihr erzählt hatte.
Zehn Minuten später hatte er Delia so weit. Sie warf ihre Skrupel über den Haufen. Warum nicht einmal etwas tun, was jenseits ihrer Vorstellungskraft und ihres Anstandes lag? Ihr Herz klopfte bis zum Anschlag, aber sie war entschlossen, sich auf das Abenteuer ihres Lebens einzulassen. Denn verglichen mit ihrem geordneten, eintönigen, gesitteten Leben würde dies wahrhaftig ein Abenteuer sein, ein sprichwörtlicher Sprung ins kalte Wasser.
Kapitel 2
Die pastellgelb gestrichene Fassade wies erstaunlich dezent darauf hin, dass sich dahinter auf fünf Stockwerken ein Edelbordell befand. Ganz offensichtlich wussten die Männer, die sich in dieser Szene bewegten, auch so Bescheid. Ein beleuchtetes Schild direkt über dem Eingang, eine Leuchtreklame hoch oben am Haus, die auf eine Internetadresse hinwies, das war alles. Delia hatte etwas Spektakuläreres, Auffälligeres erwartet. Rote Gardinen oder leuchtende Herzen in den Fenstern, Lichterketten, flackernde Leuchtreklame überall.
Max schien ihre Gedanken zu erraten. Er zwinkerte ihr zu. «Sieht gar nicht nach dem aus, was es ist – nicht wahr?»
Delia nickte und schluckte trocken. Er schob den schweren roten Vorhang hinter der Eingangstür auf die Seite und ließ Delia an sich vorbeigehen. Das Foyer war die eigentliche Überraschung. Delia wusste nicht, was genau sie erwartet hatte, auf jeden Fall nicht den Eindruck eines mittelgroßen, exklusiven Hotels. Nur die Beleuchtung, die wesentlich schummriger ausfiel als in Hotels üblich und den Raum in eine warme angenehme Atmosphäre tauchte, ließ erahnen, dass es sich um etwas anderes handeln musste. Und die Wände, die in einem kräftigen Bordeauxrot gestrichen waren.
Dezente Instrumentalmusik berieselte den Raum. Direkt gegenüber dem Eingang gab es eine Empfangstheke, hinter der eine etwas füllige, aber durchaus attraktive Brünette ihnen freundlich zunickte.
«Hallo Emily», sagte Max zu ihr. «Ich habe Ersatz mitgebracht. Das ist Delia.»
«Hi», sagte Emily und nickte Delia freundlich zu.
«Für Delia werden auf keinen Fall Buchungen entgegengenommen. Bitte alle Kunden an eine andere Dame vermitteln. Delia wird nur auf dem Podest einspringen.»
Emily zeigte keine Gesichtsregung. «Schön», erwiderte sie trocken. «Dann ist es wenigstens nicht leer.» Das war ihr einziger Kommentar.
Beidseits der Theke führten Flure nach hinten, dann links eine Treppe nach unten, rechts eine nach oben. Koos nickte im Vorbeigehen einigen Kunden zu und ihrer Begleitung, allesamt leicht bekleidete Damen, die an der Bar saßen oder in einer der kleinen gemütlichen Sitzgruppen, die im Raum verteilt waren. Delia bewunderte im Stillen die seidigen Stoffe, mit Goldfäden durchwirkt, hauchzart und fast transparent. Die Frauen erschienen ihr viel schöner und wohl proportionierter, als sie sich selbst einschätzte. Ihnen stand diese hauchdünne Kleidung, die ihnen etwas Feenhaftes verlieh und ihre Reize noch besser zur Geltung brachte, als wenn sie völlig nackt gewesen wären.
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