Michael Kotsch
Die Charismatische Bewegung 2
Praxis - Theologie - Geistesgaben
Reihe AUFKLÄRUNG
Band 65
Michael Kotsch
Die Charismatische Bewegung 2Praxis - Theologie - Geistesgaben
1. Auflage 2008
© 2013 Lichtzeichen Verlag, Lage
Umschlag: Manuela Bähr-Janzen
Satz: Gerhard Friesen
ISBN: 9783869549576
Bestell Nr. 548957
E-Book Erstellung: LICHTZEICHEN Medien
www.lichtzeichen-medien.com
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Erlaubnis des Verlegers in irgendeiner Form reproduziert werden.
1. Charismatische Frömmigkeit
1.1. Charismatische Gottesdienste
1.2. Charismatischer Lobpreis
1.3. Charismatische Seelsorge
1.5. Charismatische Leitungsstruktur und geistlicher Missbrauch
2. Charismatische Charismen / Geistesgaben
2.1. Charismatische Geistestaufe
2.2. Charismatische Zungenrede
2.3. Charismatische Prophetie
2.4. Charismatische Heilungen
3. Charismatische Sonderlehren
3.1. Rhema und Logos
3.2. Die Glaubensbewegung
3.3. Gnostische Offenbarungen für Christen
3.4. Der Christ als Gott und der geistliche Tod Jesu
3.5. Glaube an den Glauben statt Glaube an Gott
3.6. Keine Krankheiten - nur noch Symptome
3.7. Reichtum garantiert
4. Die Charismatische Bewegung - ein Resümee
4.1. Positive Herausforderungen durch charismatische Frömmigkeit
4.2. Probleme charismatischer Frömmigkeit
4.3. Umgang mit Charismatikern in der Gemeinde
Literatur
Keine Gruppe der weltweiten Christenheit wuchs in den letzten Jahrzehnten so schnell wie die Charismatische Bewegung (und Pfingstgemeinden). Ihre Lehre betont die neutestamentlichen Gnadengaben Gottes ( Charismata ), insbesondere Zungenrede, Prophetie und Heilung. In ihrer Praxis legen Charismatiker Wert auf Emotionen, geistliche Erfahrungen, die Verbundenheit aller Christen und soziales Engagement. Neben zahlreichen positiven Herausforderungen für jeden Christen haben sich unter dem charismatischen Dach auch unbiblische Anschauungen und Praktiken entwickelt. Gesellschaftlich kann die Charismatische Bewegung als postmoderne Erlebnisreligion bezeichnet werden.
In diesem Buch sollen die besonderen theologischen Überzeugungen der Charismatischen Bewegung vorgestellt und eingeordnet werden. Daneben geht es auch um besondere Aspekte charismatischer Glaubenspraxis. Der Teil biblischer Lehren und praktischen Glaubenslebens, der charismatischen und nichtcharismatischen Christen gemeinsam ist wird an dieser Stelle nicht besprochen.
1. Charismatische Frömmigkeit
1.1. Charismatische Gottesdienste
Orte charismatischer Frömmigkeit sind Gebetskreise, Seminare, Kongresse und vor allem Lobpreisgottesdienste. Charismatische Gebetstreffen bieten dem einfachen Gemeindemitglied durch Singen, Beten, Erfahrungsberichte und gegenseitige Seelsorge Erfahrungen mit dem Heiligen Geist zu machen. Auch spektakuläre Geistesgaben (Zungenrede, Prophetie …) sollen in diesem Rahmen eingeübt werden. In charismatischen Seminaren soll nicht so sehr theoretisches Wissen, sondern eher praktische Erfahrungen mit dem Heiligen Geist vermittelt werden.Solche Seminare bieten einen hohen Erlebniswert und fordern nur eine geringe Verbindlichkeit. Häufig werden konkrete Hilfen und pragmatische Methoden vermittelt, um zusätzliche Erfüllungen mit dem Heiligen Geist zu erfahren oder einzelne Gaben einzuüben. Durch überregionale Kongressewird die theologische und spirituelle Ausrichtung der Bewegung maßgeblich geprägt. Sie sind offene Angebote, ohne tiefere Verpflichtung, durch die öffentlich demonstrierten Geistesgaben haben sie einen hohen Erlebniswert und bieten durch das inszenierte Massenerlebnis eine gute Grundlage zur Identifikation und Selbstbestätigung. In einer überwiegend anonymen Atmosphäre geben sich die Teilnehmer eher ekstatischen und enthusiastischen Gefühlen hin. Charismatische Großkongresse tragen Züge einer Wallfahrt: Von geisterfüllten Rednern erwartet man die Vermittlung einer besonderen Gottesnäheund außergewöhnliche Manifestationen des Heiligen Geistes. Neue Trends und religiöse Ausdrucksformen (Verhaltensweisen, Ausdrücke usw.) werden verstärkt durch Kongresse in die lokalen charismatischen Gruppen vermittelt. 1Die verhältnismäßig junge und stark erlebnisorientierte Charismatische Bewegung bietet vorwiegend Gottesdienste in Alltagssprache, mit einem dynamischen, abwechslungsreich präsentierten Programm und ausgedehntem Musikteil nach jugendlichem Geschmack. Große Bedeutung nimmt in diesen Veranstaltungen das Lob Gottes ein, als Lied, als Chorus, als Sprachengebet oder –gesang, als gesprochener Lobpreis oder als freies Gebet, auch als persönliches Glaubenszeugnis. Konkret soll das Wirken Gottes in der Praktizierung spektakulärer Charismen (Glossolalie, Prophetie, Heilung) erfahren werden. Weder die Predigt noch die Eucharistie (Abendmahl) oder Diakonie stehen im Mittelpunkt des Gottesdienstes, sondern das Wirken des Geistes und das Erleben der Kraft Gottes . Obwohl charismatische Gottesdienste von Lobpreisteams und dominanten Leitern bestimmt werden, haben sie durch die Betonung des gemeinsamen Lobpreises und der Integration gemeindlicher Geistesgaben einen stark demokratischen Zug (allgemeines Priestertum). Wenn auch in der Praxis zumeist nur die Träger spektakulärer Charismen mit der Fähigkeit einer gewissen Selbstinszenierungöffentlich zu Wort kommen. Voraussetzung für die Weitergabe persönlichster geistlicher Erfahrungen und Sehnsüchte, sowie dem körperlichen Ausdruck eigener Gefühle in der Anbetungszeit ist eine gegenseitige Akzeptanz und gegenseitiges Vertrauen. Wobei sich auch in charismatischen Gottesdiensten Stil und Formulierungen der Beiträge standardisieren, und zu neuen spezifisch charismatischen Traditionen führen (tanzen, hüpfen, Hände erheben, Fähnchen schwenken, Zwischenrufe: „Halleluja“, „Gelobt sei Gott“, „Amen“ usw.). Der charismatische Gottesdienst könnte als religiöses Fest bezeichnet werden, in das sich der Besucher mit Leib, Seele und Geist einbringt. Er wird als Ort der Gegenwart Gottes begriffen, als Gegenpol einer materiellen, verstandesmäßig geprägten Realität. Er dient der emotionalen Selbstvergewisserung, der Stillung religiöser Sehnsüchte, dem Ausdruck der im Alltag unterdrückten Gefühle und der geistlichen Aufladung für die Bewältigung der Belastungen des Lebens. 2Katholische Frömmigkeit sieht insbesondere in den Sakramenten (Taufe, Abendmahl, Beichte …) das Wirken Gottes am Gläubigen. Durch die Sakramente wiederum wird der Christ von Gott zu einem frommen Leben befähigt. Reformatorische Theologie sieht das Wirken Gottes vor allem in der Vermittlung des Wortes Gottes. Hier teilt sich Gott dem Christen mit, gibt ihm Anteil an sich selbst und befähigt ihn biblisch zu leben. Zentrum des Glaubens sind die Vergebung der Schuld und die Erkenntnis eines gnädigen Gottes. Charismatische Christen wollen den Heiligen Geist durch Lobpreis Gottes und das gemeinsame Praktizieren der Gnadengaben erfahren. Für den traditionellen Pfingstler ist die mit Zungenreden verbundene Geistestaufe dominierender Zielpunkt des Glaubens. Diese Erfahrung wird selbstvergewissernd im Gottesdienst wiederholt. Die Gegenwart Gottes muss nicht so sehr durch Sakramente oder Bibelbetrachtung erfahren werden, weil das spektakuläre Wirken des Geistes die Zuwendung Gottes eindrücklich zu bestätigen scheint. Auch in der späteren Charismatischen Bewegung treten Bibel, Sakrament und Heiligung hinter das spektakuläre Handeln des Geistes zurück. Grundlage charismatischer Gottesdienste und privater Frömmigkeit sind eigene oder in der Gemeinschaft vermittelte Erfahrungen der
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