1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Ich schluckte mehrmals, während er mich finster anschaute, dennoch versuchte ich mit aller Würde, die ich aufbringen konnte, seinem misstrauischen Blick standzuhalten.
»Scheiß auf dein Geld«, stieß er hervor und spuckte direkt vor mir in den Schnee. »Wir brauchen dein Geld nicht.«
Ohne noch etwas zu sagen, trat er den Rückweg an.
»Aber was ...«, rief ich ihm hinterher, von meiner Verzweiflung angetrieben.
Der Mann blieb auf halbem Wege ruckartig stehen und wirbelte zu mir herum.
»Was wollt ihr dann von mir?«, beendete ich meinen Satz ganz vorsichtig und leise.
Seine tiefbraunen Augen wirkten kalt und hasserfüllt, darum wagte ich es nicht, meine Stimme noch einmal zu erheben.
»Ich könnte eine Dienstmagd gebrauchen«, rief einer der anderen Männer. »Oder eine Braut für meinen Sohn.«
Die übrigen Nordmänner grölten vor Lachen.
»Eine Braut?«, echote der Mann, mit dem ich eben noch zu verhandeln versucht hatte. Dabei wurden seine Augen zuerst riesengroß, dann zog er die Brauen finster zusammen.
»Du würdest Matalo ernsthaft eine Südtochter ins Bett legen?«, fragte er den alten Mann.
Ich konnte den Ekel aus seinen Worten heraushören, den er für mich empfand.
»Vorher würde ich mich über die Klippen stürzen, das versichere ich dir«, schwor dieser mit eiskalter Stimme.
»Und ich würde freiwillig hinterher springen«, warf ein anderer ein.
Alle lachten über mich, laut und schamlos, während mir der Nordmann nun endgültig den Rücken zudrehte und sich zügig entfernte.
Mit zusammengepressten Lippen ballte ich die Fäuste. Die Schmach, die mir soeben zuteilgeworden war, wog schwer. Ich fühlte mich in meinem Stolz verletzt – und gedemütigt.
Ob ich den Titel nun mochte oder ablehnte, es gab Dinge, die waren in Stein gemeißelt: Niemand durfte sich über die Tochter einer Vorsteherin lustig machen.
Mein angeknackstes Selbstbewusstsein blendete die gefährlichen Tatsachen komplett aus. Ich wusste genau, wen ich vor mir hatte und auch, wozu sie in der Lage waren. Doch das war mir in diesem Moment völlig egal.
»Du könntest dich glücklich schätzen eine Südtochter als Frau zu bekommen«, rief ich dem Nordmann wutentbrannt hinterher. »Aber wer will schon solch ein Monster als Ehemann haben? So etwas Widerliches wie dich würde keine von uns anfassen. Du bist nicht besser als die dreckigen Schweine meines Vaters hinter unserem Haus.«
Schon kurz nachdem die Worte meinen Mund verlassen hatten, bereute ich jede einzelne Silbe davon. In meiner Position war es äußerst unklug gewesen solche Bemerkungen zu machen.
Während ich erschrocken den Kopf einzog, sprang der Mann, der sich gerade erst hingesetzt hatte, ruckartig wieder auf. Geradewegs kam er auf mich zu, mit hastigen Schritten und Augen, die vor Wut beinahe Funken sprühten.
Er sagte nichts, nicht ein einziges Wort. Trotzdem rutschte mir das Herz vor Angst förmlich in die Hose, weil ich genau wusste, dass ich zu weit gegangen war.
Kurz bevor er mich erreicht hatte, bremste er ab.
Mit angehaltenem Atem schaute ich vorsichtig zu ihm hoch. Es folgte plötzlich ein beißender Schmerz von unvorstellbarem Ausmaß. Mein Kopf flog zur Seite.
Durch die Wucht seines Schlages wurde ich rücklings in den Schnee geschleudert. Meine Schläfen hämmerten, der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen.
Indem ich mich mühevoll auf die Knie zwang, versuchte ich mich aufzurichten und bemerkte die Blutlache direkt vor meinen aufgestützten Handballen im Schnee. Es tropfte unaufhörlich aus meinem Mund.
Ganz vorsichtig setzte ich mich in den Schnee und betastete mit gefesselten Händen meine aufgeplatzte Unterlippe. Bedingt durch die Wucht seines Schlages, hatte ich mir zudem auch noch auf die Zunge gebissen. Mein Kopf wollte mir zerspringen, augenblicklich wurde mir schwindlig.
»War das wirklich nötig?«, hörte ich einen anderen Nordmann fragen. Seine Stimme klang fast ein bisschen besorgt und ein peinlich berührtes Schweigen breitete sich unter den Männern aus, die eben noch über mich gelacht hatten.
»Ja, das war nötig«, erwiderte der Mann, dem ich diese heftige Ohrfeige zu verdanken hatte. »Dieses arrogante Gör versteht ganz offensichtlich keine andere Sprache.«
Tief in mir drinnen begann es zu brodeln.
Mutter wird dich dafür auspeitschen lassen, fuhr es mir durch den Kopf, vor allen Dorfbewohnern, mitten auf dem Marktplatz. Und ich werde danebenstehen und die Schläge zählen.
Eins. Zwei. Drei…
Ich spürte, wie sich meine Lippen teilten und die Worte formten, die sich in meiner Kehle sammelten. Doch diesmal war ich klug genug, um den Mund zu halten, denn einen weiteren Schlag wollte ich nicht riskieren. Also schluckte ich meinen Ärger hinunter und versuchte stattdessen, mich auf die Schmerzen zu konzentrieren.
Nachdem ich einen weiteren Schwall Blut in den Schnee gespuckt hatte, stellte ich erleichtert fest, dass keines mehr nachkam.
»Wir müssen weiter«, forderte einer der Männer unvermittelt.
Schweigend wurde zusammengepackt. Ein paar Männer beluden kleine Karren mit Fell und Fleisch, andere trugen riesige Berge Proviant auf ihren Rücken.
Ich kauerte im Schnee, halb sitzend, halb liegend, weil ich mir nicht sicher war, ob ich doch noch das Bewusstsein verlieren würde. Das Bild vor meinen Augen drohte zu verschwimmen.
Ruckartig wurde ich auf die Beine gezerrt.
»Beweg dich«, kommandierte der Schläger, indem er mich an der Schulter packte und vorwärtsdrängte.
Mühevoll versuchte ich, nicht gleich wieder umzukippen, was sich jedoch als ziemlich schwierig erwies. Meine Knie zitterten und ich wankte.
»Die macht uns nur Probleme«, brummte ein weiterer Mann, der zu uns aufholte.
Anhand der unzähligen Falten um seine Augen herum, schätzte ich ihn auf sechzig bis siebzig Sommer.
»Lass sie hier«, murrte er und schob sich an uns vorbei. »Das ist unnötiger Ballast, so kommen wir nie an.«
Vor Schreck blieb mir fast die Luft weg. Mich hierlassen? Alleine in der Wildnis? Großer Lichtgott, das durfte nicht geschehen, dann wäre ich verloren!
»Wenn es nach mir geht, kann sie hier verrecken«, gab mein Peiniger zurück und machte Anstalten, mich stehenzulassen.
»Es geht aber nicht nach dir«, mischte sich der ältere Nordmann ein, dem ich meine allererste Ohrfeige verdankte.
»Sie kommt mit uns. Ende der Diskussion.«
Ich wurde angetrieben, vorwärts geschoben und unsanft in Richtung Wald dirigiert.
Der Weg durch den kniehohen Schnee war beschwerlich, ich stolperte immer wieder und fiel hin. Meine Halbschuhe boten wenig Schutz gegen den Schnee, nach wenigen Schritten waren meine Socken triefend nass. Doch die Männer hatten kein Erbarmen mit mir. Ungeduldig zerrten sie mich jedes Mal wieder auf die Füße. Inzwischen zitterte ich am ganzen Leib. Die eisige Kälte, die sich durch meine Sachen wühlte, wurde von Atemzug zu Atemzug schlimmer. Meine Zähne schlugen schmerzhaft aufeinander, während ich versuchte mit den anderen Schritt zu halten. Meine Beine wurden schwer wie Blei.
Dann, nach einem Fußmarsch, der wahrscheinlich nur wenige Zeit angedauert hatte, mir aber wie eine Ewigkeit vorgekommen war, erreichten wir endlich den Wald. Dunkel und bedrohlich ragten die Bäume vor mir in den Himmel.
»Nicht stehen bleiben«, kommandierte einer der Nordmänner und schubste mich.
Nur sehr widerwillig folgte ich der Gruppe in den Wald, was mir einen weiteren, diesmal viel kräftigeren Stoß einbrachte. Ich kam ins straucheln und landete bäuchlings im Schnee. Mühsam rappelte ich mich auf und stolperte vorwärts.
Zwischen den Bäumen lag der Schnee nicht einmal annähernd so hoch wie auf der Lichtung. Trotzdem hatte ich noch immer Mühe, schnell genug zu folgen. Immer wieder stolperte ich oder kam ins Rutschen.
Читать дальше