Sie sprang vom Bett und schaffte es zum Badezimmer, wo sie prompt den mickrigen Inhalt ihres Magens verlor. Es war tagein, tagaus dasselbe, seit, wie es schien, einer Ewigkeit. Sie war durch endlosen Kummer zerstört worden, war kaum in der Lage zu funktionieren.
Schlaf war ein Ding der Vergangenheit, unterbrochen von ihren Alpträumen. Mit den dunklen Ringen unter ihren Augen konnte sie leben, aber die konfuse Erinnerung und Reizbarkeit waren eine andere Geschichte. Sie lebte von Energydrinks und Süßigkeiten. Sie konnte sich nicht an das letzte Mal erinnern, wann sie eine ganze Mahlzeit verzehrt hatte, weil der Kummer eine Sperre in ihrer Kehle errichtete. Mit den schwarzen Flecken unter ihren Augen und ihrem Gewichtsverlust sah sie aus wie ein Zombie. Hölle, sie fühlte sich auch wie einer.
Sie wischte sich ihren Mund ab, nachdem ihre Magenkrämpfe aufhörten, spülte die Toilette und betete zum millionsten Mal für eine magische Pille, die den Schmerz wegnehmen würde. Leider war die Wissenschaft damit nicht auf ihrer Seite.
Nachdem sie ihr Gesicht gewaschen und sich die Zähne geputzt hat, sah sie nach ihrer Schwester. Zeit Elsies Lebens hatte Cailyn immer sichergestellt, dass sie sicher war und hatte, was sie brauchte. Obwohl sie zwei Staaten entfernt lebte, war das jetzt mit ihren täglichen Anrufen und zweimonatlichen Besuchen nicht anders. Cailyn war die einzige Familie, die ihr blieb, und ihr rettendes Element. Sie liebte sie mehr als alles andere.
Glücklicherweise hatte ihre Schwester sie nicht im Bad gehört und schlief noch. Sie brauchte oder wollte keinen weiteren Vortrag über ihre mangelnde Nahrungsaufnahme und ihren Gewichtsverlust.
Leise schnappte sie ihren Morgenmantel von der Rückseite ihrer Schlafzimmertür und machte sich ins Wohnzimmer auf. Sie hielt zuerst in der Küche für einen Energydrink an, bevor sie sich auf den Futon plumpsen ließ, der den doppelten Zweck ihres Sofas und Extrabetts erfüllte. Sie öffnete das Stärkungsmittel und schnappte ihren Laptop. Sie musste die abschließenden Feinheiten an einem Aufsatz machen, bevor sie diesen am Montag einreichte. Während sie darauf wartete, dass ihr Laptop hochfuhr, ergriff sie ihren Tagesplaner und schaute auf ihren Arbeitsplan. Damit sie ihr Apartment behalten konnte, machte sie Extraschichten, um den Einkommensverlust auszugleichen. Die Wahrheit war, dass sie ihre Aktivitäten als Ablenkung vom erdrückenden Kummer benutzte.
Ihr Kopf plumpste nach hinten auf den Futon und sie starrte auf die farbenfrohen mexikanischen Decken, die als eine der Erinnerungen an ihr Leben mit Dalton dienten. Das Wohnzimmer war klein, aber gemütlich. Und es war noch immer gefüllt mit Erinnerungen an ihr Leben mit ihrem verstorbenen Ehemann. Sie konnte es einfach nicht ertragen sich von den Andenken zu trennen. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Würde sie jemals frei sein?
[bad img format]
* * *
Elsie kauerte sich in ihren schwarzen Mantel und schlang ihren Schal enger um sich, als eine Brise den Weg ihren Rücken herunter fand. Es war zu dieser Zeit des Jahres verdammt kalt in Seattle. Es war auch beinahe immer nass dort. Die vielen Bäume in den Vierteln hätten den Wind einschränken sollen. Oder sogar die eng aneinander gebauten Häuser. Unglücklicherweise tat keines davon etwas, um die Kälte, die in ihre Knochen sickerte, zu verringern.
Zitternd stellte sie den Kragen auf und zog ihre pinke Beanie über ihre Ohren. Es war eiskalt und, um dem Elend beizutragen, hatte es zu nieseln begonnen. Frühling sollte nicht so kalt sein. Aber sie würde weiter nach Süden ziehen müssen, um wärmeres Wetter zu bekommen.
»Lass uns einen Burrito fürs Abendessen holen, da ich weiß, dass dein Kühlschrank leer ist. Du musst wirklich zumindest eine Mahlzeit am Tag zu dir nehmen«, sagte Cailyn, während sie ihren Arm durch Elsies flocht und sie die Straße hinab gingen.
»Ich versuche doch zu essen, weißt du. Ich kriege nur nichts herunter. Und bevor du mir auf die Muttertour kommst, werde ich es versuchen«, erwiderte Elsie, dachte über einen Regenschirm nach, um sie beide zu bedecken. Seit sie in Seattle lebte, wo es konstant zu regnen schien, hatte sie sich daran gewöhnt so klamm zu sein wie der Rest der Stadt.
Sie eilten die Straße herunter und sprachen über die Arbeiten, die Elsie noch blieben, bevor sie nächsten Monat ihren Collegeabschluss machte. Seit Daltons Tod war die Zeit langsam vergangen und sie konnte noch immer nicht glauben, dass ihr Bachelorabschluss in Reichweite war. Sie wollte heute nicht wieder in Erinnerungen schwelgen und konzentrierte sich auf das Fast-Food-Restaurant. Cailyn hielt ihr die Tür auf und sie gingen hinein. Warme, fettige, nach Kreuzkümmel duftende Luft traf sie, als sie das Geschäft betraten. Ihr Magen knurrte. Sie war hungriger, als sie bemerkt hatte. Sie zog ihre Jacke aus und schüttelte die Feuchtigkeit ab, drehte sich dann, um die Speisekarte zu betrachten.
Cailyn lehnte sich zu ihr hin und ihr warmer Atem traf auf ihre Wange, während sie ihr ins Ohr flüsterte: »El, deine Fernlichter sind an und da drüben sind zwei umwerfende Typen, die das bemerkt haben.«
Hitze überzog Elsies Wangen. Sie hatte einen ungefütterten BH an und er bot keinen Schutz unter ihrem hautengen Henley Shirt. »Oh Gott, und ich bestehe auch hauptsächlich aus Nippel«, flüsterte sie zurück.
»Da hast du nicht Unrecht, Schwesterherz. Heißt aber nicht, dass sie die Show nicht genießen.«
Ein tiefes maskulines Stöhnen ließ Elsies Schamesröte stärker werden. Sie blickte aus ihrem Augenwinkel und entdeckte eine schlanke Taille, umhüllt von einer engen, schwarzen Lederhose. Durch eine unbekannte Kraft kontrolliert, wurde sie von dem Anblick angezogen und drehte sich, um den Mann vollständiger wahrzunehmen.
Ihre Augen folgten den Muskelsträngen seinen Bauch und die breite Brust hoch, verschränkten sich mit den blauesten Augen, die sie jemals gesehen hatte. Elektrischer Strom floss unter ihrer Haut, während er sie mit seinem Blick verschlang, so als ob sie eine Gourmetmahlzeit war, die er auszukosten beabsichtigte, langsam und gründlich. Ihr Magen verkrampfte sich vor Verlangen. Seine vollen Lippen verzogen sich zu einer erotischen Grimasse. Er war der sexyste Mann, den sie jemals gesehen hatte.
Ein unerträglicher Schmerz erblühte in ihrem Kern, gefolgt von einem seltsamen Ziehen. Sie wollte sexuelle Akte mit diesem Mann durchführen, die in manchen Staaten illegal wären. Ein schamloser Lustmolch war gerade aufgewacht, wollte diesen seltsamen, sinnlichen Mann und es war eindeutig beunruhigend. Sie war entsetzt.
Ein merkwürdiges Flattern und Schmerz in ihrer Brust nahm ihr den Atem, als Schuld sie überfiel. Sie sollte diese Gedanken nicht haben. In ihrem Verstand und Herz war Dalton noch immer ihr Ehemann und sie betrog ihn mit diesen Trieben. Sie hatte Gelübde abgelegt treu zu sein und ihren Ehemann zu lieben, bis zu dem Tag, an dem sie starb, und das würde sie auch tun. Bei der Art und Weise, wie ihr Herz schmerzte und sie Dalton vermisste, konnte sie sich nicht vorstellen, dass da jemals jemand anderes für sie wäre.
Sie senkte ihren Kopf und rieb sich die Schläfen, hoffte das Bild, das sich in ihre Netzhaut gebrannt hatte, auszulöschen. Es war nicht richtig diesen heißen Typen zu beäugen. Durcheinandergebracht zog sie ihre Jacke wieder an und rauschte an die Theke. Sie sprudelte eine Bestellung über nur Gott wusste welches Essen heraus. Sie riskierte einen Blick zurück zu ihrer Schwester. Cailyn nahm glücklicherweise ihre Begierde nach Mr. Blaue Augen nicht wahr. Das Letzte, was sie wollte, war, dass ihre Schwester sie ausfragte.
»Jemand hat einen Bewunderer«, sang Cailyn halbwegs und stieß mit ihrer Schulter gegen Elsies.
»Halt die Klappe. Habe ich nicht«, zischte Elsie vor sich hin.
»Du warst zu lange weg vom Fenster. Er hat definitiv ein Auge auf dich.« Elsie biss die Zähne zusammen, während sie Cailyn zuhörte.
Читать дальше