Christopher Ecker - Andere Häfen

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Neue Erzählungen – Christopher Ecker macht es kurz Bergleute verschwinden spurlos in einem Harzer Silberbergwerk; jemand entdeckt nach der Wohnungsauflösung des ­Elternhauses ein Polaroid-Foto, das sein Leben auf den Kopf stellt; ein Aufenthalt in Paris verwandelt die Stadt in ein unlösbares Rätsel; eine Familie geht einkaufen, doch der Supermarkt erweist sich als Welt, aus der es kein Entkommen gibt … In 87 Erzählungen zeigt Christopher Ecker, wie ein Autor heutzutage schreiben kann und muss. »Andere Häfen« ist ein umfassendes Kompendium der Stile und Ideen – zum Staunen, zum Erschrecken, zum Genießen. Eine Feier des reflektierten Erzählens, das in sich selber ruht und zugleich aus sich selbst heraus explodiert. In Konsequenz, Ideenreichtum und enzyklopädischem Anspruch erweist sich »Andere Häfen« vielleicht als Christopher Eckers innovativstes Buch, das seinem Tausendseiter »Fahlmann« und seinem nihilistischen Rundumschlag »Der Bahnhof von Plön« mindestens ebenbürtig ist.

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CHRISTOPHER ECKER

ANDERE HÄFEN mitteldeutscher verlag INHALT Cover Titel CHRISTOPHER - фото 1

ANDERE HÄFEN

mitteldeutscher verlag

INHALT

Cover

Titel CHRISTOPHER ECKER ANDERE HÄFEN mitteldeutscher verlag

Impressum

Zum Geleit ZUM GELEIT Das Badezimmerfenster war geschlossen. Er schüttelte amüsiert den Kopf. Natürlich war es geschlossen. Das hatte er eben doch schon kontrolliert. Der Geldbeutel steckte in der Gesäßtasche, das Handy in der Jackentasche, den Schlüssel hielt er in der Hand. Wasserkocher? Ausgeschaltet. Herd? Alles bestens. Wasserhahn in der Küche? Alles bestens. Er ging zurück ins Badezimmer: Fenster zu, Wasser aus, alles bestens. Wieso auch nicht? Das hatte er doch schon kontrolliert. Licht im Arbeitszimmer: aus, Computer: aus, Stereoanlage: aus. Er war für alles allein verantwortlich, da sie mit dem Kleinen zu ihren Eltern gezogen war. Er betrachtete sich im Badezimmerspiegel, versuchte sich an einem Lächeln, schnitt eine Grimasse, griff nach Geldbeutel und Handy, alles bestens. Er öffnete die Haustür, zog sie hinter sich zu, sperrte ab, prüfte zwei Mal, ob sie auch wirklich verschlossen war, sperrte wieder auf und ging ins Badezimmer. Er war für alles allein verantwortlich. Das stimmte. Der Herd war ausgeschaltet, er berührte sicherheitshalber die Platten, alle kalt, der Stecker des Wasserkochers war gezogen, er berührte ihn, alles bestens. Aber dass sie mit dem Kleinen zu ihren Eltern gezogen war, stimmte nicht. Er schaltete das Licht im Badezimmer an, nickte ernst und schaltete es wieder aus. Herzlich willkommen in meinem Erzählungsband Andere Häfen ! Ich freue mich sehr, Sie an Bord zu wissen. Inhaltsverzeichnis ist hinten, auf Zitate wird nicht gesondert hingewiesen, der Stecker des Wasserkochers ist gezogen, der Herd ist aus – fangen wir an!

Auf dem Boden

Für ein Lesebuch der Oberstufe

Als wer wir erwachen

Andere Häfen

Zwei Kätzchen

Kühles Glas

Das Museum zu Knossos

Magst du mich?

Das Auge der Sphinx

Die erste Geschichte

Im Keller des Uhrmachers

Vom Fagaröm

Auf glühenden Kohlen

Die letzten Jahre

Wir waren zum Abendessen eingeladen

Wieso ich überlebte

Die dritte Katze

Rückkehr zur Erde

Südwärts

In dunklen Brauntönen

Ochsengalle

Spiele und Türen

Dosenwerfen für Terra

Böhmische Gärten, abgeschminkte Clowns

Der Brennende Berg

Erfolg und Trost

Abschied

Mein bester Trick

Das Schild

Gebäude

Allerhöchste Eisenbahn

Der leere Spiegel

Fremdkontakt

Unter Wasser

Zugelaufen

Die Planke

Die Reparatur

Die Tür

Zitronenarm

Die Vermählung

Der Schacht

Die Wege

Im Treppenhaus

Die Krankheit

Letzte Durchsage

Schneebedeckte Sonnenuhren

Das eigentliche Erbe

Einen See zuschaufeln

Jenseits

Die Überkopf-Welt

Die Wand des Gästezimmers

Geistergerätschaften

Verlorenheit

Das Ende

Die nächste Nachricht

Die Meisen Alaskas

Existentialismus im Bilderbuch

Das Wesen der Buddha-Natur

Die letzte Seite der Geschichte

Vom Teilen der Beute

Wartet auf das Hermelin!

Vor der Versammlung

Le Cercle Rouge

Ashley

Bauopfer

Schokoladeneis

Alles zu Capgras

Morgen ist ein neuer Tag

Du in den Katakomben von Malta

Südamerika

Reste

Vom Trichter

Keine Geschichte

Die Viper

Doktor Cotard

Blutwurst aus Eigenblut

Invasionen

Die Kluft

Beinfrauen

Armrudernd am Zeilenende

Die Zukunft Böhmens

Geheimnisse und Zusammenhänge

Alte Blinde

Pregasina 1974

Raum und Werk

Ave atque vale

Pressestimmen

ZUM GELEIT

Das Badezimmerfenster war geschlossen. Er schüttelte amüsiert den Kopf. Natürlich war es geschlossen. Das hatte er eben doch schon kontrolliert. Der Geldbeutel steckte in der Gesäßtasche, das Handy in der Jackentasche, den Schlüssel hielt er in der Hand. Wasserkocher? Ausgeschaltet. Herd? Alles bestens. Wasserhahn in der Küche? Alles bestens. Er ging zurück ins Badezimmer: Fenster zu, Wasser aus, alles bestens. Wieso auch nicht? Das hatte er doch schon kontrolliert. Licht im Arbeitszimmer: aus, Computer: aus, Stereoanlage: aus. Er war für alles allein verantwortlich, da sie mit dem Kleinen zu ihren Eltern gezogen war. Er betrachtete sich im Badezimmerspiegel, versuchte sich an einem Lächeln, schnitt eine Grimasse, griff nach Geldbeutel und Handy, alles bestens. Er öffnete die Haustür, zog sie hinter sich zu, sperrte ab, prüfte zwei Mal, ob sie auch wirklich verschlossen war, sperrte wieder auf und ging ins Badezimmer. Er war für alles allein verantwortlich. Das stimmte. Der Herd war ausgeschaltet, er berührte sicherheitshalber die Platten, alle kalt, der Stecker des Wasserkochers war gezogen, er berührte ihn, alles bestens. Aber dass sie mit dem Kleinen zu ihren Eltern gezogen war, stimmte nicht. Er schaltete das Licht im Badezimmer an, nickte ernst und schaltete es wieder aus. Herzlich willkommen in meinem Erzählungsband Andere Häfen ! Ich freue mich sehr, Sie an Bord zu wissen. Inhaltsverzeichnis ist hinten, auf Zitate wird nicht gesondert hingewiesen, der Stecker des Wasserkochers ist gezogen, der Herd ist aus – fangen wir an!

AUF DEM BODEN

Die Wohnungsabnahme nahm kein Ende. Unser Hund hatte sich auf den Balkon geflüchtet, wo er hechelnd in der Sonne lag, während sich die Wohnung von Minute zu Minute mehr mit Menschen füllte. Es waren bereits ein gutes Dutzend Vermieter anwesend und es trafen unaufhörlich weitere ein, wie mir meine Frau, die mit einem Tablett voller Häppchen verloren in der Menge stand, in einem Moment der Panik zuflüsterte. Bald war kein Durchkommen mehr möglich.

„Meine Herren“, versuchte ich mir Gehör zu verschaffen, „die Lackierung des Heizkörpers war schon beim Einzug schadhaft.“

Niemand beachtete mich. Soeben war ein neuer Schwung Vermieter eingetroffen und wurde von den Anwesenden, es mussten inzwischen mindestens fünfzig oder sechzig sein, lautstark begrüßt.

„Meine Herren“, rief ich, „der Spiegelschrank im Badezimmer …“

Jemand rempelte mich an, ich fuhr herum und sah, während ich mich bemühte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, den Arm meiner Frau mitsamt dem Tablett aus dem Leibermeer ragen. Der hochgereckte Arm zitterte, das Tablett neigte sich bedenklich in die Schräge, wieder wurde ich angerempelt. Diesmal von vorn. „Sie stehen uns im Weg“, sagten mehrere Vermieter im Chor. „Machen Sie Platz! Da ist eine Dame, die uns mit Schnittchen milde zu stimmen versucht. Doch uns milde stimmen zu wollen, ist sinnlos. Es bleibt unübersehbar: Die Wohnung ist in einem katastrophalen Zustand!“

Ich öffnete den Mund, um zu einer Rechtfertigung anzusetzen, doch da nahm mir ein klein gewachsener Herr den Mietvertrag aus der Hand und verschwand damit übertrieben armrudernd in der Menge, wo sich eine schmale Gasse geöffnet hatte, die sich hinter ihm wieder schloss wie ein aufrecht stehendes Lippenpaar. Im Gänsemarsch drängten Neuankömmlinge in die Wohnung. Man begrüßte sie mit Jubelrufen. Hände wurden geschüttelt, Schultern wurden beklopft. Um dem nicht abreißenden Strom der Neuankömmlinge Platz in der bis zum Bersten überfüllten Wohnung zu schaffen, wurden an den merkwürdigsten Stellen Türen zu Räumen geöffnet, die ich nie zuvor gesehen hatte. Jemand hielt meinen Kopf eine Weile von hinten fest, aber aus den Augenwinkeln sah ich, wie ein Vermieter auf den Rücken eines anderen kletterte, knapp unter der Decke die Tapete löste und ein rechteckiges Loch in der Wand freilegte, worin mehrere mit bräunlicher Flüssigkeit gefüllte Gläser standen.

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