In Sachen Gradište ging es dann allerdings nicht so schnell voran, wie von Reiswitz und Unverzagt erwartet. Am 28.01.1930 wurde das Vorhaben dem „Engeren Ausschuss“ des DAI vorgestellt. Bei der Sitzung war auch Rodenwaldt zugegen. Lediglich unter „Verschiedenes“ im Protokoll, unter Punkt 4, heißt es: „Serbische Ausgrabungserlaubnis in Gradište bei Trebenište. Vorexpedition Unverzagts. … Verständigung zwischen Athen u. Konstantinopel über Abgrenzung der Balkanbeziehungen geboten, desgl. mit Herrn Unverzagt.“ 417
Warum genau es im Jahre 1930 nicht zu der Probegrabung kam, ist nicht eindeutig nachvollziehbar. Die im Privatnachlass zu den Ohridgrabungen befindliche und von Reiswitz chronologisch durchnummerierte Korrespondenz beginnt mit der Seite 11 (04.05.20) und endet vorläufig mit der Seite 23 (22.12.29). Dann klafft eine Lücke in der Überlieferung. Es geht weiter mit Seite 59 (22.03.31) bis 141 (28.07.32). In seiner handschriftlichen Übersicht des Ohridengagements von 1928–1930 meinte Reiswitz, dass sich zunächst die Vertragsunterzeichnung verzögert habe wegen „Bummelei“ des Auswärtigen Amtes und „Unverzagts Reise nach Algier“. Dennoch kann klar von einem Erfolg der Bemühungen von Reiswitz gesprochen werden, dem es binnen kurzer Zeit gelungen war, das DAI und das Belgrader Nationalmuseum zum Abschluss eines bilateralen Grabungsvertrages zu mobilisieren.
3.2. Die Gesellschaft zum Schutz der Altertümer
Reiswitz lebte dann aber 1930 doch nicht ganz so „still“, wie er es Petković gegenüber angedeutet hatte. Am 08.04.30 erschien ein Artikel in „Vreme“ unter dem Titel „Die Gründung der Gesellschaft der Freunde der Altertümer hat auch im Ausland Interesse hervorgerufen“ („Osnivanje ‘Društva prijatelja starina’ izazvalo interesovanje i u inostranstvu“). Dort wird im Wortlaut der Inhalt eines Briefes von Reiswitz an Petković wiedergegeben, in welchem sich ersterer nach Lektüre eines „Vreme“-Artikels erkundigt, ob auch Deutsche Mitglied der Gesellschaft werden können. Reiswitz wird vom Verfasser des Artikels als „deutscher Archäologe“ vorgestellt, der „sich für unsere mittelalterliche Kunst interessiert und der ganze sechs Monate in Ohrid zugebracht hat“. Der Hinweis auf sein Interesse an der mittelalterlichen Kunst lässt sich auf die Bogumilen beziehen, hinsichtlich des sechsmonatigen Ohridaufenthaltes ist es seitens des Schreibers wahrscheinlich zu einer Verwechslung mit Reiswitz’ Gesamtaufenthalt in Jugoslawien im Jahre 1928 gekommen. Am Ende des zweispaltigen Textes wird Reiswitz noch als „großer Freund“ bezeichnet und als „entschlossener Kämpfer für jugoslawisch-deutsche Annäherung“. 418
Es war sicherlich kein Zufall, dass „Vreme“ den privaten Brief von Reiswitz an Petković im Wortlaut veröffenlichte. Zwei Monate vorher, am 09.02.30, hatte in den Redaktionsräumen dieser Zeitung eine Versammlung von Freunden des Denkmalschutzes stattgefunden, über welche „Vreme“ ausführlichst und in großer Aufmachung auf der Titelseite und Seite drei berichtete. Zum Versammlungsleiter wurde der Juraprofessor Dragoljub Aranđelović (1873–1950) gewählt. Er hob hervor, dass besonders die mittelalterlichen Kunstschätze des Landes der Zerstörung anheimzufallen drohen. Es enstpann sich dann eine Diskussion darüber, wer für die drohende Vernichtung des Kulturerbes verantwortlich sei. Für viele der Redner war die orthodoxe Kirche der Hauptschuldige, die sich nicht für die Erhaltung alter Fresken oder Mosaiken in ihren Liegenschaften interessiere. Im Zentrum der Kritik stand der Ohrider Bischof Nikolaj, welcher besonders von Stanislav Krakov (1895–1968), der zu diesem Zeitpunkt der Chefredakteur von „Vreme“ war, angegriffen wurde. Vor einigen Jahren habe ihm Nikolaj in Ohrid erläutert, dass er beabsichtige die Kirche Sv. Sofija durch russische Maler in Ölfarbe neu anstreichen lassen zu wollen. Krakov sei entsetzt gewesen und habe den Bischof daran erinnert, dass dadurch die wertvollen Fresken im Innenraum ausgelöscht würden. Doch Nikolaj sei ungerührt geblieben und hätte hinzugefügt, dass die Gemeindemitglieder „eine schöne, helle, neue Kirche“ sehen wollten und dass „alte Fresken, die schon seit langer Zeit beschädigt seien“ keinen guten Eindruck hinterließen.
Auch der Geschichtsprofessor Viktor Novak (1889–1977) griff die Kirche und ihr mangelndes Interesse an der Denkmalpflege an – allerdings war seiner Ansicht nach die katholische ebenso schuldig wie die orthodoxe. Er wies darauf hin, dass in Agram bereits auf Anregung des Führers der südslawisch-illyrischen Bewegung, Ivan Kukuljević Sakcinskis (1816–1889), im Jahre 1850 eine „Gesellschaft zum Schutz der Altertümer“ – gemeint war die „Družtvo za povestnicu jugoslavensku“ – gegründet worden sei.
Zur Verteidigung der orthodoxen Kirche brachte ein Militärgeistlicher namens Božidar Lukić vor, dass er wisse, dass einige der Anwesenden sich selbst durch den Verkauf von Ikonen ins Ausland bereicherten. Die Kirche akzeptiere gerne Hilfe, aber wolle sich nicht auf der Anklagebank sehen. Auch der ehemalige Religionsminister und Parlamentsabgeordnete, der promovierte Theologe Dr. Vojislav Ranić (1889–1944), welcher 1921 in englischer Sprache eine Hagiographie serbischer Heiliger herausgebracht hatte 419, nahm den Anwesenden gegenüber die Kirche in Schutz. Diese habe als Instititution bis 1912 gänzlich dem Kultusministerium unterstanden, also keinen eigenständigen Handlungsspielraum in Sachen Denkmalschutz gehabt. Seither aber genieße sie rechtliche Autonomie, und die Kirchenleitung sei durchaus willens, ein dem Patriarchat zuarbeitendes Gremium bestehend aus der neuzugründenden Gesellschaft zu akzeptieren, ohne dessen Anhörung keine baulichen Veränderungen in den orthodoxen Klöstern erfolgen würden. Voraussetzung sei allerdings eine einvernehmliche Zusammenarbeit. Dieser Ansicht schloß sich am Ende auch Aranđelović an, der in seinem Schlusswort betonte, dass man keinen Krieg mit der Kirche wünsche.
Die auf der Versammlung konkret gemachten Vorschläge zur Förderung der Denkmalpflege in Jugoslawien waren vielfältig. Der ebenfalls anwesende Direktor des Nationalmuseums, Petković, riet, dass man vor allem flächendeckend Lehrer mobilisieren sollte, die dann Meldung machen sollten an die Zentrale der zu gründenden „Gesellschaft der Freunde der Altertümer“. Er wollte generell Priester als Freiwillige vor Ort ausschließen, während dies Branko Popović (1882–1944), Professor für Architekturgeschichte an der Technischen Fakultät in Belgrad, durchaus befürwortete. Novak war für die Einbeziehung von Priestern, Lehrern und Professoren als ehrenamtliche Helfer, zudem müssten Konservatoren geschult werden und eine parallel zur Regierung arbeitende Instititution geschaffen werden mit beratender Funktion. Dies wiederum ging Popović nicht weit genug, der ein Institut für Denkmalpflege mit weitreichenderen Vollmachten forderte, welches auch als Kontrollinstanz fungieren sollte, nur aus Fachleuten bestehend. Dieses sollte dann eine „künstlerische Topographie“ des gesamten Landes erarbeiten, von lokalen „Stationen“ zusammengestellt. Die finanziellen Mittel müssten vom Staat und der Kirche bereitgestellt werden. Der frischgebackene Direktor des vom Prinzen Paul von Jugoslawien eingerichteten Museums für zeitgenössische Kunst, welches sich im Konak Knegine Ljubice befand, Milan Kašanin (1895–1981), der 1928 seine Doktorarbeit bei Petković verteidigt hatte, forderte ein Denkmalschutzgesetz. Dafür sollte sich die neue Gesellschaft einsetzen, 50.000 Mitglieder anwerben, eine Zeitschrift ins Leben rufen und ein Forschungs- und Ausbildungsinstitut für Restauratoren aus der Taufe heben, zudem in den Schulen Werbung für die Denkmalspflege betreiben und eine Kommission schaffen, die Denkmäler vor Ort auf ihre Schutzbedürftigkeit untersucht. Nach der Abfassung eines Grußtelegramms an den König wurde eine Kommission zur Ausarbeitung der Satzung der neuen Gesellschaft bestimmt. Dieser gehörten neben zwölf weiteren Mitgliedern auch Vladimir Ćorović, Stanoje Stanojević 420und Vladimir Petković an, mit denen Reiswitz bereits bekannt war. Ein weiteres Kommissionsmitglied war der Architekt Aleksandar Deroko (1894–1988), welcher ab 1941 von Reiswitz für den Kunstschutz geworben werden sollte.
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