Wenn ein ganzer Stamm gewendet werden muss, rufe ich alle Männer, und dann wird ordentlich geschwitzt. Bei solchen gefährlichen Arbeiten stellt sich schnell heraus, wer ein Drückeberger und Angsthase ist. Wenn zwei von fünf Männern plötzlich loslassen und ihre Wendehaken lösen, dann werden die drei Übriggebliebenen erdrückt, denn wenn man einen Stiel auf der Schulter hat, auf dem ein Gewicht von ungefähr einhundertfünfzig Kilo liegt, dann kommt man darunter nicht mehr weg: Der Stamm muss sich drehen, wenn nicht … Pech gehabt. Keine hektischen Bewegungen, außerdem sollte man es nicht verbocken, wenn man sagt: »Ich hab’ ihn«, und so schnell wie möglich wieder unter den Stamm kommen, wenn ihn die Kollegen auf der Schulter haben.
Jules traue ich kein bisschen: Er hat Angst, sich zu verletzen, also tut er nur so, als würde er stemmen. Wenn wir das Rundholz auseinanderbringen und es vom Polter rollt, rennt er wie ein Blöder davon. Es ist aber nicht ratsam, den Kopf zu verlieren. Man muss auf jeden Schritt achten und darf erst im letzten Moment loslassen, nicht vorher.
Würde es jeder so machen wie er, gäbe es jedes Mal Tote.
Manchmal stemme ich so fest gegen den Wendehaken, dass ich eine Art Blutschleier vor den Augen habe. Die Sägewerker (die echten, nicht die bei Pressurot) nennen das »Schleierblick«. Einige Male habe ich gesehen, dass vier Männer eine volle Stunde brauchten, um einen Pappelstamm vom Polter zu lassen. Einmal, während einer besonders schweren Aktion, strengt sich René, ein echter Koloss (einer der Kistenbauer), so sehr an, dass er sich in die Hose scheißt (ungelogen). Nach solchen Einsätzen zittere ich zwei oder drei Stunden lang. Ich habe keine Kraft mehr für den Rest des Tages. Trotzdem geht es weiter, man muss weiter ackern und das Holz ablängen, das die verdammte Bandsäge innerhalb kürzester Zeit verarbeitet. Die ersten Abende zittern mir nach meiner neuen Arbeit die Knie und die Hände so sehr, dass ich es kaum schaffe, meine Suppe zu essen. Dennoch arbeite ich weiterhin wie ein Kuli, denn ich will es mir weiterhin erlauben können, meinen Mund aufzumachen, und ich will auch weiterhin ein »gutes Gehalt« verdienen. An manchen Abenden bin ich so fertig, dass ich mich ernsthaft frage, wie ich aufs Fahrrad kommen soll!
Dabei ist der Abend noch gar nichts im Vergleich zum Morgen: Wer schon einmal gearbeitet hat, weiß, was ich meine. Diese Mattigkeit am Morgen, die so groß ist, dass man sich fragt, wie man aus dem Bett kommen soll, mit steifen Gelenken, zum Umfallen müde, mit weichen Beinen und einem Körper, in dem jeder Muskel schmerzt und das ganze Fleisch um Gnade fleht!
Ich dachte, eine Ahnung von der größtmöglichen Erschöpfung zu haben, doch das war noch nicht der Fall (erst ein Jahr später werde ich in der Sologne bei einem erbarmungslosen Aufbau eines Sägewerks meine Grenzen kennenlernen und dann auch krank werden). Obwohl ich mir am Morgen wie ein Rheumatiker die Hose anziehe, gebe ich nicht auf. Langsam bekomme ich Respekt vor den alten Arbeitern. Was mir am meisten zu schaffen macht, sind nicht die Strapazen, wenn man das Letzte aus sich herausholt: Es ist die immer gleiche Arbeit, die jeden Tag monotoner wird. Langsam verstehe ich Bibi, wenn er sagt, dass er in der Zeit, als er in seiner Jugend im Sägewerk arbeitete, »allein beim Anblick der ganzen Scheiße schon am Morgen die Schnauze so was von voll« hatte. Wenn du wüsstest, wie sehr ich das jetzt verstehe, du alter Drecksack Bibi!
Mein Ruf als zäher Arbeiter macht im Dorf allmählich die Runde. Ich bin nach René der Kräftigste im Sägewerk. Ich bin ein schmaler Typ, doch schon bald kommen meine Muskeln zum Vorschein, und auch dicke blaue Adern, die ein Jahr später meine ganze Brust überziehen werden. In dieser Zeit merke ich, dass ich für harte Einsätze gemacht bin und dass ich meine Arbeit gar nicht so übel finde. Nach und nach legt sich meine Erschöpfung, und ich beende meine Tage relativ frisch. Aber trotzdem, mein Gott, ich hatte wirklich geglaubt, ich würde verrecken. Ich werde jeden Tag robuster und kräftiger. Ich spüre, wie sich meine Grenzen immer weiter verschieben, das freut mich. Ich arbeite wie ein Irrer, aber ich kann Verschnaufpausen machen, wie es mir gefällt, solange ich nur liefere.
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