Also, wie sieht dein Plan aus, Joe?, dachte er bei sich.
Gardner drehte sich zu Bald. Die Augen des Schotten waren auf die sich nähernden Taliban gerichtet.
»Gib mir Feuerschutz. Nagele die Mistkerle da unten fest. Ich kann nicht zulassen, dass sie uns einkreisen.«
Sofort deckte Shaw die Angreifer mit einer Welle aus Dreifachsalven ein. Der Lärm war ebenso hypnotisierend wie ohrenbetäubend. Das sollte die Jungs eine Weile beschäftigen. Nach der dritten Salve setzte sich Gardner in Richtung der Treppe in Bewegung, Bald und Hands folgten ihm.
Zurück in den Eingangsbereich. Die Luft war angefüllt von dem grässlichen Gestank verbrannten Fleisches und heißer Patronenhülsen. Der Türrahmen war verkohlt. Trümmer lagen auf dem Lehmboden verstreut, Mörtel und vereinzelte Patronenhülsen. Das erstarrte Gesicht des MI6-Mannes trug die typischen Züge frisch Verstorbener – nicht etwa verängstigt oder gequält, sondern leicht erstaunt, wie jemand, der vor seinem Haus steht und feststellen muss, dass er die Wohnungsschlüssel verlegt hat. Gardner wich dem zerstörten Camcorder aus und ließ sich vor dem Fenster zur Vorderseite auf eines seiner Knie fallen, um eine sichere Schussposition zu haben. Der Fenstersims befand sich nun etwa auf Brusthöhe. Von hier aus hatte er freie Sicht auf die Straße nach Ragesh. Auf zehn Uhr befanden sich die Fahrzeuge, welche die Taliban als Deckung benutzten.
Zusammen mit Hands bezog Bald neben der Tür Stellung. Mit dem Daumen stellte er den Feuermodus seiner AK-47 auf Halbautomatik. Hands legte die Hand um den Griff des GP-25 Granatwerfers. Die russische Ausgabe des UGL wurde über metallene Führungsschienen an der Unterseite des Laufs angebracht. Aus dem gleichen Grund, weshalb sie regionaltypische Kleidung angelegt hatten, trugen sie auch russische Waffen bei sich – dies war eine verdeckte Operation. Es galt, einen Krieg zu gewinnen, und die bösen Buben befanden sich dummerweise auf der falschen Seite des Khyber Passes.
Aber der SAS unterstand natürlich Whitehall und musste im Zweifelsfalle ihre Spuren verwischen, wenn die Kacke am Dampfen war. Deshalb trugen sie nichts bei sich, was sie als Mitglieder des SAS identifizieren konnte, auch keine Waffen oder Ausrüstung des Regiments.
Das GP-25 hatte eine riffelige Oberfläche, mit einem Abzugsmechanismus am Ende und einem quadratischen Visier an der linken Seite des Aufsatzes. Hands griff in eine ebenfalls aus russischen Militärbeständen stammende Munitionstasche an seinem Gürtel, zog eine Granate vom Typ VOG-25 hervor und schob sie in den Granatwerfer. Ein klickendes Geräusch verriet, dass die Granate eingerastet war. Eine VOG-25 verfügte über eine Reichweite von etwa einhundertfünfzig Metern und war in einem Radius von fünf Metern absolut tödlich. Hands trug die ›P‹-Version bei sich. In deren Spitze befand sich eine besondere Ladung. Sie ließ die Granate wieder vom Boden abspringen, sodass sie auf mittlerer Höhe der Ziele explodierte und durch die Eingeweide der Gegner schnitt wie eine aufgeladene neunschwänzige Katze.
Die Angreifer bewegten sich nun die Straße hinab und verschwanden in der Seitengasse. An der Stelle war die Straße unbeleuchtet und Gardner zählte sechs verschwommene, undeutliche Schatten. Nur an den Läufen ihrer Gewehre waren sie auszumachen. Der X-Ray, der ihnen am nächsten war, trug ein RPG.
Gardner spähte über Kimme und Korn einer AK-47 und presste sich den Kolben der Waffe fest gegen die Schulter. Die Waffe lag gut in der Hand. Der Kerl mit dem RPG rannte auf die Seitengasse zu. Ihn trennten noch fünfzehn Meter von der sicheren Deckung, dann wäre er verschwunden. Seine Leute waren nicht weit entfernt.
Gardner zog den Abzug durch.
Ein Ruck ging durch die Waffe und ein Lichtblitz erhellte die stinkende Dunkelheit um sie herum. Die Kugel peitschte durch die Luft und schlug in den Hals des X-Rays. Der zuckte, taumelte zurück. Die Wucht des Treffers ließ ihn einige Meter zurückwanken. Blut spritzte aus seinem Hals. Die 7.62-Kugel hatte die Halsschlagader getroffen. Dann ging der Mann zu Boden.
Einer seiner Komplizen auf der linken Seite versuchte, eine Granate zu werfen. Bald pumpte drei Kugeln in seinen Oberkörper. Die Granate rollte ihm aus der Hand.
»Runter!«, schrie Gardner.
Mit einem lauten Knall ging die Granate hoch. Steine und versengte Erde flogen durch das Fenster und den Türrahmen. Eine Sekunde später linste Gardner wieder über den Sims zum Fenster hinaus.
Einen Meter neben der Stelle, wo die Granate explodiert war, stand ein weiterer X-Ray. Die Explosion hatte seinen Bauch aufgerissen, seine Gedärme hingen wie Schläuche heraus. Mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck versuchte der X-Ray, seine Innereien wieder in die klaffende Wunde zurückzustopfen. Aus dem Augenwinkel sah Gardner, wie Bald einmal abdrückte. Die AK-47 bellte los und eine Kugel schlug in die Stirn des X-Ray.
Drei weitere Soldaten kamen die Straße herunter. Hands feuerte das UGL auf sie ab. Die Granate machte ein befriedigendes Whump und landete vor den Füßen des X-Rays in der Mitte der Dreiergruppe. Sein Blick folgte der Granate, die vom Boden wieder in die Luft sprang. Vor der Brust des X-Rays schien sie eine Ewigkeit in der Luft zu schweben. Dann explodierte sie. Alle drei Taliban verschwanden hinter einer Rauchwolke. Als sich der Rauch wieder verzogen hatte, wurde Gardner bewusst, dass er auf einen Haufen aus abgetrennten Gliedmaßen, Blut und Stoff sah. Der X-Ray ganz rechts war mit dem Blut und den Eingeweiden seiner Kameraden besudelt und schrie angesichts seines durchtrennten Oberkörpers. Seine Beine lagen auf Höhe seiner Schultern neben ihm. Seine Innereien quollen in den Sand.
»Das macht sechs«, rief Bald über das unermüdliche Unterstützungsfeuer hinweg, mit dem Shaw das halbe Dutzend von Kämpfern in Schach hielt, die noch hinter den Fahrzeugen kauerten. Der Anblick ihrer ausgeschalteten Kameraden ließ sie besonders auf der Hut sein, ihre Deckung nicht zu verlassen. Aber Gardner wusste, dass es nur einen oder zwei von ihnen auf der Rückseite brauchte, damit die Blades so richtig in der Klemme saßen. Eine Bewegung hinter ihm riss ihn aus seinen Gedanken, und er warf einen Blick über seine Schulter hinüber zu Bald. Er traute seinen Augen kaum. Bald hatte sich Afridis persönlichem Wachmann zugewandt und durchsuchte dessen Taschen.
Zwei Hände zogen Bald unsanft zurück, der daraufhin das Gleichgewicht verlor und auf den Boden fiel. Shaw durchbohrte Bald mit stechendem Blick. Auf seinem kahl geschorenen Kopf zeichnete sich pulsierend eine Vene so dick wie ein Gartenschlauch ab. »Was soll der Scheiß?«
»Nimm deine Hände weg!«, brüllte Bald und trat wütend gegen die verstreut am Boden liegenden Patronenhülsen und leeren Magazine. »Ich könnte dich dasselbe fragen. Du solltest eigentlich da oben sein.«
Shaw warf Bald einen eisigen Blick zu. Der Schotte starrte mindestens ebenso kalt zurück.
»Du sollst nicht stehlen«, sagte Shaw. »Exodus 20:15.«
»Kümmere dich um deinen eigenen Scheißdreck.«
Shaw stierte Bald noch einen Moment an. Dann drehte er den Kopf zu Gardner und sagte: »Ich hab keine Munition mehr.«
»Hier.« Gardner war ihm eines seiner zwei Reservemagazine zu. »Nimm. Aber mach das Beste draus, Kumpel.«
Shaw stürmte die Treppe hinauf.
»Religiöser Spinner«, murmelte Bald und wischte sich das Blut vom Mund, nachdem der Yank außer Sichtweite war.
»Was jetzt?«, rief Hands vom Fenster aus. »Da sind immer noch sechs von den Wichsern übrig, um die wir uns kümmern müssen. Und ich gehe davon aus, dass die bereits bei ihren Taliban-Freunden Alarm geschlagen haben. Wir können sie nicht mehr lange in Schach halten, Joe.«
Gardner sah, wie Bald sich etwas in seine Tasche stopfte und dann wieder an seinen Posten am Fenster zurückkehrte. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, aber jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
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