Terminologie in der deutschsprachigen Übersetzung und im englischen Original
Die Fachbegriffe werden in der deutschsprachigen Literatur nicht einheitlich benutzt. Wir möchten an dieser Stelle auf die Begriffe aus der Primärquelle hinweisen, da wir den Textfluss im Manual nicht durch englische Begriffe unterbrechen wollen. Ferner erleichtert die Kenntnis dieser Originalbegriffe die Teilnahme an in englischer Sprache gehaltenen Weiterbildungskursen. Die Patientengruppen mit psychoneurotischen Störungsbildern werden im englischen Original als »Low resistant, moderate resistant und highly resistant« bezeichnet, wir haben uns für die Formulierung »Patienten mit niedrig-, mittel- und hochgradigem Widerstand« entschieden. Unter Widerstand verstehen wir das Produkt aus den »defenses«, den »Abwehren«, mit denen das Unbewusste des Patienten ein bewusstes Erleben der Emotionen verhindert. Unter »Emotionen« verstehen wir überwiegend Trauer, liebevolle Gemütsbewegungen, Wut, Freude, Schuldgefühle und Angst. Da uns Angst vor Gefahren warnt, kann sie auch auftreten, wenn eine subjektive innere Gefahr droht. Angstbesetzte und deshalb verdrängte Emotionen können eine solche innere Gefahr darstellen (
Abb. 1: Das Konfliktdreieck). Eine Beziehung zu anderen reaktiviert zurückliegende Emotionen, die in vergangene Begegnungen entstanden sind. Eine Möglichkeit, sich dieser Reaktivierung zu entziehen, ist das »detachment«, das sich Abkoppeln vom gegenüber, der Patient ist »emotionally detached«, meidet die emotionale Begegnung mit dem gegenüber, es entsteht eine Distanziertheit. Werden Emotionen unterdrückt, indem sie in körperliche Symptome verdrängt werden, wird dies von Abbass als «Repression« bezeichnet, in der deutschsprachigen Ausgabe haben wir dies jeweils nach Möglichkeit umschrieben. Um näher am Originalbegriff zu sein, haben wir dies nicht mit »Konversion« übersetzt, obwohl hier eine große inhaltliche Nähe besteht. Angstüberflutung führt zu einer kognitiv-perzeptiven Störung (»cognitive-perceptual disruption«). Darunter versteht man stress- bzw. angstbedingte Denk- und Wahrnehmungsstörungen wie dissoziative Zustände (Depersonalisation, Derealisation, Stupor), Tunnelblick, Verschwommensehen, Augenflimmern, Verlangsamung im Denken, Störungen der Auffassungsfähigkeit bis zum Black-Out, auch psychomotorische Schwäche mit herabgesetztem Muskeltonus. Erste Hinweise auf eine Angstüberflutung sind eine geistige Verlangsamung und verlangsamte Reaktionsgeschwindigkeit. Dieser reduzierte Aktivitätszustand wird von Abbass sehr plastisch als »going flat« bezeichnet. Damit dieser Zustand überwunden werden kann, nutzt der Therapeut u. a. eine Intervention, die wir als »kognitive Einordnung« übersetzt haben, im Original wird an dieser Stelle »recapitulation« oder kurz «recap« benutzt. Die Behandlungsform, in der »recaps« häufig eingesetzt werden, wird im englischen Text als »graded format« beschrieben, in der deutschsprachigen Literatur wird dies uneinheitlich als »graduiertes, sukzessives oder schrittweises Vorgehen« bezeichnet. Aus unserer Sicht ist gradiert am besten geeignet, um zu beschreiben, dass mit geringgradig mobilisierenden Interventionen begonnen wird und in den nächsten Schritten auf die zunehmende Fähigkeit des Patienten aufgebaut wird, angstmachende Affekte zu tolerieren. Diese zunehmende Affekttoleranz ermöglicht zunehmend stärkere Interventionen zur Affektmobilisierung, bis die strukturelle Kapazität ausreicht, um sich mit primären Affekten in Bezug auf das Beziehungstrauma auseinanderzusetzen.
Anmerkungen zur Übersetzung
Bei dem vorliegenden Manual handelt es sich um die Übersetzung des Buches »Hidden from view« von Allan Abbass und Howard Schubiner. Die deutsch-schweizerische Übersetzergruppe entschied sich während einer Weiterbildung bei Allan Abbass im August 2018 in Bern zu diesem Projekt, im Anschluss an die Folgeveranstaltung 2019 wurde das Manuskript beim Verlag eingereicht. Wir hoffen, dass sich trotz unterschiedlicher Sprachstile ein ausreichender Lesefluss ergibt. Die jeweiligen Abschnitte wurden gegenseitig mehrfach überprüft und überarbeitet.
Anders als in der englischen Sprache ist es im Deutschen möglich, männliche und weibliche Personenbezeichnungen zu unterscheiden, beispielsweise Therapeut von Therapeutin. Wir haben nach Prüfung verschiedener Optionen die männliche Form gewählt, da wir Begriffe wie Therapeut und Behandler trotz des generischen Maskulinums als geschlechtsneutral verstehen. Nach unserer Auffassung schließen diese Begriffe alle Geschlechter gleichrangig ein.
Wir hoffen, dass auch Sie, liebe Leser*innen viele Anregungen und Instrumente in diesem Buch finden und es Ihnen damit leichter gelingt, Patienten mit chronifizierten Leiden und daraus resultierenden Eigenheiten in der Beziehungsgestaltung zuversichtlich und partnerschaftlich zu begegnen. Wir würden uns wünschen, dass Sie, ebenso wie auch wir Übersetzer, eine Faszination für diese wirkungsvollen Methoden entwickeln können.
Allan Abbass ist voller Dankbarkeit für die Unterstützung seiner Kollegen vom »Centre for Emotions and Health, Family Medicine, Emergency Medicine and Internal Medicine« an der Dalhousie University: Richard Zehr, Angela Cooper, Joel Town und Ryan Wilson. Howard Schubinder bedankt sich als Mitarbeiter in Forschung, Klinik und Lehre sowie als Freund für die Unterstützung von Mark Lumley von der Wayne State University und Alan Gordon vom Pain Psychology Center in Los Angeles.
Wir möchten auch unseren Familien danken: Howards Frau Val Overholt für ihren weisen Rat und ihre Unterstützung und Allans Frau Jennifer und den Kindern Lauren, Will und Anthony für ihre ständige Unterstützung.
Wir möchten uns bei den vielen Kollegen bedanken, die die Entwürfe dieses Buches geprüft und Feedback gegeben haben. Dazu gehören Dr. Bianca Horner, Joanna Zed, Angela Cooper, Lothar Matter, Sam Campbell, Arno Goudsmit und Kollegen der University of Maastrict Family Medicine, Steven Allder, Patrick Luyten und Nat Kuhn.
Wir sind sehr dankbar für einen talentierten Designer, Eric Keller, einen exzellenten Lektor, Michael Betzold, und einen engagierten Korrektor, George Nolte.
Wir beide sind unseren Patienten sehr verbunden, die uns das Privileg geben, sie kennenzulernen und mit ihnen täglich zu lernen, wie Seele und Körper zusammenwirken.
Während wir dieses Buch schrieben, verloren wir John E. Sarno, der unsere Arbeit sehr beeinflusst hat. Dr. Sarno war ein Pionier auf dem Gebiet der Psychosomatischen Medizin und hat in den letzten 40 Jahren wertvolle Beiträge geleistet. Er wird sehr vermisst. Seine Geschichte wurde kürzlich in dem Film »All the Rage« von Michael Galinsky dokumentiert. Dr. Sarno hat eine ganze Generation von Forschern und Klinikern beeinflusst, um Patienten mit psychophysiologischen Störungen zu helfen. Wir sind stolz darauf, zu ihnen zu gehören.
1 Psychophysiologische Störungen – eine Übersicht
Elisabeth, eine 32 Jahre alte Frau, klagt, sie bekomme immer wieder schlecht Luft, sie habe Anfälle von Atemnot und multilokuläre Schmerzen. Zwei frühere Untersuchungen erbrachten keinen pathologischen Befund. Als ich sie über ihre Symptome befrage, rinnt eine Träne über ihre Wange.
Peter, ein 45-jähriger Mann, klagt seit sechs Monaten über anhaltende Rückenschmerzen. Die Beschwerden begannen vor einigen Jahren mit intermittierenden Schmerzen. Der Schmerz strahlt nicht in die Beine aus. Gelegentlich komme es aber zu Kribbelparästhesien im vorderen Bereich der Oberschenkel. Die neurologische Untersuchung ist normal. Im MRT finden sich Anzeichen einer degenerativen Wirbelsäulenerkrankung im Bereich der LWS, eine Bandscheibenprotrusion im Bereich L4/L5 mit einer mäßiggradigen Einengung des linken Neuroforamen. Die zweimalige Verordnung von Physiotherapie hatte zu einer bedeutsamen Verbesserung geführt.
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