• Änderungen im Selbstbild und Körperschema, Verlust von Autonomie und Kontrolle über den Körper und die Situation
• Störungen des emotionalen Gleichgewichts, Gedanken an Sterben und Tod
• Verunsicherung hinsichtlich der Veränderung von Verantwortung und sozialen Aufgaben
• Notwendige soziale Anpassungsleistungen, Sorgen um Angehörige und um den Arbeitsplatz
Subjektive Krankheitstheorie
Einen bedeutenden Einfluss auf die Krankheitsbewältigung haben die Vorstellungen, welche die Betroffenen sich von den Ursachen und der Funktion ihrer Krankheit machen, und welche Bedeutung sie ihr zuschreiben (attribuieren). Wir sprechen von der subjektiven Krankheitstheorie. Sie steht oft im Widerspruch zum medizinischen Krankheitsverständnis und zum rationalen Wissen der Betroffenen. Teilweise ist sie bewusst, großenteils aber unbewusst. Indem sie das Krankheitsverhalten beeinflusst, ist sie eine Einflussgröße auf den Krankheitsverlauf und das Ergebnis des Bewältigungsprozesses. 19
In der subjektiven Krankheitstheorie schlagen sich persönliche Erfahrungen und Kenntnisse sowie familiäre und soziokulturelle Haltungen und Bewertungen nieder. Dabei können einer Krankheit verschiedene Bedeutungen zugeschrieben werden: Selbstbestrafung, Auflehnung, Entlastung, Verlust oder Bedrohung u. v. a. Diese Zuschreibungen werden aus der Persönlichkeit des Betroffenen verständlich und können oft aus seiner Lebensentwicklung heraus nachvollzogen werden.
1.2.1 Bewältigungsprozess und Bewältigungsformen
Eine Krankheit bedeutet nicht nur eine Störung des körperlich-seelischen Gleichgewichts, sondern oft auch einen Verlust von Möglichkeiten und Fähigkeiten. Sie wirkt innerseelisch wie ein Verlusterlebnis und löst eine Art Verlust- bzw. Trauerarbeit aus, einen Prozess, der phasenhaft verläuft. Er wird als Bewältigungsprozess 20bezeichnet. Wenn die Bewältigung misslingt, treten Symptome auf, die als somatopsychische Anpassungsstörung (
Kap. 6.3) bezeichnet werden. Phänomenologisch betrachtet, handelt es sich dabei zumeist um depressiv-ängstliche Syndrome bzw. Somatisierungsstörungen.
Bewältigungsprozesse haben eine kognitive, eine affektive und eine handlungsbezogene Dimension. Man unterscheidet dabei verschiedene Bewältigungsformen (
Übersicht). Sie lassen sich zu drei typischen Bewältigungsstilen zusammenfassen 21: Verleugnung, aktive Auseinandersetzung und depressiver Rückzug.
Wichtige Bewältigungsformen (Copingstrategien)
• Verleugnung der Krankheit
• Sich ablenken
• Zupacken
• Schuldzuweisung an andere
• Rückzug und Resignation
• Dissimulieren von Krankheitserscheinungen
• Problemanalyse
• Haltung bewahren
• Gefühlsisolation: Nichtwahrnehmen von Gefühlen
An der Bewältigung einer Krankheit sind auch psychodynamische Faktoren beteiligt. So ist die Art und Weise, wie man mit einer Krankheit umgeht, z. B. davon abhängig,
• welche subjektive Bedeutung man ihr zuschreibt (subjektive Krankheitstheorie): ob man in ihr eine gerechte Bestrafung sieht oder eine »unverdiente Bestrafung«, eine Gefährdung der Sicherheit und Anerkennung usw.,
• welche früheren Erfahrungen mit Krisen und Krankheit man gemacht hat: So kann eine Erkrankung wie eine Retraumatisierung nach früheren unverarbeiteten Verlusterlebnissen wirken,
• welche Erfahrungen mit hilfreichen Beziehungen man in seinem Leben gemacht hat.
Dieser psychodynamische Einfluss auf das Bewältigungsverhalten ist im Allgemeinen unbewusst und dient in seinen verschiedenen Formen der Abwehr von unbewussten Ängsten, die im Zusammenhang mit Krankheiten entstehen. Sie stellen, neben den äußeren Belastungen, eine zusätzliche Bewältigungsaufgabe dar.
Bewältigung und Abwehr 22
Bewältigung und Abwehr beschreiben ähnliche und teilweise sogar identische Vorgänge aus der Sicht verschiedener theoretischer Konzepte: Das Abwehrkonzept stammt aus der Psychoanalyse, das Bewältigungskonzept aus der Verhaltensmedizin. Dadurch ergeben sich begriffliche Unklarheiten, die auch durch eine Gegenüberstellung wie die folgende nicht endgültig aufzuheben sind. Es bleibt eine Unschärfe der Abgrenzung, die beim Mechanismus der Verleugnung besonders deutlich ist.
• Bewältigungs- oder Copingverhalten zielt auf bewusste Erlebnisse ab, z. B. auf Behinderungen oder bewusste Todesangst. Es trägt dazu bei, diese Erlebnisweisen zu lindern, ohne dass sie im engeren Sinne unbewusst werden. Sie sind, selbst wenn die Betroffenen nicht ständig daran denken, an sich bewusstseinsfähig bzw. erinnerbar. Die Bewältigungs- oder Copingmechanismen sind also mehr oder weniger bewusst eingesetzte Denk-, Empfindungs- und Verhaltensstrategien.
• Abwehr (
Kap. 2.1.2) richtet sich dagegen auf unbewusste Erlebnisinhalte, z. B. auf unbewusste Affekte, Phantasien oder Konflikte. Sie sorgt dafür, dass diese auch unter besonderen Belastungen und Provokationen unbewusst bleiben. Die Abwehrprozesse selbst – Verdrängung, Projektion, Spaltung usw. – werden aus psychodynamischer Sicht der psychischen Instanz des Ich zugeschrieben. Sie sind als solche unbewusst. Allerdings können Prozesse wie Verdrängung und Verleugnung auch als bewusste Strategien eingesetzt werden. Dann wären sie, streng systematisch betrachtet, als Bewältigungsmechanismen zu bezeichnen.
Die Verleugnung spielt sowohl beim bewussten Bewältigungsverhalten als auch bei der Abwehr von krankheitsbedingten unbewussten Ängsten und Konflikten eine wichtige Rolle. Man versteht darunter, dass Gefährdungen oder Beeinträchtigungen einfach nicht anerkannt werden, obwohl die Betroffenen darüber Bescheid wissen. Sie geben sich in ihren Einstellungen, Gefühlen und in ihrem Verhalten so, als wüssten sie gar nichts davon.
Die Verleugnung beeinflusst in vielfältiger Weise die therapeutische Beziehung und den Umgang mit Aufklärung, Behandlungsmaßnahmen und Vorschriften. Sie kann unterschiedlich umfassend sein. Man unterscheidet deshalb zwischen totaler und partieller Verleugnung.
Bei Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten ist ein Middle Knowledge zu beobachten: Die Betroffenen befinden sich in einem Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen um ihre Krankheit; dieser ermöglicht es ihnen, wechselnde und unterschiedlich starke Angstzustände zu regulieren. Ein besonderes Problem ist die Wiederverleugnung (Re-denial), wenn Patienten, die bereits mehrfach und offen über ihre Erkrankung informiert worden sind, sich so verhalten, als hätten sie kein Wissen von der Bedrohlichkeit ihrer Situation. Diese Form der Verleugnung ist unabhängig vom Ausmaß der Aufklärung des Patienten.
Die Annahme, dass die Qualität des Bewältigungsergebnisses im Sinne des »good Coping« davon abhängt, welche Art von Erkrankung bewältigt werden muss, lässt sich im Allgemeinen nicht bestätigen. Stattdessen ist es das Ausmaß der Beeinträchtigung im Krankheitsverlauf, das für das Bewältigungsergebnis ausschlaggebend ist. Außerdem hängt das Bewältigungsergebnis von der Persönlichkeit der Betroffenen ab.
Bis zu einem gewissen Grad ist ein aktives Bewältigungsverhalten, bei dem der Betroffene sich mit seiner Krankheitssituation bewusst auseinandersetzt, einem passiven Bewältigungsstil überlegen. Ein gewisses Maß an Passivität und Krankheitsverleugnung begünstigt aber das subjektive Befinden. Eine ständige bewusste Auseinandersetzung mit einer Krankheit führt hingegen, besonders bei chronischen Verläufen, zu einer zunehmenden Einengung des Gefühlslebens und zur emotionalen Erschöpfung.
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