»Wie geht es meinem Sohn?«, fragte Pearl. »Lucky ist doch okay?«
»Lucky? Den wirft so schnell nichts um. Er ist am Jean Lake oben und hilft den Hot Shots aus Palmer, eine Brandschneise gegen die Flammen zu graben. Es geht ihm gut, Ma’am. Hot-Shot-Teams bestehen aus erfahrenen Spezialisten, die lassen nichts anbrennen. Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Carla hatte ihren Rucksack umgeschnallt. »Könnte spät werden«, sagte sie zu Pearl, bevor sie dem Firefighter zu seinem Geländewagen folgte. Sie zog die gelbe Schutzjacke an und nahm den Helm mit auf den Beifahrersitz. Ein leichter Schutzhelm mit einem herunterklappbaren Visier gegen Funkenflug.
Die ersten Meilen kamen sie gut voran. Wegen des Feuers war kaum Verkehr, und nur die dichten Rauchwolken, die aus nordwestlicher Richtung über das Land zogen, machten ihnen zu schaffen. Zusammen mit dem Widerschein der Flammen, die bisher noch in respektvoller Entfernung vom Highway brannten, verband der Qualm sich zu einem orangefarbenen Nebel, der ohne seine verheerenden Auswirkungen sicher als Naturereignis gefeiert worden wäre.
»Seit einigen Tagen geht das schon so«, sagte Phil, »schlimmer war es nur vor zwei Jahren nördlich von Valdez.« Dichte Rauchschwaden, vom Wind über die Straße getrieben, zwangen ihn, langsam zu fahren. »Ihr erstes Feuer?«
Sie blickte nervös in den Rauch. »Einige kleine Brände, nicht zu vergleichen mit der Katastrophe hier. Bekommen Sie das Feuer unter Kontrolle?«
»Wir haben alle Firefighter im Einsatz, die greifbar waren. Sogar ein Hot-Shot-Team aus Montana. Diese Hot-Shot-Männer sind noch besser ausgebildet als wir, so was wie die Marines der Feuerbekämpfung. Und einige der Piloten, die mit Löschflugzeugen und Hubschraubern unterwegs sind, haben schon riesige Ölbrände in Texas und Mexiko gelöscht. Das Feuer hat keine Chance, aber es wird wohl einige Zeit dauern, bis wir es gelöscht haben.«
»Ich hab gehört, ein Blitz soll es ausgelöst haben.«
»Vor einer Woche gab’s ein Gewitter in unserer Gegend, da hat es ordentlich gekracht und geblitzt. So entstehen die meisten Waldbrände. Aber es kann auch was anderes gewesen sein. Eine achtlos weggeworfene Zigarettenkippe, das Lagerfeuer eines Campers, wahrscheinlich erfahren wir das nie.«
»Brandstiftung?«
»So verrückt war hoffentlich keiner.«
Sie hatten die Rauchschwaden durchquert und sahen sich einer Absperrung gegenüber. Ein Schild wies die Autofahrer an, auf das Pilot Car zu warten, das sie über die jetzt einspurige Strecke bis kurz vor Sterling führen würde.
»Wenn wir das Feuer nicht bald unter Kontrolle bekommen, müssen wir den Highway ganz schließen«, sagte Phil. »Unsere Leute sind dabei, eine breite Brandschneise nördlich des Sterling Highway zu graben, nur so können wir die Flammen davon abhalten, die Straße zu überqueren. Ich bin bei dem Team, das die Schneise von Gestrüpp befreit und kleinere Brände löscht.«
Carla wusste, dass ein Teil der Firefighter mit Wasserrucksäcken und einer Pumpe unterwegs war, um abseits der Stützpunkte gegen das Feuer vorgehen zu können. »Und es sind noch keine Menschen zu Schaden gekommen?«
»Zum Glück nicht. Nur ein paar Verletzte mit Rauchvergiftungen.«
»Und Tiere?«
»Tausende«, gestand er, »und wenn Sie Insekten, Käfer und Würmer mitzählen, wahrscheinlich Hunderttausende. Selbst Bären, Wölfe und Elche schaffen es oft nicht, vor einem Feuer zu fliehen. Die Schnelligkeit, mit der sich Flammen ausbreiten, wird meist unterschätzt, auch von Menschen.«
Das Pilot Car war erschienen und wendete vor ihnen. Der Fahrer winkte ihnen zu und fuhr mit flackernden Warnleuchten voraus. Der Wind stand hier günstiger, und es gab nur wenig Rauch, doch als Carla aus dem Seitenfenster blickte, konnte sie die Flammen in einiger Entfernung sehen, flackernde Feuerzungen, die trockenes Gras und Gestrüpp verbrannten und sich gierig an den Schwarzfichten emporfraßen. Ein faszinierender, aber beklemmender Anblick, der ihr Angst einjagte, obwohl das Feuer noch meilenweit entfernt war.
Carla war nach ihrer Rückkehr aus Anchorage von Chief Baxter angerufen worden. »Wir haben hier etliche Leute vom BLM und Fish & Wildlife im Einsatz«, hatte er gesagt, »aber Sie wissen ja, wie diese Beamten sind. Unflexibel wie sonst was. Ich weiß, dass sich am Mystery Creek etliche Wölfe rumtreiben und hätte gern eine Expertin hier. Keine Ahnung, was wir bezahlen können, aber für ein paar Scheine wird es schon reichen. Ich hab was für Wölfe übrig, wissen Sie? Für Tiere überhaupt. Was wären wir in Alaska ohne Tiere? Die Leute kommen vor allem wegen unserer Natur. Wie sieht’s aus?«
So hörte Carla nur selten einen Mann reden. Die meisten waren nicht gut auf Wölfe zu sprechen, verteufelten sie und behaupteten, es gäbe sowieso zu viele in Alaska, und dass diese Bestien Kinder und hilflose Alte in Gefahr brächten. Reine Stimmungsmache, wie sie wusste. Wölfe wurden Menschen selten gefährlich, und Schafe und Kälber rissen sie nur, wenn es extrem kalt wurde und sich keine Beutetiere mehr in den Wäldern aufhielten. Sie gingen den Menschen möglichst aus dem Weg. Selbst Einheimische bekamen sie selten zu Gesicht.
Seine Einstellung, für einen Firefighter ausgesprochen bemerkenswert, und seine lockere Sprache nahmen sie sofort für Baxter ein. Normalerweise lag sie mit Regierungsbeamten und anderen Offiziellen im Clinch. Wölfe hatten ein schlechtes Image, auch bei den Behörden. Es gab über zehntausend Wölfe in Alaska. Was machte es schon, wenn ein paar Dutzend verbrannten? Viele Männer waren passionierte Jäger, die Wölfe als Feinde betrachteten.
»Und wie könnte ich helfen?«
»Wir haben genug mit dem Feuer zu tun und damit, gefährdete Menschen aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Für Tiere bleibt da wenig Zeit. Die meisten Vierbeiner, die wir finden, sind bereits tot. Am Mystery Creek soll es ein Wolfsrudel geben, vielleicht sogar zwei, und da wir gerade Frühjahr haben, könnten sich einige Welpen in ihren Bauten aufhalten. Wie gesagt, uns fehlen die Leute und das Know-how. Sie wissen, wo Sie suchen müssen, und können vielleicht einige retten, solange das Feuer ihnen nicht zu nahe kommt.«
Carla war überrascht. »Sie rufen mich wegen ein paar Welpen an?«
»Aber ich dachte …«
»Ich bin nur überrascht, Mister Baxter.«
»Chief. Selbst meine Frau nennt mich so.«
»Angenehm überrascht. Und ich bezweifle, dass Sie auch nur einen Dollar für mich lockermachen können. Wie wär’s stattdessen mit Apple Pie und leckerem Cappuccino? Mit viel Schlagsahne und Schokostreuseln obendrauf.«
Er lachte. »Das lässt sich machen, Miss.«
»Carla.«
»Carla. Ich lasse Sie im Kenai Inn in Cooper Landing abholen. Okay?«
Auf dem Weg zum Stützpunkt bog Phil auf die Mystery Creek Road nach Norden ab. Die schmale Straße, eigentlich eher ein Feldweg, führte am Bach entlang und war so holprig, dass er ständig gegensteuern musste. Über den Schwarzfichten hingen schmutzige Rauchwolken, die zunehmend dichter wurden. Durch den Rauch waren bereits die Flammen zu sehen, die in den Wäldern weiter nördlich ein Inferno entfacht hatten. Vom Himmel war kaum etwas zu sehen, der Rauch und der Feuerschein versperrten ihnen die Sicht. Eine bedrohliche Umgebung, als wären sie auf einem fremden Planeten.
Das Camp der Firefighter sahen sie erst, als sie schon dicht davor waren. Eine Ansammlung von kuppelförmigen Zelten, die gelb in den Rauchschwaden zwischen den Bäumen leuchteten. Auf dem Boden dazwischen lagen Backpacks und Ausrüstung. Vom anderen Ufer des Mystery Creek drangen die Motorengeräusche zweier Bulldozer herüber, mit denen die Männer eine breite Schneise durch das Unterholz trieben. Als Carla ausstieg, erkannte sie andere Firefighter, die herumliegendes Gestrüpp einsammelten und kritische Stellen mit Wasser aus ihren Löschrucksäcken besprühten. Das Kreischen von Kettensägen begleitete die Männer, die im Weg stehende Bäume fällten.
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