Bourdieu/Boltanski/Castel Chamboredon/Lagneau/Schnapper Eine illegitime Kunst Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie
Aus dem Französischen übersetzt von Udo Rennert
CEP Europäische Verlagsanstalt
© e-book Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2014
ISBN 978-3-86393-525-2
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Vorwort
Pierre Bourdieu Einleitung
Teil I
1. Kapitel Pierre Bourdieu, Kult der Einheit und kultivierte Unterschiede
2. Kapitel Pierre Bourdieu, Die gesellschaftliche Definition der Photographie
Teil II
1. Kapitel Robert Castel/Dominique Schnapper Ästhetische Ambition und gesellschaftliche Ansprüche
2. Kapitel Luc Boltanski, Die Rhetorik des Bildes
3. Kapitel Gérard Lagneau, Optische Tricks und Gaukelspiel
4. Kapitel Jean-Claude Chamboredon, Mechanische, unkultivierte Kunst
5. Kapitel Luc Boltanski/Jean-Claude Chamboredon, Fachwissen oder Begabung?
Teil III
Robert Castel , Bilder und Phantasiebilder
Anhang
Anmerkungen
Für Raymond Aron
Es wäre ein leichtes, in diesem Vorwort nicht mehr zu sehen als ein Zugeständnis an ein Ritual, obschon es, genaugenommen, mit einem Ritual bricht. Es legt einen Sachverhalt offen, von dem man wohl eher erwartet hätte, daß er unerwähnt bleiben würde: Das vorliegende Buch enthält die Ergebnisse einer Untersuchung, die im Auftrag von Kodak-Pathé durchgeführt worden ist. Wer sich darüber wundern sollte, dem vermag allein das Buch selbst Aufklärung zu geben.
Dieses Unternehmen ist mir zunächst wie eine Herausforderung erschienen, der es gelingen könnte, zwei Parteien dazu zu zwingen, das Bild in Frage zu stellen, das jede sich von der anderen gemacht hat. Zweifellos trug der Umstand, daß das Thema für den Soziologen so ungewöhnlich wie für den Fachmann abgedroschen war, paradoxerweise erheblich zum Gelingen des Projekts bei. In der Absicht, alles über den Gegenstand zu erfahren, über den er etwas mitteilen wollte, konnte der Fragesteller zwischen ironischem Zweifel und distanzierter Neugier in der Schwebe verharren. Das versetzte ihn in die Lage, sich dem ungewohnten Rhythmus der Untersuchung anzupassen, und er konnte deren mittelbare und interessenunabhängige Ziele besser verstehen. Aufgefordert, einen Gegenstand ernst zu nehmen, den er – verleitet durch seine Denkgewohnheiten – für belanglos gehalten hatte, frei von den Zwängen eines theoretischen Denkens, das sich den sanktionierten Disziplinen unterwirft, konnte der Forscher eine bislang ungekannte Freiheit wahrnehmen, weil er sich, befreit von den Normen intellektueller Produktivität, auch befreit sah von der Sorge um die Rentabilität seiner wissenschaftlichen Arbeit.
Es versteht sich von selbst, daß dies für sich allein genommen den Erfolg noch nicht garantierte. Und wenn der Erfolg sich nur einem außergewöhnlichen Zusammentreffen von Umständen verdankte, dann hätte er auch nicht diesen exemplarischen Wert. Es geht nicht darum, die Auftraggeber von empirischen Analysen mit frisierten Ergebnissen zufriedenzustellen, sondern darum, auf die Hindernisse aufmerksam zu machen, die sie zu überwinden haben, und auf die Verpflichtungen, die sie eingehen müssen. Sie müssen sich mit Antworten begnügen können, und zwar mit denen, die der Soziologe zu geben vermag. Nichts gleicht weniger einer Sammlung von Rezepten, die den Erwartungen des Praktikers entspräche, als das von der Wissenschaft begründete System allgemeiner Aussagen oder zumindest von Aussagen, die von dem Willen, Allgemeingültigkeit zu erlangen, geleitet sind. Die bloße Existenz eines solchen Werkes setzt bereits die Kritik an dem traditionellen Umgang mit Mitteilungen voraus. Solange wir in der Alternative von Öffentlichkeit und Heimlichkeit befangen sind, verbauen wir uns den Zugang zu einer Vorstellung von wissenschaftlicher Veröffentlichung, die die aufgedeckte Wahrheit vor der Gefahr einer Monopolisierung schützt, und zwar gerade durch die Universalität ihrer Verbreitung.
Philippe de Vendeuvre
Pierre Bourdieu
Einleitung
Die Praxis der Photographie und die Bedeutung des photographischen Bildes – können und müssen sie zum Thema soziologischer Forschung werden? Es waren Gedanken Max Webers, die der Vorstellung Gewicht verliehen, daß der Wert eines Forschungsgegenstandes vom Interesse des Forschers abhängt. Dieser nüchterne Relativismus läßt zumindest den Schein einer selbstgewählten Interaktion zwischen dem Forscher und seinem Objekt bestehen. Freilich ließen noch die unzulänglichsten Methoden der Wissenssoziologie erkennen, daß in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten die legitimen Untersuchungsgegenstände einer hierarchischen Ordnung unterliegen. Muß die Soziologie, Erbin einer Tradition der politischen Philosophie und der Theorie sozialen Handelns, den Entwurf einer Anthropologie anderen Disziplinen überlassen, und darf sie unter Beschränkung auf die allgemeinsten und abstraktesten Bedingungen menschlicher Erfahrungen und Handlungen jene Verhaltensweisen als belanglos verwerfen, deren geschichtliche Bedeutung nicht unmittelbar einleuchtet?
Es genügt ja keineswegs, Soziologie der Soziologie zu betreiben, um deutlich zu machen, daß sich nur allzu oft hinter ihren ehrgeizigen Vorhaben ein immenser Verzicht verbirgt. Zweifellos ist es die nämliche grundsätzliche Intention, die dazu führt, daß aus der Wissenschaft einerseits bestimmte, für bedeutungslos erachtete Gegenstände verbannt und daß andererseits unter dem Vorwand der Objektivität die Erfahrungen jener, die sie betreiben, sowie derer, die ihren Gegenstand ausmachen, verdunkelt oder ausgeschlossen werden.
Man macht es sich zu leicht, wenn man jeden Versuch, die Erfahrungen der handelnden Subjekte in eine objektive Deskription wiedereinzuführen, dadurch in Mißkredit bringt, daß man diese methodologische Forderung mit jenen Versionen einer petitio principii in eins setzt, die gewisse Verteidiger geheiligter Rechte der Subjektivität den Sozialwissenschaften entgegenhalten, ohne gewahr zu werden, daß sie der methodologischen Entscheidung, »die soziologischen Tatbestände wie Dinge zu betrachten«, ihre entscheidenden Fortschritte verdanken.
Im übrigen ist es durchaus verlockend, die Vorstellung einer allgemeinen Anthropologie zurückzuweisen, da diese ordnende Vorstellung ja durchaus als ein unerreichbares Ideal erscheinen muß: Tatsächlich weicht der Punkt immer weiter zurück, von dem aus der Soziologe in einem einheitlichen, umfassenden Zugriff die objektiven Verhältnisse, deren er allein um den Preis einer abstrakten Konstruktion habhaft werden kann, sowie die Erfahrung erschließen könnte, in der diese Verhältnisse wurzeln und ihre Bedeutung gewinnen.
Der subjektivistische Intuitionismus, der den Sinn in der Unmittelbarkeit des Erlebten zu finden hofft, verdiente nicht einen Augenblick Gehör, diente er nicht dem Objektivismus als Alibi, einem Konzept, das sich damit begnügt, regelhafte Beziehungen festzustellen und deren statistische Signifikanz zu überprüfen, ohne deren Bedeutung zu entziffern, und das ein abstrakter und formaler Nominalismus bleibt, solange ihm das unerläßliche Moment der Objektivierung als unüberschreitbare Schranke gilt. Sollten der Umweg über die Feststellung statistischer Regelmäßigkeiten und die Formalisierung wirklich der Preis sein, den man für den Bruch mit der naiven Vertrautheit und den Illusionen des unmittelbaren Erlebnisses zu entrichten hat, so hieße das, das anthropologische Projekt zu leugnen, d. h. den Versuch aufzugeben, die verdinglichten Bedeutungen zurückzuerobern anstatt die kaum wiedergewonnenen Bedeutungen in der Abstraktion zu verdinglichen.
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