»Ick singe jetz': Det Fallbeil!« kündigte dar vabubanzte Theodor an.
Und wiederum wurde es ganz still, selbst die Gegenwart dieser schönen und seltenen Erscheinung konnte die Aufmerksamkeit der Hörer nicht mehr ablenken.
»Der Text un ooch de Musik sind beede von mir« sagte der Wirt. Dann sang er:
»Friemorjens hält vor Pletzensee
Een schwerbepackter Wagen,
Un een Jerüst aus Balken wird
Da schleinigst uffjeschlagen.
Bum! bum! bum!
Das sind die Hammerschläge.
Knarr! knarr! knarr!
Das ist die scharfe Säge! ...
Un pletzlich kommt 'n Herr im Frack,
Trägt een Etui aus Leder,
Un freindlich jrinsend hängt er denn
Det Fallbeil in die Feder! ...
Flirr! flirr! flirr!
Er läßt es runtersausen!
Brrr! brrr! brrr!
Det is een Ton zum Jrausen ...
Un uff 'n Hof versammeln sich
Der Staatsanwalt, die Richter.
De Zeijen kommen janz in Schwarz.
Der Kreis wird immer dichter.
Bimm! bimm! bimm!
Et schneet in feine Flöckchen ...
Bimm! bimm! bimm!
Det Armesinderjlöckchen! ...
Da hinten jeht 'ne Tiere uff,
Zwee halten eenen Dritten! ...
Die Beene schleppen fermlich nach,
Jetz' kommt der Pfaff jeschritten.
Trapp! trapp! trapp!
So hallt et uff de Steene!
Klapp! klapp! klapp!
Des sind den seine Beene!
Nu liest der Staatsanwalt wat vor
Mit salbungsvollem Maule.
Der schwarze Rudolf is janz Ohr –
Bei Jott, er legt 'ne Aule! 15Klapp! klapp! klapp! Det is Herrn Reindels Schere! Schnurr! schnurr! schnurr! Durch Hemd und Rock jeht's schwere! Mit eenmal kommt de Sonne raus, Will Rudolf noch wat sagen? Er brüllt. Da fassen se 'n. »Er wird Rasch uff's Schafott jetragen! Pip! pip! pip! Een Sperling sitzt da oben! Pfuiiiiiiiit! Das Fallbeil kommt von oben! ... 'n schwarzer Kasten wird jebracht, 'n Korb voll Sägespäne, Und drüben, wo die Kreuze steh'n, Is Rudolf janz alleene ... Huh! huh! huh! Um Rudolf is et schade! Hih! hih! hih! Uns is et janz pomade! ...«
Als Theodor mit einer sehr ausdrucksvollen Gebärde unter tosendem Beifall geendet hatte, sah Heinz Marquardt seine Nachbarin an, die unter der Schminke erblaßt war.
»Das ist ja fürchterlich!« sagte sie leise und wandte sich dabei ganz unverkennbar an Heinz.
»Ja, ich versteh' auch nicht, wie man eine Dame hierher führen kann!« sagte dieser.
Sofort sagte der Jüngling mit der Tuberose spitzig:
»Ob Sie das verstehen oder nicht, das ist doch ganz gleichgültig!«
»Oh, bitte, doch wohl nicht so ganz!« entgegnete die Dame, »denn da ich den Herrn ansprach, ist es nur natürlich, daß er meine Frage beantwortet! ... Aber,« sie wandte sich wieder an Marquardt, »ich selbst war es, die hierhergeführt zu werden wünschte!« Sie lächelte. »Übrigens Ihnen scheint es hier auch nicht zu gefallen, und Sie sind doch auch hier!«
Heinz zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann kam es über ihn, als könnte er dieser Frau wenigstens einen Teil seines Unglücks anvertrauen, und mit kurzen Worten sagte er ihr, was ihn hierher und überhaupt in die Schlupfwinkel des Elends und des Lasters hineintrieb.
Sie schien ergriffen. Und leise, wohl mehr für sich selber, sagte sie:
»Also gibt es wirklich noch solche Treue?«
Und einen Moment nachsinnend setzte sie hinzu:
»Vielleicht kann ich Ihnen helfen! Besuchen Sie mich einmal! Ich wohne in der Maaßenstraße 87, parterre ... hier meine Kartei«
Und ihm das glänzende Kartonblatt, das sie einem goldeingelegten Perlmuttertäschchen entnahm, überreichend, befahl sie ihrem Begleiter, der mit einem bitterbösen Gesicht dabeistand:
»Holen Sie Egon!«
Der Kavalier saß hinten, mit dem Kriminalbeamten zur Seite, in der Nähe des Wirtes, der, sich für den Applaus bedankend, vom Tisch gestiegen war und eben die Geschichte seiner Narben zum besten gab.
»Drei Blaue waren et,« hörte Herr Schindler noch, »aber det kann ick sagen, Ha Jraf, wenn se ma ooch 'n derbet Stück rausjehackt haben aus de Kohlrübe 16, so janz umsonst haben se det Vajniejen ooch nich gehabt! Der eene looft heite noch mit ohne Neese rum, un die beeden anderen haben ooch jeda ihre vier, fünf Wochen Charité jeschoben! 17Wo ick zufasse, da quietscht et!« ...
»Madame läßt Sie bitten, Herr Graf!« kam der Jüngling im Pelz dazwischen.
»Was is 'n det for 'ne Eule?« fragte Theodor, »ach so, pardong, Herr Jraf, det is 'n Bekannter von Ihn'! ... na, denn will ick nischt jesagt haben! ... Uff Wiedasehn! Uff Wiedasehn! Adjeh! ...«
Damit gingen die drei Eleganten, der Kommissar folgte ihnen, und Heinz Marquardt saß wieder allein.
angezeigt.
verhaftet worden ist.
Rummelsburger Arbeitshaus.
geflohen.
Polizei.
verraten.
Diebeskneipe.
Koblanckstraße.
Trinken.
Drolliger Name für eine Art Schnaps.
Trinken.
Geld.
Portemonnaie.
machulle gehn – sterben.
Er spuckt aus.
Kohlrübe – Kopf.
Charité schieben – im Krankenhaus liegen.
Inhaltsverzeichnis
Heinz Marquardt wollte auch eben aufstehen und gehen, als Alex, der ihn hierhergebracht hatte, an seinen Tisch kam und ganz laut sagte:
»Na weeßte, du Schlamassel, det hättste mir ooch frieha sagen kennen, det de bloß hierher jekommen bist, um Lampen zu machen! 18... Dazu brauchen wa dir doch nich! Unse Achtjroschenjungen, die halten wa uns aleene ...«
Marquardt war ganz verblüfft.
Wie? ... was? ... er machte Lampen? ... was sollte denn das heißen? ... Nein, wahrhaftig, er wußte gar nicht ... übrigens verbäte er sich dieses unverschämte Duzen!
»Wat willste?!« Ales, lachte wiehernd, »du vabittst dir det? ... Ja, Mensch, sei man bloß froh, wenn wir uns det nich vabitten! ... Nicht wahr, Husarenwilhelm, wir vabitten uns det, det so'n Schlemminer 19hierher kommt un uns veräppeln 20will!«
»Na jewiß«, sagte Husarenwilhelm, neben dem plötzlich noch eine ganze Anzahl konfiszierter Gesichter erschien, während aus dem Hintergrunde Aprikosenjuste höhnisch lachend herüberblickte.
»Wo wer'n wir uns det jefallen lassen! Hier sin wir zu Hause und keen andrer! ... Am Ende haste ja 'ne polizeiliche Ermächtigung bei dir, uns auszuspionieren, du, wat?! ... Zeije doch ma her, wat de dra drin hast in deine Tasche!«
Und Husarenwilhelm griff dem sich fest mit dem Rücken an die Wand pressenden jungen Manne rücksichtslos in den Rock hinein. Aber im selben Moment taumelte er, von einem Hieb auf die Nase getroffen, zurück. Marquardt, der über bedeutende Kräfte verfügte, war nach dem Schlage aufgesprungen, hatte die Nächststehenden zur Seite gestoßen und versuchte nun den Ausgang zu gewinnen.
Aber das Lokal war voller Gäste.
Heinz Marquardt fühlte sich, ehe er noch zehn Schritte weit gekommen war, von hinten gepackt und zu Boden gerissen. Im Fallen zog er seinen Revolver, nach dem er schon während der Flucht gesucht hatte, aus der hinteren Beinkleidertasche und schoß in die Luft.
Das schuf ihm für einen Augenblick Raum. Die Angreifer wichen zurück. Nur Husarenwilhelm, der sich vordrängend wohl die Scharte von vorhin auswetzen wollte, packte ihn bei den Füßen.
»Laß los!« schrie Heinz und zielte auf den Dieb.
Der griff über ihn weg und wollte ihm die Waffe entreißen, indem schoß Heinz, und mit einem Wehlaut brach der Getroffene zusammen.
Aber als sei das nur das Signal gewesen für die anderen, so fielen sie jetzt alle über ihn her. Voran der vabubanzte Theodor, dessen Fausthiebe Heinz Marquardt mit ein paar Revolverkugeln erwiderte, die fehlgingen.
Der junge Beamte, den seine Feinde bis an die Wand zurückgetrieben hatten, nahm die Waffe verkehrt und hieb damit auf die Köpfe der Andringenden ein, die sich, die Arme vorhaltend, jetzt durch nichts mehr zurückhalten ließen.
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