Constance lachte. »Tja, niemand zwingt dich, das zu trinken.«
»Soll gesund sein«, entgegnete er und stellte die Kanne zurück in den Schrank.
»Nichts, was so übel riecht und schmeckt, kann in irgendeiner Weise gesund sein. Jetzt sag schon, wer hat dich angerufen? Spann mich nicht auf die Folter.« Sie stieß ihn sanft an.
»Kafni«, antwortete er in sachlichem Ton.
Sie schaute ihn einen Moment lang an, in der Annahme, dass er scherzte. Für sie war Abidan Kafni ein Prominenter, der bei Nachrichtensendungen und Meinungsmachern im Fernsehen gastierte. Sie wusste zwar, dass ihr Mann für ihn gearbeitet hatte, doch das war lange her, und zwischen den beiden herrschte schon seit vielen Jahren Funkstille.
»Im Ernst«, beteuerte er. »Ihm sind unsere Namen auf der Gästeliste aufgefallen. Einer seiner persönlichen Gehilfen wird uns morgen Abend am Eingang abholen.«
Constance lächelte und wirkte gleich wieder unbekümmerter, worauf er mit der Neuigkeit auch spekuliert hatte. Er versuchte, sie vom negativen Ergebnis des Schwangerschaftstests abzulenken und aufzuheitern. Seine Entscheidung, die Gala am morgigen Abend zu besuchen, war auch dadurch motiviert, dass er seine Frau endlich in seine Vergangenheit einweihen wollte, welche er ihr so lange gewissenhaft vorenthalten hatte. Sie wusste nichts von seinem früheren Leben in Nordirland. Warum er ihr noch keinen reinen Wein eingeschenkt hatte, war ihm selbst nicht ganz klar, und seine Unaufrichtigkeit in dieser Hinsicht nagte an ihm.
»Dein Abend beginnt um sechs, Mrs. McIver«, sagte er lächelnd. »Da Dr. Kafni während des Festakts vermutlich nicht viel Zeit haben wird, lud er uns zum Abendessen danach ein. Ich sagte ihm, dass wir versuchen würden, es in unserem eng gesteckten Terminplan unterzubringen.«
»Tatsächlich?«, hakte sie nach, als sei sie beeindruckt. »Ich wusste gar nicht, dass du ein Mann mit solchen Beziehungen bist. Darf ich dich berühren?« Sie streckte einen Zeigefinger nach ihm aus und grinste dabei wie ein Teenager, der einen Star anhimmelte.
Er lachte kopfschüttelnd. »Aber sicher darfst du.«
Dann nahm er ihr Gesicht behutsam in seine Hände und küsste sie wieder. Sie rieb sich die Augen mit den Fingern und ließ sich hingebungsvoll auf den Kuss ein. Als er sie hochhob und über den Flur zum Schlafzimmer trug, lachte sie und tat so, als sträubte sie sich dagegen.
»Mir ist gerade eingefallen, was wir jetzt tun könnten«, deutete er an, nachdem sie eingetreten waren, und stieß die Tür mit einem Fuß zu.
»Was du nichts sagst … könnten wir?«
»Oh ja.«
8:46 Uhr, Eastern Standard Time – Freitag, Industriepark Van Deman, Dundalk, Maryland
Die Bremsscheiben des klapprigen Crown Victoria quietschten, als das Taxi in einem Industriegebiet südwestlich von Dundalk anhielt, einem der ersten Vororte des inneren Stadtrings von Baltimore. Anzor Kasparow wusste, welch hohes Risiko er einging, wenn er am helllichten Tag kam. Hinsichtlich seiner Kleidung – ein offenes Flanellhemd über einem ausgebleichten blauem T-Shirt und einer Jeans mit Loch an einem Knie – hoffte er, ein glaubwürdiges Bild von jemandem abzugeben, der zu dieser Stunde in diese Gegend gehörte.
»Möchten Sie, dass ich warte?«, fragte der Taxifahrer, während er den Kopf drehte, um über seine Schulter zu schauen. »Das macht 20 Dollar.«
»Nein«, antwortete Kasparow und zog sich die Mütze mit dem Logo der Baltimore Orioles ins Gesicht, damit der Mann ihn nicht genauer betrachten konnte.
»In Ordnung, die Fahrt kostet 55.«
Kasparow warf drei zerknitterte 20-Dollar-Scheine auf den Beifahrersitz, bevor er seine Tür öffnete und ausstieg. Er wartete, bis der Wagen außer Sicht war, dann drehte er sich um und ging zurück zur Straßenecke, von wo er die Van Deman Street nach Norden nahm. Nachdem er zwei Blocks hinter sich gelassen hatte, stand er vor einem Gebäude mit einem rostigen Schild über dem Eingang, auf dem Schweißerei Broughman stand. Er sah sich in der Umgebung um, wobei ihm ein merkwürdiger Haufen Gerümpel an der Seitenmauer auffiel. Er zückte seine Brieftasche und nahm einen Schlüssel heraus.
Mit diesem öffnete er die Metalltür und betrat einen Raum, der wohl einmal der Empfangsbereich eines kleinen Handwerksbetriebes gewesen war. Jetzt standen verschimmelte und verstaubte Kartons darin. Es stank nach modriger Pappe. Kasparow sperrte hinter sich ab. Als er das Kreischen eines Elektrowerkzeugs im weitläufigeren Gebäudeteil hinter dem Büro hörte, ging er dem Geräusch nach.
In der nahezu leeren Halle lag ein einzelner Mann auf dem Rücken unter einem betagten Lieferwagen. Dieser war auf ein Paar mobiler Rampenelemente gefahren worden, um den Unterboden leichter inspizieren zu können. Beidseits des Mechanikers standen Werkzeugkästen. Kein Zweifel, ihr mysteriöser Gönner sah vor, dass sie diesen Wagen nutzten, um unbemerkt herumzukommen. So bescheiden getarnt konnten sie beobachten, Informationen sammeln und endlich ein Ziel wählen, ohne ernsthaft Gefahr zu laufen, von irgendwem entdeckt zu werden. Nach der Zielerfassung würde ihr Gönner dafür sorgen, dass sie unverzüglich alle erforderlichen Dokumente erhielten: Technische Zeichnungen, Notfallwegbeschreibungen, Maschinenkarten, Rohr- und Elektroleitungspläne, was auch immer sie brauchten. Es war perfekt ausgeklügelt, wofür Kasparow Allah dankte, während er zu dem Mechaniker ging.
Als ob er ahnte, dass jemand zugegen war, drückte sich der Mann unter dem Fahrzeug vor, zog den Schweißschirm von seinem Gesicht und griff mit einer Hand nach seiner Waffe in dem Kittel, den er trug, was in einer durchgehenden Bewegung geschah.
Kasparow nahm die Baseballkappe von seinem Kopf und schaute hinab ins Antlitz von Ruslan Baktayew. Das gebrechliche, abgehärmte Erscheinungsbild des Mannes rührte ihn fast zu Tränen. Was hatten die Russen mit ihm gemacht? Statt dunkler Haare und eines dichten Bartes wie früher glänzte jetzt nur fahle Haut mit grauen Stoppeln. Seine vom Winter im Kaukasus gestählten Muskeln waren vor Unterernährung erschlafft. Kasparow sah ihm tief in die Augen, deren widerspenstiger Ausdruck in zuversichtlich stimmte. Trotz der grausamsten Foltermethoden, die dem Feind eingefallen waren, hatte sein Freund und Waffenbruder nichts von seinem heiligen Zorn verloren. Kasparow streckte die Arme weit von sich, als sich der Tschetschene erhob.
»Abu, Abu.« Kasparow gebrauchte Baktayews selbst gewählten islamischen Namen Abu Tabak, bevor er ihn umarmte. »Wir haben uns ewig nicht gesehen. Sag, stimmt es? Bitte lass wahr sein, dass wir das Schwert Allahs endlich tiefer ins Herz der Ungläubigen gestoßen haben.« Er platzte geradezu vor Entzückung, als sie nach ihrer Begrüßung voneinander abließen.
»Es ist wirklich wahr, Anzor – alles.«
»Ehre sei Allah, Allahu akbar!«, jauchzte Kasparow, während er die Arme wie siegestrunken hochwarf. »Ich habe so inständig dafür gebetet, dass dieser Zeitpunkt kommt. Zehn Jahre, Abu, zehn Jahre ist es her, dass wir diese Reise antraten, doch Allah hat uns endlich ankommen lassen!«
»Das hat er, kleiner Bruder«, erwiderte Baktayew. »Bald wird er mir auch den Kopf meines Gegners schenken, und dann will ich in dessen Blut baden.« Er ballte die Fäuste, als könnte er vor Hass kaum an sich halten. Während sich seine Fingergelenke weiß unter der Haut abzeichneten, fuhr er fort: »Bald ist der Mörder meines Bruders tot, dieses verachtenswerte jüdische Schwein Abidan Kafni, und Allahs Rache wird mein sein.«
Kasparow nickte zustimmend. »Er kann es vollbringen, dieser Scheich Kahraman, ja? Hat er alles in die Wege geleitet? Hat er eingefädelt, dass dir die Mörder von Vadim und Deni in die Hände fallen?«
»Nur Kafni, er war der Leiter der Operationen gegen meine Brüder. Seine Handlanger mögen geschossen haben, doch er befahl es ihnen.«
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